Der Doktor und das liebe Vieh

Jeffrey Karp ist einer der erfolgreichsten Köpfe auf dem Feld der Bionik. Quallen, Geckos und Stachelschweine liefern ihm Ideen, die Krebspatienten und Frühgeborenen helfen können.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Die Natur ist für Jeffrey Karp das größte Ingenieurlabor der Welt. Überall sieht er Ideen für neue Medizinprodukte. Auch das Bostoner Aquarium hat schon eine Inspiration beschert: Beim Anblick von Löwenmaulquallen, die ihre Beute mit langen Tentakeln fangen, kam einem seiner Studenten die Idee, wie sich Krebszellen schneller und genauer aufspüren lassen könnten: Er baute flexible DNA-Fangarme, um damit Krebszellen aus Blutproben zu fischen. Normalerweise geschieht dies mit Antikörpern, doch die sitzen am Boden einer Kammer und erwischen nur jene Zellen, die nah genug vorbeischwimmen.

Karp ist Ingenieur für Chemie und Biomedizin am Brigham and Women's Hospital in Boston und einer der produktivsten Köpfe auf dem Feld der Bionik, die Biologie und Technik miteinander kombiniert. Bereits zwei Bionik-Ausgründungen – Gecko Biomedical und Landsdowne Labs – gehen auf das Konto des Forschungsgruppenleiters, dazu vier weitere Spin-offs in der regenerativen Medizin und Materialentwicklung sowie zahlreiche Veröffentlichungen und Patente. Gerade wurde er darüber hinaus mit nur 42 Jahren zum Professor an der Harvard Medical School ernannt.

Ursprünglich wollte der gebürtige Kanadier nach dem Chemieingenieurstudium auch noch Medizin studieren. Als das nicht klappte, spezialisierte er sich auf biomedizinische Anwendungen. „Ich wollte schon als Student neue Therapien entwickeln. Das fühlte sich einfach wie meine Berufung an“, sagt Karp.

Seine erste bioinspirierte Erfindung war ein Gewebepflaster nach dem Vorbild von Geckofüßen. Sie besitzen Tausende winziger Härchen, um die Kontaktfläche zu erhöhen. Damit das auch auf feuchten Organen funktioniert, hat Karps Team die Pflasterhärchen zusätzlich mit einem biologischen Kleber überzogen. Das Projekt interessierte auch den Herzchirurgen Pedro del Nido vom Boston Children’s Hospital, der Karp deswegen 2009 kontaktierte. Der Mediziner hoffte, dass sich mit diesen Bionik-Pflastern die Löcher in der Herzscheidewand von Kindern schonend verschließen ließen. Werden solche Öffnungen genäht, reißt das zarte Herzgewebe oft ein. Karps Pflaster hätte den Belastungen eines schlagenden Kinderherzens allerdings nicht standgehalten.

Die Lösung brachte eine akribische Recherche in der Wissenschaftsliteratur. Unterwassertiere wie der Sandburgenwurm produzieren klebrige Sekrete, die wasserabweisend sind und unter Wasser aushärten. Der Wurm benutzt die Absonderung quasi als Mörtel, um Steinchen für ein Gehäuse zusammenzukleben. Nach diesem Vorbild entwickelte Karps Labor einen neuen Kleber (siehe TR 2/2014, S. 63). Eine entscheidende Stellschraube war die richtige Viskosität. Erst sie ermöglicht es dem Kleber, alle winzigen Gewebespalten auszufüllen und sich beim Aushärten ähnlich wie Efeuranken in Mauerrissen festzuhalten. Darüber hinaus modifizierten die Forscher den Kleber so, dass er erst unter der Bestrahlung mit einer Lampe aushärtet. Das lässt Chirurgen genügend Zeit für ein sorgfältiges Aufbringen.

Eines Tages soll der Gewebekleber aus bioabbaubarem Polymer kleinen Patienten mit angeborenen Herzfehlern helfen. Zunächst aber wird das „Setalum Sealant“ genannte Präparat zum Abdichten genähter Gefäßrisse dienen, die oft noch Blut verlieren. Für die letzten Entwicklungsschritte hat Karp gemeinsam mit Robert Langer vom Massachusetts Institute of Technology 2013 das Start-up Gecko Biomedical gegründet. Kürzlich hat der Kleber in einer Studie mit 22 Teilnehmern seine Tauglichkeit bewiesen. Noch dieses Jahr könnte er auf den Markt kommen.

Durch den engen Kontakt zu Medizinern erfuhr Karp von einem weiteren dringenden Bedarf: schonendere Klebestreifen für Frühchen. Weil den Babys oft noch die oberste Hautschicht fehlt, führt das Abziehen herkömmlicher Streifen, mit denen Apparate und Sonden fixiert werden, häufig zu schmerzhaften Verletzungen. Diesmal ließ sich Karp von der unbelebten Natur inspirieren: von in Schichten angeordneten Mineralien (Glimmer). Gemäß dem Vorbild fügte Karp zwischen Trägermaterial und Klebeschicht eine Lage Silikon ein, die sich beim Abziehen leicht vom Kleber trennt. Der Leim verbleibt auf der Haut, bis er sich mit der Zeit schmerzfrei ablöst. Karps jüngstes Start-up "Landsdowne Labs" soll das Produkt fertig entwickeln.

(inwu)