Nachrichten aus dem Wachkoma

2006 gelang es Adrian Owen erstmals nachzuweisen, dass Wachkoma-Patienten Bewusstsein besitzen können. Seitdem versucht der Neurowissenschaftler, Kontakt zu ihnen aufzunehmen.

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Von
  • Inge Wünnenberg

TR: Professor Owen, in Ihrem Buch „Zwischenwelten“ geht es um Menschen im Wachkoma. Von ihnen wurde lange Zeit angenommen, dass sie nicht wahrnehmen, was um sie herum geschieht. Sie aber haben gezeigt, dass einige dieser Patienten über einen gewissen Grad an Bewusstsein verfügen. Wie machen Sie das?

ADRIAN OWEN: Wir bitten Wachkoma-Patienten, sich beispielsweise vorzustellen, eine Partie Tennis zu spielen, denn solche Aktivitäten setzen eine bewusste Entscheidung voraus und aktivieren ganz bestimmte Areale im Gehirn. Wir überwachen währenddessen die Hirnaktivität mittels bildgebender Verfahren, etwa der funktionellen Magnetresonanztomografie. Kommt es zu einer deutlich messbaren Aktivität im prämotorischen Cortex, können wir auf vorhandenes Bewusstsein schließen. Unsere Forschung hat gezeigt, dass rund 17 Prozent der nach außen hin reaktionslosen Wachkoma-Patienten über Bewusstsein verfügen. Eine aktuelle Überblicksstudie geht sogar von 20 Prozent aus.

Haben Ihre Erkenntnisse Einfluss auf eine mögliche Genesung dieser Patienten?

Mehr, als die Existenz von Bewusstsein festzustellen, können wir als Forscher bisher für diese Menschen nicht tun. Aber aufgrund von psychologischen Studien wissen wir, welch verheerende Auswirkungen soziale Isolation und Vernachlässigung auf ein Gehirn haben können. Unsere Studien können daher bewirken, dass sich Angehörige, aber auch Pflegepersonal und Mediziner, intensiv um die Patienten kümmern. Wir haben allerdings keine wissenschaftlichen Belege dafür, welche Rolle die fürsorgliche Betreuung durch Bezugspersonen wie der Ehefrau, der Mutter oder des Vaters spielt. Aber es ist bemerkenswert, dass viele der Patienten, die auf unsere Untersuchungen angesprochen und Bewusstsein gezeigt haben, sich später von ihrem Wachkoma erholten. Das fing 1997 mit Kate an. Die 26-jährige Kindergärtnerin lag während meiner Zeit in Cambridge aufgrund einer Virusinfektion im Wachkoma und reagierte auf keinerlei Reize von außen. Aber unsere Versuche – damals noch mit der Positronenemissionstomografie PET – zeigten, dass sie Bilder von vertrauten Menschen erkannte.

Hilft es, das Gehirn der Patienten zu stimulieren?

2013 kam Juan zu uns, ein 19-jähriger Kanadier. Drogen hatten sein Gehirn so stark geschädigt, dass er ins Wachkoma fiel. Auf der Klassifizierungsskala erzielte er den niedrigsten überhaupt möglichen Wert, quasi ganz knapp über dem Tod. Mein Team scannte sein Gehirn, während er einen Hitchcock-Film ansah. Das Ergebnis war nicht eindeutig. Aber Juans Mutter Margarita versuchte auf jede erdenkliche Weise, das Gehirn ihres Sohnes zu stimulieren, unter anderem, indem sie ihm Kaffeebohnen unter die Nase hielt. Sie organisierte auch eine spezielle Sauerstofftherapie und besondere Nahrungsergänzungsmittel für ihn. Seine Besserung ist einzigartig, er kann jetzt sogar wieder das College besuchen. Juans Fall ist das Erstaunlichste, was mir in meiner bald dreißigjährigen Karriere als Neurowissenschaftler begegnet ist. Bei ihm war der physische Gehirnschaden zwar nicht so groß. Deshalb war das Potenzial für eine positive Reaktion im Rahmen unserer Tests vorhanden. Er hat die Untersuchungen auch bewusst erlebt. Er konnte sich aber zu dem Zeitpunkt nicht eindeutig mitteilen. Trotzdem erzählte er mir später, er sei sich sicher gewesen, dass er zurückkommen würde.

(inwu)