Kommentar: Obike, das Leihfahrrad aus der Hölle

Die Idee von schnell und einfach ausleihbaren Stadtfahrrädern ist super, findet Jan-Keno Janssen. Wenn sich das Fahrrad dann aber so anfühlt, als würde man ständig bergauf fahren, dann funktioniert das ganze Konzept nicht. So wie bei Obike.

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Kommentar: Obike - das Leihfahrrad aus der Hölle

Da kann man besser laufen: Jan-Keno Janssen ist kein Fan der Obike-Fahrräder.

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jan-Keno Janssen
Inhaltsverzeichnis

Gestern morgen fühlte ich mich sehr modern: Obwohl mein Fahrrad kaputt war, Busse und Bahnen bestreikt wurden und kein Taxi zu kriegen war, würde ich trotzdem pünktlich zur Arbeit kommen. Schließlich gibt es Obike, das hochmoderne Sharing-Economy-Leihfahrrad-Konzept. Hannover, wo ich wohne, gehört neben Berlin, München und Frankfurt zu den vier deutschen Städten, in denen das Startup aus Singapur tausende gelb-silberne Fahrräder verteilt hat.

Ein Kommentar von Jan-Keno Janssen

Jan-Keno Janssen schreibt seit 2007 über Technik bei c't und heise online, seit 2016 als leitender Redakteur im Ressort Internet & Mobiles. Zuvor arbeitete er nach einem Studium der Medienwissenschaften und der Amerikanistik bei Tageszeitungen. Er schraubt schon seit frühester Kindheit an Computern herum. Bei heise online und c't beschäftigt er sich vor allem mit Virtual Reality, Datenbrillen und Gadgets.

In der Smartphone-App konnte ich sehen, dass nur ein paar Schritte entfernt ein freies Obike herumstand. Prima. Inzwischen war ich laut GPS am Fahrrad angekommen, fand aber nur einen rostigen Einkaufswagen. Ich lief ein bisschen hin und her – aber weit und breit kein Obike. Also los zum nächsten Fahrradsymbol auf der App-Karte. Das war dummerweise einen halben Kilometer entfernt.

Und diese Mal stand das ersehnte Fahrrad auch wirklich da. Also schnell den QR-Code auf dem Lenker mit der App gescannt – und "klack!" sprang das Rahmenringschloss am Hinterrad auf. Beim Versuch, die Sattelhöhe an meine 1,94-Meter-Körpergröße anzupassen, scheiterte ich fast am Schnellspanner. Der war nämlich eingerostet. Mit Gewalt klappte es dann doch, leider stieß ich aber schon nach einem Zentimeter an die Grenze des Alurohrs. Egal, sind ja nur sechs Kilometer.

Schon nach 500 Metern erschien mir mein Optimismus wie blanker Hohn. Soll sich das Treten so schrecklich anfühlen? Bremse ich die ganze Zeit aus Versehen? Kann ein Fahrrad wirklich so schwergängig sein? Nach einem Kilometer war mein T-Shirt klitschnass und ich dachte ernsthaft darüber nach, das Rad abzustellen und zu laufen. Irgendwas konnte da doch nicht stimmen!

Okay, das Ding ist mindestens doppelt so schwer wie mein normales Fahrrad und die Vollgummireifen sind jetzt auch nicht unbedingt Leichtlaufwunder. Aber ich hatte keine Zeit für technische Analysen: Ich musste ins Büro. Also reintreten. Während das Fahren auf flachem Terrain schon keinen Spaß machte, waren Anstiege die reinste Qual. Ich bin kein Leistungssportler, fahre aber jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit, ohne dass ich dabei großartig ins Hecheln kommen würde. Nach drei Kilometern Obike fühlte sich meine Lunge an, als wäre sie kurz vorm Explodieren.

Mit dem Fahrrad aus der Hölle braucht man 54 Minuten für 6,2 Kilometer. Das Obike-Punktesystem erinnert frappierend an die umstrittenen chinesische Social Credits.


Auf den letzten Kilometern ging es endlich bergab. Puh, ein paar Minuten nicht mehr treten müssen. Dachte ich. Ich hatte die Rechnung allerdings ohne das Obike-Fahrrad gemacht: das Ding blieb bergab ohne Treten nach 20 Metern stehen. "Bergab ist wie bergauf und bergauf wie rückwärts fahren", dachte ich, während ich schwitzend und japsend in die Pedalen rat. Als ich endlich auf den Heise-Parkplatz fuhr, saß ich bereits 54 Minuten auf dem OBike-Sattel – normalerweise brauche ich 25 Minuten für die Strecke.

Die unglaubliche Schwergängigkeit meines Obike-Fahrrads ließ mir keine Ruhe – hatte ich irgendwas falsch gemacht? Nach Probefahrten zweier Kollegen und einem Test drei anderer Obike-Exemplare war ich mir allerdings sicher: Die Teile sind wirklich so schlecht.

Auch sonst bekleckert sich Obike nicht gerade mit Ruhm: Gerade erst wurde ein Datenleck bekannt, außerdem scheint es so zu sein, dass die App auch dann den Standort des Smartphones in die Cloud schickt, wenn man gerade gar kein Fahrrad gemietet hat. Und wie genau das Geschäftsmodell funktioniert, weiß auch keiner so richtig. Ganz zu schweigen von dem seltsamen Verhaltenspunkte-Modell, das stark an das umstrittene chinesische Sozialkredit-System erinnert. Und dann ist da noch das Schrottproblem, mit dem nicht nur chinesische Großstädte zu kämpfen haben.

All das finde ich natürlich hochgradig problematisch. Aber generell geht es mir als Fahrrad-Fan vor allem darum, dass Obike eine eigentlich total tolle Idee sabotiert: So sinnvoll Kurz-Fahrradmieten sind, das Ganze kann nur funktionieren, wenn die Räder einigermaßen ordentlich fahren. Und das ist bei Obike nicht der Fall, schlimmer noch: Die Teile sind so schwergängig, dass schnödes Gehen weniger Energie und Zeit kostet. (jkj)