Er fährt hoch

Google hat einen Quantenrechner gebaut, der erstmals beweisen könnte, dass diese Technologie allen herkömmlichen Rechnern überlegen ist.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Giles
  • Will Knight

Möglicherweise ist 72 keine besonders große Zahl, in Bezug auf Quantencomputer ist sie jedoch riesig. Denn 72 Qubits auf dem neuesten Quantenchip von Google brechen nicht nur den bisherigen Weltrekord – der bislang leistungsfähigste universelle Quantenchip von IBM bringt es auf 50 Qubits. Google ist auch zuversichtlich, dass der neue Chip noch in diesem Jahr eine „Quantenüberlegenheit“ erreichen kann. Das ist der Punkt, an dem ein Quantencomputer Berechnungen durchführen kann, die außerhalb der Reichweite der heutigen schnellsten Supercomputer liegen.

Anfang März stellte Google den „Bristlecone“ genannten Chip vor. John Martinis, der die Entwicklung der Quanten-Hardware bei Google leitet, gab sich zwar noch vorsichtig und betonte, dass sein Team weitere Tests durchführen müsse. Er hält das hochgesteckte Ziel aber für „ziemlich wahrscheinlich“ erreichbar.

Im Gegensatz zu den Bits in klassischen Computern, die Informationen entweder als 1 oder 0 speichern, existieren Qubits in beiden Zuständen gleichzeitig – ein Phänomen, das als Superposition bezeichnet wird. Theoretisch steigt die Leistungsfähigkeit eines Quantenrechners daher exponentiell mit der Zahl der Qubits.

Die Realität ist jedoch – wie üblich – komplizierter. Praktisch können selbst kleinste Temperaturschwankungen oder Rauschen in der Elektronik dazu führen, dass Qubits „dekohärent“ werden, also ihren zerbrechlichen Quantenzustand verlieren. Dabei schleichen sich Fehler in die Berechnungen ein. Und je größer die Anzahl der Qubits, desto mehr Fehler gibt es. Sie können mit zusätzlichen Qubits oder cleverer Software korrigiert werden, aber das kostet viel Rechenleistung.

Die Leistungsfähigkeit eines Quantenchips wird daher von Forscherteams in verschiedenen Kennzahlen angegeben. Die „Breite“ gibt an, wie viele Qubits man gleichzeitig miteinander verknüpfen kann, und die „Tiefe“, wie viele Rechenschritte man hintereinander ausführen kann, ohne dass die Fehler zu groß werden. Wichtig sind auch die Fehlerrate und die Kohärenzzeit, in der die Qubits stabil bleiben.

Die Google-Forscher sind zuversichtlich, mit ihrem Chip eine Breite von 49 Qubits und eine Tiefe von 40 bei einer Fehlerrate unter 0,5 Prozent zu erreichen. Mit Bristlecone wollen Martinis und seine Kollegen dann einen Test durchführen, der die Quantenüberlegenheit demonstrieren soll. Diese Aufgabe sollte für einen herkömmlichen Computer unmöglich zu lösen sein. Aber das wirft eine heikle Frage auf: Wie kann man wirklich wissen, ob ein Quantencomputer eine korrekte Antwort produziert hat, wenn man sie nicht mit einem herkömmlichen Computer überprüfen kann?

Um diese Frage zu beantworten, plant das Google-Team, mit seinem Quantencomputer einen Algorithmus an der Grenze der Möglichkeiten heutiger Supercomputer zu lösen. „Man kann dann zeigen, dass der Algorithmus exponentiell kompliziert ist“, erklärt Martinis. Das Hinzufügen von nur einem weiteren Qubit würde dann das Quantengerät weit über das hinausbringen, was eine herkömmliche Maschine in jeder vernünftigen Zeit bewältigen könnte.

Die Hoffnungen, die Quantenüberlegenheit zu erreichen, wurden allerdings schon einmal enttäuscht. Eine Zeit lang dachten die Forscher, dass eine 49-Qubit-Maschine ausreichen würde. Aber im vergangenen Jahr konnten die Forscher von IBM ein solches System auf einem herkömmlichen Rechner simulieren. Auch bei konventionellen Computern steht die Entwicklung schließlich nicht still: Insbesondere China hat kräftig in die Technik investiert und verfügt heute über die beiden leistungsstärksten Supercomputer der Welt.

(wst)