Digitalisierung: Bibliotheken als "zensur- und facebookfreie" Wohlfühlräume

Gerade im digitalen Wandel und angesichts von "Fake News" sind Büchereien wichtig als Orte des Austauschs, um "informierte Nutzer" ohne Halbwissen zu ermöglichen. So lautete der Tenor beim ersten bibliothekspolitischen Bundeskongress.

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Digitalisierung: Bibliotheken als "zensur- und facebookfreie" Wohlfühlräume

(Bild: StockSnap)

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Physische Räume verlieren an Bedeutung, lautet ein Mantra der Digitalisierung. Die Teilnehmer des ersten bibliothekspolitischen Bundeskongresses waren sich Ende der Woche in Berlin aber weitgehend einig, dass dies zumindest für Büchereien trotz zunehmender Möglichkeiten der Online-Ausleihe nicht zutrifft. Bibliotheken kämen "in einer Zeit, in der mit den Nachrichten schludrig, auch mit dem Wissen sehr nachlässig umgegangen wird", ganz neue Funktionen zu, betonte Peter Greisler, Hochschulexperte im Bundesministerium für Bildung und Forschung, auf der zweitägigen Konferenz. Sie müssten "Orte des Austauschs" und der Debattenkultur werden.

Büchereien unterstützten die Bürger beim "guten Umgang mit Informationen, sorgten für den "informed user", der nicht nur mit Halbwissen agiere, erläuterte Greisler. Sie seien wichtig für die Qualitätssicherung und müssten den Nutzern vermitteln, welchen Informationen man noch vertrauen könne. Insofern komme Bibliotheken eine "sehr politische Funktion" zu.

"Wir müssen den Stellenwert von Bibliotheken neu denken, den öffentlichen Raum neu gestalten", gab Verena Metze-Mangold, Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, als Losung aus. Leiter von Büchereien sollten "mehr experimentieren" und "dialogische Angebote" schaffen, forderte mit Ulrich Johannes Schneider der Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig. Gerade in der digitalen Welt seien die einstigen Lesehallen als "Wohlfühlräume" gefragt, "in denen man zensurfrei, facebookfrei diskutieren und wissenschaftlich arbeiten kann". Die "Tempel der Weisheit" müssten im besten Sinne der Aufklärung "Öffentlichkeit herstellen" und "sachlichen Streit" erlauben.

Die Nachfrage der Bürger sei auf jeden Fall da, versicherte Schneider. Obwohl das von ihm geführte Haus ein überschaubares Budget habe, Standorte habe verringern müssen und "schon früh E-only gemacht", also verstärkt auf E-Books und Online-Ausleihe gesetzt habe, "werden unsere Räumlichkeiten extrem gut genutzt". Dies sei offenbar auch eine Folge davon, dass andere Dialog- oder Kreativzentren nicht mehr zur Verfügung stünden.

"Die Nutzung koppelt sich ab vom Bestand", berichtete auch der Direktor der Unibibliothek Weimar, Frank Simon-Ritz. "Die Leute kommen wegen der räumlichen Angebote, wegen allem, was da dran hängt." Büchereien müssten weiterhin den "freien Zugang zu Information für die gesamte Gesellschaft vermitteln", ergänzte Petra Hätscher, Vorstandsmitglied des Deutschen Bibliotheksverbands (dbv). Die Leiterin des Medienzentrums der Uni Konstanz warb daher für ein "stärkeres Netzwerk der Bibliotheken auf allen Ebenen, um eine informierte Gesellschaft zu haben".

Noch sind viele, vor allem kommunale Bücherhallen aber noch gar nicht richtig im Internetzeitalter angekommen, zudem gelten für sie oft noch Gesetze vor allem im Bereich Urheberrecht aus der analogen Zeit. Als "dringend" erachtete es daher die dbv-Vorsitzende Barbara Lison, die Bibliotheken am geplanten milliardenschweren Digitalpakt der Bundesregierung für den Bildungssektor zu beteiligen und sie "flächendeckend mit moderner IT-Infrastruktur und entsprechender Hardware" auszustatten. Wichtig sei es ferner, Büchereien in "Smart-City-Strategien" von Kommunen zu integrieren, da dies in der technik- und konzerngetriebenen Debatte bisher eine Leerstelle sei.

Die Verbandschefin und viele andere Sprecher plädierten zudem dafür, die am 1. März in Kraft getretene Urheberrechtsreform für die Wissenschaft mit elektronischen Kopierfreigaben und zugehörigen Pauschalvergütungen für die Verlage vom Manko der Befristung bis 2023 zu befreien und die Online-Ausgabe gesetzlich zu regeln. Der Europäische Gerichtshof hatte zwar 2016 entschieden, dass öffentliche Bibliotheken elektronische Bücher gegen eine Vergütung zeitlich begrenzt verfügbar machen dürfen. Laut dem hiesigen Urheberrechtsgesetz ist eine entsprechende Lizenz aber an eine greifbare Kopie etwa in Form eines gedruckten Buchs oder einer CD geknüpft.

Die Gespräche rund um Verträge für digitale Nutzungen mit den Verlagen bezeichneten mehrere Teilnehmer als schwierig. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels dürfe dabei nicht länger einen Kurs der Totalkonfrontation fahren, mahnte die Konstanzerin Hätscher. Derzeit müssten die Bibliotheken die Ergebnisse der meist staatlich geförderten wissenschaftlichen Forschung für teures Geld "zurückkaufen", wobei große Verlage wie Elsevier ihre "Monopolstellung" ausnutzten und damit "Renditen von 30 Prozent" einführen.

"Die Verlage sind unsere wichtigsten Partner", versuchte Lison zu vermitteln. Versuche des dbv, mit dem Börsenverein direkt über Lizenzen ins Gespräch zu kommen, seien jedoch mit dem Hinweis auf das Kartellrecht abgelehnt worden, sodass man "von Verband zu Verband" nicht weiterkomme. Sie erinnerte aber auch daran, dass die Hochschulbibliotheken für die Wissenschaftsverlage "fast die einzigen Kunden" seien: "Studenten können sich das Material kaum selbst besorgen."

Petra Gehring, Vorsitzende des Rats für Informationsinfrastrukturen, machte "kribbelig, dass Bibliotheken auch einen Sammelauftrag haben". Sie fragte: "Wer hebt das auf, was im Netz passiert?" Wie könnten Webseiten für die Wissenschaft gerettet werden? Niemand kümmere sich wirklich darum, auch die dafür eigentlich zuständige Deutsche Nationalbibliothek lasse eine systematische Tätigkeit in diese Richtung vermissen. "Wir sind 2011 mit einem Webprojekt online gegangen", bestätigte der Leipziger Schneider derlei Probleme. "Jetzt muss alles schon wieder neu gemacht werden."

Als Vertreterin des Bundestags warnte Nicola Beer aus der FDP-Spitze davor, "alte Grundsätze wie das Eigentumsrecht grundsätzlich in Frage zu stellen". Auch in der digitalen Gesellschaft könne nicht alles "for free" sein. Die Liberale plädierte daher dafür, "Mikro-Lizensierungen über spezielle Online-Plattformen schaffen". Einzelabrechnungen könnten gerade bei Hochschulen nicht funktionieren, entgegnete die SPD-Netzpolitikerin Saskia Esken. Es müssten "neue Verbreitungswege" geöffnet werden, wobei der Gesetzgeber keine "zu kompliziert gestalteten Bedingungen wuchern lassen" dürfe. Ihr CDU-Kollege Tankred Schipanski kündigte an: "Wir werden einen wichtigen Aufschlag machen für das Urheberrecht in der Wissensgesellschaft." (mho)