Zukunft der Medizin: Präzise und ungerecht

Die immer genauere Erforschung der Auswirkungen individueller Faktoren auf Gesundheit und Wirksamkeit von Medikamenten verspricht eine hochgradig personalisierte Medizin. Doch nicht jeder dürfte davon profitieren.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Emily Mullin

Das Versprechen der Präzisionsmedizin liegt darin, dass alle möglichen Informationen über Patienten – Genetik, Herkunft, Ernährung und sogar die Wohngegend – genutzt werden könnten, um hochgradig personalisierte Therapien für verschiedenste Beschwerden zu entwickeln. Mit der Einheitsmedizin von heute wäre es dann vorbei.

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Ärzte hoffen, dass dadurch jeder gesünder werden kann. In einem neuen Bericht des Data & Society Research Institute in New York heißt es dazu allerdings, für bestimmte Gruppen in den USA bestehe die Gefahr, dass sie schlechter versorgt wären als zuvor, wenn Medizin individualisiert wird. Besonders gefährdet: weiße Männer, die sich keine Krankenversicherung und keinen gesunden Lebensstil leisten können. Wer also wird noch verlieren?

Nicht Versicherte. Präzisionsmedizin beruht darauf, dass Forscher über reichlich Daten verfügen. In den USA stammen diese Daten aus elektronischen Gesundheitsakten, die von Ärzten aktualisiert werden, wenn Patienten zu ihnen kommen. Über nicht versicherte Personen und solche, die nicht regelmäßig zum Arzt gehen, gibt es dagegen nur relativ wenige Informationen. In den meisten Fällen dürfte es sich dabei um junge Erwachsene und arme Menschen handeln.

Nicht Informierte. Eine Reihe von laufenden Großstudien zu Präzisionsmedizin beobachten Menschen, die elektronische Tracking-Geräte tragen, um ihre Vitaldaten aufzuzeichnen. Meist handelt es sich bei ihnen um frühe Nutzer von neuen Technologien. Zudem sind sie tendenziell körperlich aktiv, daran interessiert, ihre Gesundheit zu verbessern, und gut ausgebildet, und sie leben in der Nähe von großen Städten. Forscher werden Wege finden müssen, um auch weniger gesundheitskundige Menschen für ihre Studien zu gewinnen. Denn ansonsten könnte Präzisionsmedizin letztlich vor allem urbanen Eliten zugute kommen.

Frauen und Minderheiten. Diese Gruppen wurden von der medizinischen Forschung schon oft vernachlässigt, sodass auf historischen Daten beruhende Präzisionsmedizin inhärente Verzerrungen aufweisen könnte. So basieren die Leitlinien für Lungenkrebs-Screening in den USA auf einer Untersuchung von 53.000 Personen, von denen es sich bei nur 4 Prozent um Afroamerikaner handelt; mit dieser Aussage wird in dem Bericht Karriem Watson zitiert, ein Forscher an der University of Chicago. Auch das Wissen von Ärzten über kardiovaskuläre Erkrankungen beruht hauptsächlich auf der Untersuchung von Männern.

Einwanderer. Manche Beobachter fürchten, dass die Erkenntnisse der Forschung zu Präzisionsmedizin dazu dienen könnten, Menschen noch stärker zu diskriminieren, die ohnehin bereits am Rand der Gesellschaft stehen. Angenommen, ein Forscher entdeckt ein neues Gesundheitsrisiko für eine bestimmte ethnische Gruppe: Es könne dann „einen gesundheitlichen Grund dafür geben, den Zuzug ihrer Mitglieder in das Land zu begrenzen, weil sie eine Belastung für das Gesundheitssystem wären“, sagt die Bioethikerin Lisa Parker.

Kranke Menschen. Weil Präzisionsmedizin personalisierte Gesundheitsempfehlungen produzieren soll, dürfte sie mehr Eigenverantwortung mit sich bringen, auf die eigene Gesundheit zu achten. Am besten darin wären Menschen, die „ungewöhnlich technikkundig, gut über Gesundheit informiert, selbstbestimmt, an Informationen interessiert, sprachlich geschickt, auf Gesundheit fokussiert und gut versichert sind“, zitiert der Bericht den Bioethiker Mark Rothstein. Personen ohne diese Ressourcen und solche, die bereits in einem schlechten Zustand sind, könnten die Empfehlungen dagegen verwirrend oder sogar aufdringlich finden, sodass sie den bereitgestellten Informationen nicht trauen würden.

(sma)