„Deep Learning ist nicht das Endziel“

Künstliche Intelligenz macht rapide Fortschritte, sodass manche Beobachter fürchten, bald könnten Menschen nicht mehr mit ihr mithalten. Der KI-Forscher und Buchautor Peter J. Bentley hält dagegen.

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Von
  • Sascha Mattke

Angesichts reihenweiser Erfolgsmeldungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz werden bereits warnende Stimmen laut, Computer könnten die Menschheit überflügeln und unterjochen. Der Informatik-Professor, Buchautor und Unternehmer Peter J. Bentley hält das für Unsinn und warnt auch sonst vor überzogenen Erwartungen.

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Sie nehmen im Mai an einer Konferenz mit dem Titel „Der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz“ (Rise of AI) teil – ist diese Technologie tatsächlich unaufhaltsam?

Auf jeden Fall hat sich das Tempo des Fortschritts erhöht. Heutzutage ist künstliche Intelligenz sehr in Mode, dabei arbeiten wir eigentlich einfach weiter. Dabei hilft uns natürlich, dass wir neue interessante Techniken wie Deep Learning haben und außerdem reichlich Daten sowie Rechenleistung in der Cloud nutzen können. Aber es gibt in der KI seit Jahrzehnten Zyklen von Boom und Enttäuschung. Nach den Enttäuschungen folgt üblicherweise ein „KI-Winter“, und derzeit haben wir eben Sommer.

Was wird uns der aktuelle KI-Sommer Nützliches bringen?

Ich erwarte, dass Maschinenlernen eine zunehmende Rolle bei Dienstleistungen spielen wird. Systeme werden uns besser verstehen und besser in der Lage sein, unsere nächsten Wünsche vorwegzunehmen. KI dürfte in Systemen für Augmented Reality eingesetzt werden und in der Heim-Automation, wo sie zum Beispiel die Steuerung von Heizung oder auch Unterhaltungselektronik passend zur Stimmung übernehmen könnte. Und Autos werden mehr Aufgaben eigenständig erledigen können, Bremsen und Lenken etwa. Wirklich autonom fahren lernen werden sie aber in den nächsten zwei Jahren auf keinen Fall.

Selbst ist das Auto (14 Bilder)

Im Jahr 2014 stellte Google sein eigenes autonomes Auto vor. Die Vision war es, kleine Zweisitzer mit Elektro-Antrieb zu entwickeln, die komplett auf Lenkrad und Pedale verzichten. Das Projekt Google Driverless Cars firmiert heute unter der Bezeichnung Waymo.
(Bild: Waymo)

Aber Computer können doch schon heute einiges besser als Menschen, wird sich diese Entwicklung nicht beschleunigen?

Das menschliche Gehirn ist eine unglaublich leistungsfähige Maschine, die nur sehr wenig Energie benötigt. Es ist ein dreidimensionales, chemisches System mit vielen unterschiedlichen Strukturen für unterschiedliche Aufgaben. Computer sind zweidimensional, vergleichsweise einfach und brauchen viel Strom. Dass sie zum Beispiel schneller rechnen können als Menschen, ist kein Wunder – dafür wurden sie ja entwickelt. Aber deshalb zu glauben, Computer seien auch nur annähernd so intelligent wie Menschen oder könnten es bald werden, ist einfach Unsinn. Ein Auto fährt ja auch schneller, als ein Mensch laufen kann, und niemand sagt, es sei uns deshalb überlegen.

Könnte man der Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns näher kommen, indem man sich stärker an dessen Funktionsweise orientiert?

Um das menschliche Gehirn stärker nachbauen zu können, müssten wir erst einmal weitaus mehr darüber wissen, wie es wirklich funktioniert. Wenn man heute zum Beispiel von künstlichen „neuronalen Netzen“ spricht, erweckt das den Eindruck, dass sie auf einem grundlegenden Verständnis des menschlichen Gehirns beruhen würden, aber das ist einfach nicht richtig. Wir arbeiten in diesem Bereich viel mit Biologen zusammen, aber es gibt hier nur langsame Fortschritte.

So wie wir das menschliche Gehirn nicht wirklich verstehen, durchschauen wir zum Teil auch nicht mehr, auf welche Weise künstliche Intelligenz zu ihren Ergebnissen kommt. Wird das ihre Verbreitung hemmen?

Das ist tatsächlich ein Problem. Deep Learning zum Beispiel ist wie eine Black Box. Das Verfahren ist wirklich leistungsfähig, aber weil all seine Ergebnisse auf Zahlen basieren, sind sie für Menschen nicht nachvollziehbar. Bei kritischen Anwendungen wird man sich deshalb schwertun, ihm Vertrauen zu schenken. Man möchte Probleme nicht nur irgendwie gelöst haben, sondern auf eine nachvollziehbare Weise. Ein möglicher Ausweg besteht hier darin, statt eines Gesamtsystems viele kleine Untersysteme zu entwickeln, deren Entscheidungen man dann besser überprüfen kann; das wird auch bei der Zulassung durch Behörden eine große Rolle spielen. Wir haben das zum Beispiel bei der Steuerung von Flugzeugen so gemacht und statt eines Deep-Learning-Systems mehrere flache neuronale Netze programmiert.

Erwarten Sie trotzdem noch weitere Durchbrüche bei Deep Learning?

Deep Learning ist wirklich interessant und darüber hinaus zurzeit sehr in Mode. Ich möchte nicht zynisch sein, aber die vielen Erfolgsmeldungen in der jüngeren Vergangenheit hängen auch damit zusammen, dass massiv in diesen Bereich investiert wird, sodass großes wirtschaftliches Interesse daran besteht, Fortschritte zu vermelden. Aber es dürfte hier so kommen wie schon bei mehreren KI-Techniken in der Vergangenheit: Anfangs sind alle begeistert darüber, es werden interessante Anwendungen auf ihrer Grundlage entwickelt, und nach ein paar Jahren stellt man fest, dass die Technik damit im Prinzip schon ausgereizt ist, und wendet sich etwas Neuem zu. Deep Learning wird nicht das Endziel sein.

Was könnte darauf folgen?

Wenn das menschliche Gehirn besser verstanden wäre, könnten in Zukunft neue Arten von neuronalen Netzen entwickelt werden. An sich sind neuronale Netze schon sehr, sehr, sehr alt, aber andere Methoden haben auch ein Comeback geschafft. Eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit könnte es auch bei der agentenbasierten Modellierung geben. Dank der gestiegenen Rechenleistung kann man heute Milliarden von einzelnen Agenten simulieren, was interessante neue Möglichkeiten verspricht.

(sma)