Energie für die Industrie

Weniger Verbrauch, höhere Versorgungssicherheit – die Industrie macht sich Gedanken über die künftige Stromversorgung. Und denkt über radikale Neuerungen nach.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Bernd Müller

Manche haben es vielleicht bemerkt: Zu Beginn des Jahres gingen viele Uhren an Backöfen oder Radioweckern um bis zu sechs Minuten nach. Auch wenn die Uhrzeit mit ein paar Tastendrücken wiederhergestellt war, steckt hinter dem Zeitverzug ein ernstes Problem.

Weil ein Stromnetzbetreiber im Kosovo wegen eines politischen Streits mit Serbien seiner Einspeiseverpflichtung nicht nachgekommen war, sank die Netzfrequenz im europäischen Verbundstromnetz zeitweise unter die vorgeschriebenen 50 Hertz. Alle Elektrogeräte, die ihre Uhr mit dieser Netzfrequenz synchronisieren, gingen folglich nach. Kommen solche Schwankungen der Netzfrequenz häufiger vor, deutet das darauf hin, dass die Stromversorger Schwierigkeiten haben, ausreichend elektrische Energie bereitzustellen – der Vorbote von Stromausfällen.

Stromausfälle fürchtet das produzierende Gewerbe wie der Teufel das Weihwasser. Dort geht es nicht um falsch gehende Radiowecker. Wo empfindliche Produkte hochautomatisiert gefertigt werden, kann das Wiederanfahren einer Produktionsanlage lange dauern und hohe Kosten nach sich ziehen. Schlimmer noch in der Prozessindustrie, also dort, wo Stoffe wie Öl, Gas, Chemikalien oder Getränke verarbeitet werden. Bei einem Stromausfall kann eine chemische Reaktion unterbrochen werden und Tonnen Abfall entstehen.

Nicht nur die falsch gehenden Uhren deuten auf ein wachsendes Problem hin. Auch die Statistik der Stromausfälle gibt Anlass zur Besorgnis. Auf den ersten Blick ist alles in Butter. Der SAIDI-Index, der die Häufigkeit der Stromausfälle länger als drei Minuten nach Ländern auflistet, bescheinigt Deutschland mit die wenigsten Stromausfälle weltweit, ihre Zahl ist in den letzten Jahren sogar gesunken. Was der Index allerdings nicht sagt: Die Stromausfälle kürzer als drei Minuten haben deutlich zugenommen, die Energieversorger müssen heute häufiger zur Stabilisierung des Netzes eingreifen.

Darauf wollen sich produzierende Betriebe nicht allein verlassen. Und so arbeiten sie an dezentralen Regelstrategien, bei denen Fabriken wie Inseln agieren und ihre kontinuierliche Versorgung mit Strom und Wärme selbst sicherstellen. In der alten Denkweise bräuchte eine Fabrik mit hohem schwankendem Strombedarf etwa fürs Schweißen oder Erhitzen großer Flüssigkeitsmengen große Dieselgeneratoren, Blockheizkraftwerke und Speicher, um Ausfälle zu überbrücken.

Das ist zwar prinzipiell möglich, aber unbezahlbar. Es ist meist auch gar nicht nötig. In der Regel macht es nichts aus, wenn ein Schweißroboter mal stillsteht, so lange die Computersteuerung nicht ausfällt und für ein reibungsloses Wiederanfahren nach einem kurzen Blackout sorgt. Dafür reichen dann weit geringere Leistungen. So eine Fabrik könnte für die Steuerungen eine getrennte Stromversorgung aufbauen.

Dass so etwas funktioniert, hat ein Konsortium von Unternehmen im Projekt AREUS bewiesen. Sie haben bei Daimler in Sindelfingen eine Fertigungszelle mit einem Robotermontageplatz eingerichtet und einem Microgrid eingerichtet. Dieses Mikro-Stromnetz wird aus dem öffentlichen Netz versorgt, aber auch von einer Photovoltaikanlage mit Sonnenstrom. Gepuffert wird die Versorgung von Batterien, die Stromausfälle überbrücken und Bremsenergie aus den Roboterantrieben speichern und beim Schweißen Energie zuschießen.

Photovoltaikanlage, Batterien, Roboterantriebe, Computersteuerung – die meisten Komponenten in dieser Modellfabrik arbeiten eigentlich mit Gleichstrom. In herkömmlichen Fabriken wird der Wechselstrom aus dem Netz daher gleichgerichtet, wobei Verluste entstehen. Bei AREUS ist das nicht mehr nötig. Die Fertigungszelle wird komplett mit Gleichstrom betrieben, ein Active Frontend schafft die Brücke zur Außenwelt und wandelt Wechsel- in Gleichstrom und zurück. Gleichstrom bietet in Fabriken viele Vorteile, vor allem spart es Energie: über zehn Prozent, weil Umwandlungsverluste wegfallen.

Mehr Energieeffizienz ist dringend nötig. Derzeit wächst sie in der Industrie mit 1,8 Prozent pro Jahr, das Doppelte wäre erforderlich, um das 2020-Ziel der EU zur Reduktion des CO2-Ausstoßes zu erreichen. „Die Industrie muss ihre Energieeffizienz dringend steigern, sonst ist die Energiewende nicht zu schaffen“, sagt Alexander Sauer, Professor am Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) an der Universität Stuttgart.

Diese Forderung klingt komplizierter als sie ist. Neben der Umstellung auf Gleichstromnetze liegt der Schlüssel in mehr Intelligenz und in der Kopplung von Strom und Wärme. Bei Produktionsprozessen mit hohem Wärmebedarf könnte man die Abwärme eines Blockheizkraftwerks zum Vorheizen bis etwa 150 Grad Celsius nutzen, für höhere Temperaturen sorgen elektrische Heizungen.

Gleichstrom gehört die Zukunft – in Fabriken, Büros und eines Tages vielleicht auch in Privathaushalten, denn auch viele Elektrogeräte zuhause – vom elektrischen Rasierer über das Notebook und den Flachbildfernseher bis zu LED-Leuchten – konsumieren Gleichstrom, den sie unter Verlusten aus dem Wechselstrom aus der Steckdose erzeugen müssen.

Damit beschäftigt sich Prof. Frank Berger, Leiter des Fachgebietes elektrische Geräte und Anlagen an der Technischen Universität Ilmenau. Das Team an seinem Lehrstuhl beschäftigt sich überwiegend mit Schaltgeräten für die Elektroinstallationen sowie mit Isolierstoffen und da wirft der Gleichstrom einige Forschungsfragen auf.

Eine betrifft die Schalter. Wer zuhause einen Lichtschalter betätigt, kann zurecht erwarten, dass das Licht ausgeht. Das funktioniert zuverlässig, weil der im Schaltvorgang auftretende Lichtbogen zwischen den sich trennenden Schaltkontakten immer verlöscht, dank der Tatsache, dass der Wechselstrom zweimal im 50-Hz-Takt einen Nulldurchgang hat. Nicht so bei Gleichspannung. Betätigt man hier den Schalter, fließt der Gleichstrom immer weiter. Spezielle Schalter sind notwendig, um ein Verlöschen des Schaltlichtbogens zu erzwingen. Anderenfalls kann es zur Zerstörung des Schalters und zum Brand kommen. Deshalb tüfteln die Ilmenauer Wissenschaftler auch an neuen Gleichstrom-Schaltkonzepten für Gleichspannungsnetze von der Niederspannung bis zur Hochspannung. Ob für die Industrie oder Haushalte – „Gleichspannungsversorgung ist für viele Anwendungsbereiche ein Gebot der Vernunft“, so Berger.


Er gilt als einer der größten Erfinder aller Zeiten: Thomas Edison. Der Erfinder des Phonographen und der Glühbirne hat 1093 Patente angemeldet. Dieser Erfolg wird von einem unschönen Konflikt überschattet.

1882 nahm Edison sein erstes Kraftwerk in Betrieb, das unter anderem die New Yorker Wall Street elektrifizierte. Es arbeitete mit Gleichstrom und Edisons Mitarbeiter Nikola Tesla entwickelte dafür einen Dynamo. Der gebürtige Kroate hatte aber eine andere Idee: Statt Gleichstrom favorisierte Tesla die Wechselstrom-Technik, die er nach einem Streit mit Edison mit dessen Konkurrenten George Westinghouse weiterverfolgte.

Wechselstrom hat den großen Vorteil, dass sich die Spannung mit Transformatoren einfach anpassen lässt bis zu mehreren hunderttausend Volt, was die Übertragung über große Distanzen ermöglicht. Trotzdem versuchte Edison seine beiden Konkurrenten zu diskreditieren. Edison setzte durch, dass der gerade erst erfundene elektrische Stuhl mit der Technik der Konkurrenz betrieben wird. Wechselspannung gleich Tod, sollte die Botschaft sein.

Der Coup gelang, doch Edison konnte sich nur kurz freuen. Die Weltausstellung in Chicago 1893 wurde mit Wechselstrom erleuchtet und läutete ihren Siegeszug im 20. Jahrhundert ein. Thomas Edison gestand später seinem Sohn: „Ich glaube der größte Fehler meines Lebens war, dass ich nicht auf Wechselstrom umgestellt habe.“

86 Jahre nach Edisons Tod scheint es so, als würde der große Erfinder rehabilitiert. Für Strecken über mehrere tausend Kilometer mit Leistungen von Gigawatt setzt sich die Hochspannungsgleichstrom-Übertragung immer mehr durch. In Fabriken wird sich Gleichstrom ebenfalls durchsetzen, vielleicht sogar in Privathaushalten.

(anwe)