Schily: Wir üben noch bei den Online-Wahlen

Ein voreiliger Einsatz des E-Votings könnte dem Bundesinnenminister zufolge verheerende Folgen für die Demokratie haben.

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Bundesinnenminister Otto Schily warnte am heutigen Donnerstag auf der Konferenz "Internet ­ eine Chance für die Demokratie" im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin vor der voreiligen Durchführung von Internet-Wahlen im großen Rahmen. Auf den ersten Blick erscheine die Online-Stimmabgabe zwar genauso unproblematisch wie die Briefwahl. Doch die Vorgaben der Verfassung zu freien, gleichen und geheimen Wahlen in der Bundesrepublik stellten hohe Anforderungen an den technischen Prozeß. Vor allem die notwendige Authentifizierung einzelner Berechtigter bei gleichzeitiger Geheimhaltung ihres Votums sei keine leichte Aufgabe. Schily machte daher klar: "Nur wenn das Vertrauen der Bürger absolut gesichert ist, kann ein Online-Wahlverfahren verantwortet werden."

Bisher sei von der nötigen Reife der Technik für die E-Wahl allerdings nicht auszugehen. "Systemfehler, die wir einkalkulieren müssten, hätten katastrophale Folgen", sagte der Innenminister. Er erinnerte nicht nur an die hohen Kosten, die bei einer Wahlwiederholung anfallen würden. Schily geht auch davon aus, dass das Vertrauen des Volkes in die Korrektheit der Wahlen generell in Frage gestellt würde. "Die Folgen für demokratischen Staatsaufbau", so Schily, "wären verheerend."

Der Minister empfiehlt daher eine schrittweise Annäherung an das Ziel, in Zukunft eine "verfassungskonforme, sichere und ökonomische" Stimmabgabe übers Internet als Ergänzung zur traditionellen Wahl zu ermöglichen. Weitere Erfahrungen sollten wie bisher zunächst im kleinen Maßstab gesammelt werden. Bisher kam das i-vote-Verfahren, das unter Führung der Universität Osnabrück entwickelt wurde, unter bei einer Hochschul- und einer Betriebsrat zum Einsatz. Auch "Seniorenwahlen" sieht Schily als ein weiteres Testgebiet an. In einem zweiten Schritt will der Minister im Dialog mit den Organisatoren Anforderungen an die Funktionalität für die Zulassung der Technik definieren. Dazu hat er eine Arbeitsgruppe im Innenministerium eingerichtet. Außerdem will Schily vor einer großflächigen Wahl per Handy oder Internet "zuerst die Wahllokale so vernetzen, dass Bürger in jedem beliebigen Lokal ihre Stimme abgeben können."

Hoffnungen, dass die bequeme Wahl vom Schreibtisch übers Netz aus die Beteiligung des Volks am politischen Geschehen erhöhen werde, steht der Innenminister allerdings skeptisch gegenüber. Eine Demokratie, die die Menschen nicht mal zu der kleinen Unbequemlichkeit motivieren könne, ins Wahllokal zu gehen, sei "ziemlich kraftlos". Es sei daher auch im Netzzeitalter die Aufgabe der Parteien, die Bereitschaft der Bürger zur Wahlbeteiligung zu erhöhen.

Generell hält Schily andere Facetten der Online-Demokratie für wichtiger als das Kapitel Online-Wahlen. Grundvoraussetzung der Volksherrschaft ist für den fast 70-jährigen SPD-Politiker der gut informierte Bürger. Die Bundesregierung wolle daher mit einem Informationsfreiheitsgesetz nach Vorbild des amerikanischen Freedom of Information Act "jedem Zugang zu Informationen des Bundes" verschaffen. Ein entsprechender Entwurf werde gerade mit den Ressorts abgestimmt, "bedarf aber noch einer gründlichen Überarbeitung". Teilweise müsse dabei der Informationsanspruch der Bürger auch stärker begrenzt werden als anfangs geplant, kündigte Schily an. Das sei nicht als Beschneidung der Meinungsfreiheit und als Behinderung einer effektiven Medienarbeit anzusehen, da Journalisten "eigentlich keine Probleme haben, sich Zugang zu Informationen aus Ministerien zu verschaffen ­ was ich durchaus beklage."

Neben den besseren Informationsmöglichkeiten begrüßte Schily den effektiveren Meinungsaustausch, für den das Internet seiner Meinung nach Raum bietet. "Wenn die Bürger informiert sind", philosophierte der Minister, "wollen sie nicht in ihrer Wissenszelle verharren, sondern sich austauschen und Meinungen miteinander abgleichen." Dazu lade das Innenministerium beispielsweise unter der Website www.staat-modern.de ein. Die Argumente der Bürger sollen laut Schily aber auch bei Gesetzgebungsverfahren stärker Gehör finden.

Generell sei die Bundesregierung noch am Experimentieren, wie die Online-Demokratie am besten genutzt werden könne. "Noch fehlen uns Erfahrungen, wie Bürger die neue Chance nutzen und wie andererseits Politik und Verwaltung damit umgehen können", so der Minister. "Gemach, wir üben noch", bremste er überzogene Erwartungen an schnelle Erfolge. Nicht jeder Versuch beim laufenden Trial-and-Error-Verfahren werde auf Anhieb gelingen.

Zum Stand der Entwicklungen im Bereich Online-Wahlen siehe auch: Die Zukunft der Online-Demokratie sowie ein Interview mit dem Giessener Politologen Claus Leggewie in Telepolis. (Stefan Krempl) / (wst)