Predictive Policing: Die Polizei arbeitet verstärkt wie ein Geheimdienst

Kritiker befürchten, dass mit der "vorausschauenden Polizeiarbeit" durch Kollege Computer zunehmend Scoring und automatisierte Entscheidungen in die Strafverfolgung einziehen. Ein Kriminalbeamter wiegelt ab: Hierzulande gelte kein Gesinnungsstrafrecht.

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Predictive Policing: Die Polizei arbeitet verstärkt wie ein Geheimdienst
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Szenen aus "Minority Report" sind zumindest in den USA nicht mehr fern, seitdem "Predictive Policing" aufkommt, befürchtet der Dokumentarfilmer Matthias Heeder. So habe die Chicagoer Polizei mithilfe eines Algorithmus' eine Schwarze Liste mit rund 400 Bürgern erstellt, die als Risikogruppe gälten und teils schon wegen Kiffens und Trinkens sozial isoliert würden. Das System basiere auf der Netzwerktheorie, durchforste Polizei-Datenbanken und spucke Namen aus mit einer Punktzahl im Zusammenhang mit Kriminalität, erklärte der Regisseur des Films "Pre-Crime" am Mittwoch im Berliner digitalen Salon des Humboldt-Instituts für Internet und Gesellschaft zum Thema "Catch me if you scan": "Das ist doch einfach idiotisch."

Matthias Heeder, Lorenz Matzat, Moderatorin Teresa Sickert und Dirk Peglow (v.l.n.r.)

(Bild: heise online / Stefan Krempl)

Fast jede Polizeidirektion in den USA setzte mittlerweile eine vergleichbare Software ein, berichtete Heeder. Zugleich verschwinde die "soziale Diskussion über Ursachen von Kriminalität". Personalstellen bei den Strafverfolgern würden abgebaut, was offenbar "technisch kompensiert" werden müsse. Bewährungsgerichte seien dermaßen überfordert, dass sie auf IT-Systeme wie Compas zurückgriffen, die ihnen Prognosen über die Rückfallwahrscheinlichkeit Inhaftierter liefern sollen. Heeder ist sich daher sicher, dass Predictive Policing die Polizeiarbeit künftig verstärkt in Richtung geheimdienstliche Operationen umwandeln werde.

Mit US-amerikanischen Verhältnissen sei Predictive Policing in Deutschland noch nicht vergleichbar, erklärte der Datenjournalist Lorenz Matzat. Hier werde Analysesoftware vor allem eingesetzt, um Wohnungseinbrüche anhand beobachteter Muster vorauszusagen. Das sei mehr eine "PR-Aktion", meint der Mitgründer des Projekts Algorithmwatch. In Berlin etwa gebe es aber auch bereits ein gemeinsames Lagezentrum, um islamistische Gefährder auszumachen. Auch er prognostiziert daher, dass sich mit Predictive Policing die Polizei- und die Geheimdienstarbeit stärker vermischen. Damit dürften die Meinungs-, Demonstrations- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn die Ordnungshüter vorab sagten: "Du darfst da nicht hin, du könntest ein Verbrechen begehen."

Dirk Peglow, der hessischer Landesvorsitzende des Bunds deutscher Kriminalbeamter (BDK), bemühte sich dagegen, den Mythos einer Precrime-Software zu entzaubern: "Wir verwenden Daten, die wir haben", führte er mit Blick auf das in Hessen eingesetzte Programm "KLB-operativ" ("Kriminalitätslagebild") aus. Die "rechtmäßig erlangten" Informationen würden mit dieser Analyseplattform dann ausgewertet. Die hiesige Polizei gehe dabei anders als in den USA fall- und nicht personenorientiert vor. Bei Einbrüchen würden also Parameter wie Tatzeit, Ort, Beute oder der "modus operandi" als "Trigger" verwendet und gerastert. Werde "gehebelt" oder ein Fensterbohrer eingesetzt, sei dies etwa ein Hinweis auf "professionelle Täter" und Banden.

An sich gehe die Software zurück auf klassische kriminologische Erkenntnisse, erläuterte Peglow. So besage die "Repeat-Theorie", dass Täter oft binnen 48 bis 72 Stunden in die Nähe des Tatorts zurückkehren. Wenn Kollegen verfügbar seien, "lassen wir sie dort in Uniform oder zivil Streife fahren", berichtete der Praktiker. Vor 20 Jahren seien für vergleichbare Lageanalysen Excel-Tabellen erstellt worden. Da habe es teils einige Tage gebraucht, um Parallelen ausmachen zu können. Nun gehe es mit KLB deutlich schneller. Das US-System erscheint dem Kriminalpolizisten dagegen "ein bisschen zweifelhaft". Der dortige Ansatz reiche hierzulande nicht für eine strafprozessuale Maßnahme.

Peglow wehrte sich auch gegen Vorwürfe, dass die Polizei unter "Datensammelwut" leide. Er räumte zwar ein, dass es sich um einen "Riesen-Datenwust" handle, "mit dem wir zu arbeiten haben". Auf jedem Handy seien heutzutage aber bereits so viele Informationen gespeichert, dass sie nur noch von Fachleuten ausgewertet werden könnten. Im Gegensatz zu einem Mobiltelefon hätten Verbrecher heute zudem oft "sieben bis zehn Handykarten", die alle observiert werden müssten.

"Wir können uns nicht darauf ausruhen, dass der Datenschutz in Deutschland so toll ist", entgegnete Matzat. Das Innenministerium und die Geheimdienste könnten schnell in die "Hände von Faschisten" geraten, wie ein Blick nach Österreich zeige. Auch der Entwurf für ein neues Polizeigesetz in Bayern mit noch mehr präventiven Überwachungsbefugnissen mache deutlich: "Das kann schnell kippen." Im Handumdrehen lande man so bei Systemen wie "Citizen Score" in China. Vergleichbare Techniken ließen sich mit den Bewertungsmustern der Schufa rasch nachbilden, warnte Matzat. Algorithmenwatch wolle der Auskunftei daher mit OpenSchufa auf den Zahn fühlen. (anw)