Ein Herz für Fremde?

Die Bereitschaft zu Organspenden ist in Deutschland auf einen historischen Tiefpunkt gesunken. Vielleicht könnte eine Widerspruchslösung, wie die Niederlande sie jetzt einführen, Abhilfe schaffen.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Rund 8000 Menschen in Deutschland warten auf eine neue Niere. Doch im vergangenen Jahr ist die Zahl der Organspenden im Land gar auf ein historisches Tief gesunken. Nur 769 Spender verzeichnet der Jahresbericht der Stiftung Eurotransplant. Natürlich hat der Organspendeskandal mit seinen unerfreulichen Machenschaften die Bereitschaft der Bevölkerung nicht gerade beflügelt, sich um einen Spenderausweis zu bemühen. Doch trotz aller Befürchtungen, dass es erneut zu Missbrauch kommen könnte, sollte doch der Impuls, einem todkranken Menschen zu helfen, im Vordergrund stehen.

Was unternommen werden kann, um die Spendenbereitschaft der Menschen zu erhöhen, hat etwa Israel bereits vor einigen Jahren gezeigt: Der Staat ist das erste Land, das seit 2010 Besitzer von Organspendeausweisen bei einer eventuellen Organtransplantation per Gesetz bevorzugt. Einen anderen vielversprechenden Weg haben jetzt die Niederländer eingeschlagen, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Dort soll künftig jeder Volljährige gefragt werden, ob er seine Organe nach seinem Tod spendet. Und wer nicht explizit widerspricht, wird fortan als Spender geführt. Unter den europäischen Staaten sind die Niederlande somit die 18. Nation, die sich für die sogenannte Widerspruchslösung entscheidet.

In Deutschland dagegen hängt die Spende von der Zustimmung ab. Nur, wer sich ausdrücklich für eine Spende ausgesprochen hat, gilt als Organspender. Kritische Stimmen wie der Jurist Wolfram Höfling, Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität Köln, glauben allerdings nicht, an dieser stark gesunkenen Bereitschaft könnte eine Gesetzesänderung wie jetzt in den Niederlanden so leicht etwas ändern. Wie das Mitglied des deutschen Ethikrats im Interview mit der "Berliner Zeitung" äußerte, haben "die Menschen kein Vertrauen in das Organvergabesystem" mehr. Höflings Fazit ist unerbittlich: "Wir müssen zuerst die Systemfehler beheben durch eine grundlegende Neuordnung der deutschen Transplantationsmedizin."

Diese Forderungen scheinen plausibel und berechtigt. Trotzdem spricht nichts dagegen, in Deutschland mehrgleisig zu fahren. Eine grundsätzliche Reform des Transplantationswesens schließt doch gleichzeitig eine Widerspruchslösung wie in den Niederlanden oder die Bevorzugung von ausgewiesenen Organspendern bei Transplantationen nicht aus. Dann könnten vielleicht öfter solche Erfolgsmeldungen durch die Presse gehen wie jüngst in Hannover, als die "Hannoversche Allgemeine" vermeldete, die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) habe gleich drei Lungen und ein Herz an einem Tag transplantiert.

(inwu)