Astronomietagung EWASS: Wie einzigartig ist das Sonnensystem?

Eine Analyse von organischen Molekülen der Rosetta-Mission deutet darauf hin, dass die Entstehung unseres Sonnensystems deutlich komplexer sein könnte als bisher angenommen.

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Astronomietagung EWASS: Wie einzigartig ist das Sonnensystem?

Ein Zufall führte dazu, dass das Massenspektrometer an Bord der Kometensonde Rosetta wichtige Daten sammeln konnte.

(Bild: ESA/ATG medialab)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Das war Glück im Unglück. Der Einschlag größerer Staubteilchen auf das Massenspektrometer ROSINA an Bord der Kometensonde Rosetta beschädigte am 5. September 2016 das Instrument, das danach nicht mehr einwandfrei funktionierte. Glücklicherweise erfolgte der Schaden drei Wochen vor Ende der Mission zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko und bescherte den Forschern noch einmal eine Fülle an Daten, wie Kathrin Altwegg (Universität Bern) bei der European Week of Astronomy and Space Science (EWASS) in Liverpool berichtete.

"Das hätten wir kaum besser treffen können“, sagte die ROSINA-Leiterin. "Zu diesem Zeitpunkt ließ sich die Beschädigung des Instruments verkraften, dafür konnten wir eine Fülle von Molekülen nachweisen." Von besonderer Bedeutung in diesem Kometenzoo sind dabei komplexe organische Moleküle, also solche mit längeren Kohlenstoffketten. Viele seien noch gar nicht identifiziert, so Altwegg. Es sei aufwendig, die Daten des Spektrometers mit Laborexperimenten abzugleichen. Unter den identifizierten Substanzen seien Kohlenwasserstoffketten und -ringe mit bis zu acht Kohlenstoffatomen, darunter auch solche mit ein oder zwei Sauerstoffatomen sowie Stickstoff- und Schwefelatomen.

Kometenzoo: Dank Rosetta konnten verschiedene Gase nachgewisen werden.

(Bild: ESA)

Aufschlussreich seien auch die Isotopenverhältnisse anderer Stoffe wie Xenon, Silizium, Schwefel oder Deuterium, die auf einen präsolaren Ursprung hindeuteten. "Ich habe mir die Entstehung des Sonnensystems früher wie eine große Waschmaschine vorgestellt", erklärte Altwegg. "Im Urnebel wurden die Substanzen gemischt, aus denen dann Sonne, Planeten und Kometen entstanden. Doch unsere Daten stützen dieses Modell nicht." Offensichtlich seien die chemischen Elemente im Universum nicht gleichförmig verteilt und die Geschichte des Sonnensystems komplexer als bisher angenommen.

Diese Erkenntnisse werden gestützt durch Beobachtungen außerhalb unseres Sonnensystems, wo die Entstehung von Sternen in verschiedenen Phasen untersucht werden kann. Eine leitende Fragestellung sei es, zu klären, wie viel Material von den Anfängen übrig bleibe und welche Komplexität in den verschiedenen Phasen der Sternbildung möglich sei, sagte Cecilia Ceccarelli (Université Grenoble Alpes). Ein besonderes Augenmerk richtet sie dabei auf "hot corinos", kompakte Molekülwolken, die sich im Übergang von prästellaren kalten Wolken mit Temperaturen unter zehn Kelvin zu protostellaren Scheiben mit Ausdehnungen bis zu 100 Astronomischen Einheiten (1 AE = 150 Millionen Kilometer) und Temperaturen über 100 Kelvin herausbilden und reich an organischer Materie sind. Aus ihnen gehen Sterne mit relativ geringer Masse hervor. Bisher seien erst zwölf hot corinos bekannt, so Ceccarelli. Die dort beobachtete Verteilung komplexer organischer Moleküle entspreche aber den Analysen auf dem Kometen 67P. Das deute darauf hin, dass das Sonnensystem im Laufe seiner Entstehung eine hot-corino-Phase durchlaufen habe. Offen sei die Frage, wie verbreitet solche hot corinos sind.

Eng verbunden damit ist die Frage nach Leben. Ein für das irdische Leben zentrales chemisches Element ist Phosphor, Bestandteil etwa des Moleküls Adenosintriphosphat (ATP), das die Speicherung und den Transport von Energie in biologischen Zellen regelt. Phosphor entsteht, wenn ein massiver Stern als Supernova explodiert – aber offenbar nicht immer in gleichen Mengen. Zu diesem Ergebnis sind Jane Greaves und Phil Cigan (Cardiff University) nach einer spektroskopischen Analyse des Krebsnebels, dem Überrest einer Supernova aus dem Jahr 1054, gekommen. "Es ist erst die zweite derartige Studie zu Phosphor", sagte Cigan. "Die erste wurde am Supernovaüberrest Cassiopeia A (Cas A) durchgeführt. Dadurch sind wir in der Lage, zwei verschiedene Sternexplosionen zu vergleichen." Dabei zeigte sich, dass im Krebsnebel deutlich weniger Phosphor nachgewiesen werden konnte.

Die Forscher räumen ein, dass ihre Ergebnisse, die sie erst in den letzten Wochen analysiert hätten, noch sehr vorläufig seien. Die Daten deuten jedoch darauf hin, dass die Größe des Sterns, der sich zur Supernova entwickelt, für die dabei entstehende Menge an Phosphor ausschlaggebend sein könnte. Diese Größe wird bei Cas A auf 15 bis 25 Sonnenmassen geschätzt, während der Stern, aus dem der Krebsnebel hervorging, es nur auf acht bis zehn Sonnenmassen brachte. Könnte es daher sein, dass sich auf einem ansonsten erdähnlichen Planeten kein Leben entwickelt, weil er am falschen Ort, in einer an Phosphor armen Region, entstanden ist? Greaves und Cigan wollen die Frage durch Untersuchung weiterer Supernovaüberreste klären.

Im Sonnensystem herrscht offensichtlich kein Mangel an Phosphor. Auch auf dem Kometen 67P wurde er gefunden, interessanterweise in Gestalt des eigentlich instabilen Moleküls Phosphormonoxid (PO). Altwegg geht davon aus, dass es durch das Eis auf dem Kometen konserviert wurde.

Hochaufgelöste Nahaufnahmen von 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (26 Bilder)

Eine Aufnahme aus knapp 10 Kilometern Entfernung, gemacht Ende Oktober 2014 (Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA)

Die chemischen Untersuchungen könnten vielleicht helfen, ein weiteres Problem zu lösen: In den Modellen zur Entstehung von Planetensystemen aus zunächst unstrukturierten Gas- und Staubwolken lässt sich bislang der Übergang von Staubteilchen im Mikrometerbereich zu Körnern in Millimetergrößen nicht befriedigend simulieren. Es ist unklar, welche Kräfte hier wirken. Modelle, die mit elektrostatischen oder magnetischen Kräften arbeiten, konnten noch nicht überzeugen. Aber möglicherweise lässt sich dieser Prozess nicht ausschließlich physikalisch modellieren. In diesen Größendimensionen könnten durchaus chemische Bindungskräfte dominieren. So sieht es auch Altwegg: "Organische Materie könnte der Kleister gewesen sein, der die Körner zusammengehalten hat, aus denen sich schließlich die Planeten entwickelt haben." (olb)