Recycling: Waschen, Legen, Föhnen

China nimmt kaum noch Müll aus dem Ausland an. Nun sitzen Deutschland und viele weitere Länder auf Millionen Tonnen Kunststoffabfall. Ein Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, die aus dem Abfall einen gut bezahlten Wertstoff macht.

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Von
  • Daniel Hautmann
Inhaltsverzeichnis

Michael Hofmann fischt in einem meterhohen Müllberg. Er findet Margarinedosen, Joghurtbecher, Wurst- und Käsepackungen, verdreckte Planen. Hofmann liebt solchen Kunststoffmüll. Der Verfahrenstechnik-Ingenieur hat mit seinem Unternehmen FVH Folienveredelung Hamburg eine Technik entwickelt, die es erlaubt, das Material im großen Stil zu recyceln – wie der 59-Jährige sagt, in annähernd derselben Qualität wie neuer Kunststoff.

Besonders gefragt sind solche Verfahren seit einer Entscheidung in Fernost. Am 18. Juli 2017 teilte China der Welthandelsorganisation mit, bald keinen Plastikmüll mehr zu importieren. Bislang war das Reich der Mitte die Müllhalde der Welt. Allein Deutschland verschiffte im Jahr 2016 rund 560.000 Tonnen Kunststoffmüll nach China – knapp ein Zehntel der gesamten hierzulande produzierten Kunststoffabfalls.

Der China-Export war bequem. Tausende Unternehmen nahmen sich des Mülls dankbar an. Bis Videos von Kinderhänden auftauchten, die mit Scheren Etiketten ausschnitten, um sortenreine Abfälle zu bekommen. Immense Müllmengen landeten dennoch in der Natur.

Damit ist jetzt Schluss. Doch wohin mit all dem Müll? In vielen Ländern landet er auf der Deponie, in Deutschland zu großen Teilen in Verbrennungsanlage, oftmals als Ersatzbrennstoff in Zementwerken. Doch auch hier geht es nicht weiter wie bisher: Das neue Müllgesetz, das Ende des Jahres in Kraft tritt, erhöht die vorgeschriebene Recyclingquote stufenweise auf bis zu 63 Prozent. Bisher lag sie bei rund einem Drittel.

Für Hofmann ist das eine "Riesenchance", wie er sagt. Denn seine Anlage kann auch miteinander verklebte Folien unterschiedlicher Plastiksorten trennen, die bisher nicht zu recyceln waren. "Denken Sie an eine Gemüsetüte, auf der ein Preisschild klebt. Dieses Etikett verwirrt die Sortieranlage." Nah-Infrarotsensoren erkennen zwar die Kunststoffsorte und steuern Luftdüsen, um unerwünschte Sorten herausblasen. Klebt aber ein Etikett am Beutel, wird dieser fälschlicherweise komplett aussortiert und landet auf dem Müll statt im Recycling.

"Unser Verfahren löst diese technologische Herausforderung", sagt Hofmann. Seine Anlage steht im Schweriner Industriepark. Im Innern riecht es streng – organisches Material, Lebensmittelreste, die an den Verpackungen kleben. Ratternd transportieren Förderbänder den Kunststoff zunächst in einen riesigen Schredder, wo er grob zermahlen und vorsortiert wird. Metallteile wie Kronkorken oder Büroklammern purzeln in einen Behälter, der Kunststoff reist weiter ins Herzstück der Anlage: die sogenannte hydrodynamische Friktionswäsche. Dort wird der Kunststoff gereinigt und zu ein bis zwei Zentimeter langen Schnipseln zerteilt, die blitzeblank aus der Anlage rieseln.

Die Friktionswäsche ist eine Anlage von der Größe eines LKW-Motors. Darin befinden sich zwei eng zusammenstehende stählerne Reinigungsscheiben, die gegenläufig in einer turbulenten Wasserströmung rotieren. Durch diesen engen Spalt muss der Plastikmüll hindurch, wobei er parallel ausgerichtet und durch die Reibung gesäubert wird. Dabei löst sich das Etikett vom Beutel, ebenso andere hartnäckige Anhaftungen wie Lebensmittelreste. Selbst sogenannte Multi-Layer-Kunststoffe, wie etwa Suppen- oder Chipstüten, die aus einem Sandwich von bis zu elf verschiedenen Materialien bestehen, kann die Anlage trennen. Die Wäsche benötige weder Chemikalien noch hohe Temperaturen, sagt Hofmann. Das Wasser werde in der eigenen Kläranlage gereinigt und wiederverwendet.

Anschließend werden die Schnipsel in einem Rohrlabyrinth mit heißer Luft getrocknet – bei den Plastikmengen eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe. "Für den Anlagendurchsatz von 2500 Kilogramm pro Stunde müssen rund 200 Quadratmeter Oberfläche pro Sekunde getrocknet werden", sagt Hoffmann.

Nach dem Schreddern und Trocknen durchlaufen die Kunststoffschnipsel verschiedene Sortierschritte. Hofmann hat sich auf Polyethylen-Folien fokussiert, den mengenmäßig größten Abfallstrom. Er verarbeitet sie zu Granulaten und verkauft es.

Daraus können dann wieder neue Produkte hergestellt werden, etwa Kabelkanäle. Pro Jahr erzeugt seine Anlage in Schwerin 18.000 Tonnen Granulat. Bald will er sie auf 100.000 Tonnen ausbauen.

Auf seine Wiederverwertungsquoten ist Hofmann stolz: "Bei Folien aus dem Grünen Punkt sind es etwa 60 Prozent, bei Folien aus der gewerblichen Sammlung bis zu 85" – jeweils bezogen auf das Brutto-Gewicht des angelieferten Materials. "Viel mehr" als bei herkömmlichen Verfahren, versichert Hofmann. "Eine Stretchfolie aus unserem Recyclinggranulat ist deutlich günstiger als eine aus Primärkunststoff."

So begeistert wie der Erfinder der Anlage sind nicht alle: "Zusammenfassend ist natürlich jede Initiative zum Recycling und jede Methodenentwicklung zu begrüßen", sagt Chemie-Professor Heinz Langhals von der Ludwigs-Maximilians-Universität München. "Ich glaube allerdings kaum, dass die komplexen Probleme zum Thema Recycling mit einem einzigen Verfahren gelöst werden können. Möglichkeiten für das Erkennen von Kontaminationen werden immer wichtiger. In der Bekleidungsindustrie ist das schon von höherer Bedeutung und in der Lebensmittelindustrie ein zentraler Punkt; bei Medizinprodukten werden noch höhere Anforderungen gestellt. Man wird diese wahrscheinlich noch sehr lange aus Rohstoffen direkt herstellen."

Auch Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie ist skeptisch: "Mittelfristig bietet der verstärkte Einsatz von Sekundärmaterial sicherlich Kosteneinsparpotenziale." Den Anspruch, Regranulate bei gleicher Qualität zu "einem Bruchteil der Kosten" liefern zu können, hält er aber für "gewagt". – "Trifft aber zu", entgegnet Hofmann. Investoren scheint das zu überzeugen: Wöchentlich habe er Delegationen zu Besuch, die sich für seine Technologie interessierten, sagt Hofmann.

Eine viel grundsätzlichere Lösung hat Designer Carsten Buck im Blick: "Das Problem ist, das die Hersteller nicht für die Entsorgung ihres Mülls aufkommen müssen. Würde hier das Verursacherprinzip greifen, wäre das Problem morgen gelöst."

(bsc)