Ubers autonome Prototypen zeigen erhebliche Sicherheitsmängel

Klartext: Am Boden

Wir lebten in einer Euphorie über autonome Autos, die sich von der Realität gelöst hatte, bis letzte Woche der erste Todesfall in eben diese Euphorie eintrat. Vielleicht führt das zu vorsichtigerem Vorgehen, vor allem im Silicon-Valley-Umfeld

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Von
  • Clemens Gleich
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Jetzt ist es also soweit: Ein autonomes Testfahrzeug hat den ersten tödlichen Unfall verursacht. Denn nach dem Video müssen wir nicht länger um den Brei herumreden: Ubers Technik hat sich als erschreckend fehlerhaft gezeigt, und die andauernden Ermittlungen fördern nur noch mehr Beunruhigendes zutage: zweiter menschlicher Überwacher kürzlich gestrichen. Aggressivität des Systems unnötig hoch. Beängstigend nassforsche Herangehensweise von Uber.

Hätte man noch bremsen können?

Die Unfallsituation beschrieb die Polizei zunächst als "schwer vermeidbar". Nachdem das Video draußen ist, kann jedoch jeder sehen: Uber versagt GENAU DORT, wo die neue Technik dem Menschen überlegen sein müsste. Unfallanalysten in den USA sagen mittlerweile, dass selbst ein aufmerksamer menschlicher Fahrer in dieser Situation noch gut hätte bremsen können, denn die Lichtverhältnisse am Unfallort sind dort nachts weniger schlecht, als das körnige Überwachungsvideo suggeriert. Tragisch: Volvos vergleichsweise simpler Notbrems-Assi hätte es wahrscheinlich auch besser gekonnt, wenn er nicht für die Versuchsfahrten offline gewesen wäre.

Das Radar hätte die Person bei korrekter Funktion so vorausschauend erfasst, dass eine kurze Korrekturbremse der Obdachlosen die Überquerung der Straße ohne Kollision ermöglicht hätte, illegal oder nicht. Je nach Einstellung kamen kurz danach mehr als genug Lidar-Punkte zusammen, um das Objekt zu erkennen. Lidar arbeitet im Infrarotbereich, sieht also nachts sogar etwas besser als tagsüber.

Selbst die optischen Kameras haben sie sicherlich früher sehen müssen als das Video der schlechten Überwachungskamera, und da sprechen wir noch gar nicht davon, dass solche Kamera-Arrays häufig im Infrarotbereich mit starken Infrarotlampen nachts viel weiter sehen als in den Wellenlängen sichtbaren Lichts. Aber es gab nicht einmal eine zu späte Bremsung. Das Auto tat überhaupt nichts, genauso wie der menschliche Überwacher, der am Smartphone herumfummelte. Wie kann es sein, dass so viele redundant überlappende Systeme zu gar keiner Reaktion führen? Welche Art Hilfsarbeiter heuert Uber als Überwacher an?

Verständlicher Enthusiasmus

Dem Heise-Verlag kann man sicherlich keine rückwärtsgewandte Technik-Ächtung vorwerfen, eher das Gegenteil. Gerade deswegen finden sich unter den Kollegen viele kritische Stimmen, darunter meine. In meiner Herumspielerei im spannenden Thema Automatisierung verstehe ich den aktuellen Enthusiasmus gut. Als Motorradfahrer weiß ich aber genauso, dass ungebremster Enthusiasmus Unfallraten erhöht. Der berühmte letzte Rennstrecken-Turn reißt vor allem Neulinge gern fies rein.

Autonome Autos werden hauptsächlich entwickelt, damit die Unfallrate drastisch sinkt. Ich meine: Eigentlich sollten wir auch über 5 bis 20 Prozent weniger Tote froh sein, aber wir wissen alle, dass zu einer breiten Akzeptanz noch in unserer Generation wahrscheinlich mehr als die Hälfte an Reduzierung nötig wäre. Diese Performance hat noch kein einziges Prototypenfahrzeug bewiesen, schon allein aus Existenzzeitmangel.