Missing Link: Im Takt der Maschine, oder: Wenn Roboter regieren

Weltuntergangsszenarien sind en vogue, wenn die Stichworte Künstliche Intelligenz und Roboter fallen. Die Machtergreifung der Maschinen aber findet bereits statt. Dabei ist eine Mensch-Maschine-Beziehung möglich, die uns von entfremdeter Arbeit befreit.

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Missing Link: Im Takt der Maschine, oder: Wenn Roboter regieren

(Bild: grantdmills, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Musk, Medien, Mordmaschinen – aus der Sicht vieler Robotikforscher ist das so etwas wie die Dreifaltigkeit des Bösen. Kaum eine Robotik-Konferenz, auf der nicht früher oder später ein Referent ein Bild von Arnold Schwarzenegger in der Rolle des Terminators T-800 zeigt und sich über das dadurch beförderte schlechte Image der Robotik beklagt. Gerne wird dazu auch der Unternehmer Elon Musk zitiert, der mit seinen unermüdlichen Warnungen vor Künstlicher Intelligenz als einer der größten Bedrohungen der Menschheit der Forschung in den Rücken falle. Und schließlich seien da noch "die Medien". Die würden solche Aussagen begierig aufgreifen, weiter zuspitzen und in abenteuerliche Titelzeilen von der bevorstehenden Machtübernahme durch die Maschinen gießen (siehe oben).

Geht die verbreitete Angst vor Robotern wirklich in erster Linie auf sensationsgierige Drehbuchautoren und Medienmacher zurück? Gegenüber den Attacken Hollywoods und den düsteren Fantasien der Science-Fiction sieht sich die seriöse Forschung jedenfalls in die Defensive gedrängt. Nichts scheint die Propheten des Weltuntergangs aufhalten zu können.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die Forscher können sich den Mund fusselig reden, dass humanoide Roboter in den nächsten Jahren allenfalls Schwarzeneggers mimische Ausdruckskraft erreichen könnten, von seinen Fähigkeiten im Nahkampf oder auch nur im Laufen aber noch Jahrzehnte entfernt sind. Sie können ihre rituellen Gesänge anstimmen von den arbeitsplatzschaffenden Robotern, die ihren menschlichen Kollegen beim Produzieren des Wachstums fleißig und freundlich zur Hand gehen, Pflegekräfte entlasten und die Kriegführung humanisieren. Hilft alles nichts. Die Leute fühlen sich offenbar stärker zu den Weltuntergangsszenarien hingezogen.

Liegt das vielleicht daran, dass sie noch zu wenig darüber wissen, wie Roboter wirklich sind? Viele Forscher scheinen das zu glauben und sehen hier in erster Linie ein Kommunikationsproblem, das von den Abteilungen für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit gelöst werden muss. Es müssten mehr positive Geschichten in Umlauf gesetzt werden: Roboter schaffen Arbeitsplätze! Roboter retten Menschenleben! Roboter erkunden ferne Planeten! Auf Dauer, so ihre Hoffnung, werden sich Fakten gegen Fantasien, Realität gegen Science-Fiction durchsetzen.

Was sie dabei übersehen: Science-Fiction entsteht nicht im luftleeren Raum, ist keine frei schwebende Fantasterei. Wenn sie Erfolg bei Lesern und Zuschauern haben will, muss sie an deren Lebenswelten und Erfahrungen anknüpfen. Ebenso wie Historiendramen handeln Zukunftsvisionen immer auch von der Gegenwart. Das gilt auch für die Geschichten von der Machtübernahme durch die Maschinen: Sie funktionieren und sind erfolgreich, weil diese Machtergreifung keine in einer fernen Zukunft angesiedelte theoretische Möglichkeit ist, sondern weil sie längst stattfindet.

Es sei noch einmal daran erinnert, dass die erste dieser Geschichten, die überhaupt erst den Begriff "Roboter" prägte, nur zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs entstand. Als Karel Capek in seinem Bühnenstück "R.U.R. – Rossum‘s Universal Robots" davon erzählte, wie künstlich geschaffene, menschenähnliche Arbeitsmaschinen sich gegen die Menschen wenden und die Herrschaft übernehmen, war das auch eine Verarbeitung der Erfahrungen von Millionen Soldaten, die sich in den Schützengräben als machtlose Anhängsel einer gigantischen Kriegsmaschinerie erlebt hatten.

Mechanisierung, Befreiung, Krieg (7 Bilder)

Mit Türklinken hielt sich schon der Großvater des Terminators nicht lange auf ...

Dies war der erste voll industrialisierte Krieg, wahrhaftig ein Krieg der Maschinen. Traditionelle soldatische Tugenden wie Tapferkeit und Ritterlichkeit zählten nicht mehr viel, entscheidend war, welches Land mehr Waffen und Munition produzieren und schneller an die Front schaffen konnte. Während noch im Jahr 1870 die preußische Artillerie während der zweitägigen Schlacht von Sedan 33.134 Schuss abgefeuert hatte, verschossen die Briten allein in der Woche vor Beginn der Sommeschlacht am 1. September 1916 eine Million Schuss, das heißt rund 20.000 Tonnen Metall und Sprengstoff. Die Franzosen, die ursprünglich mit einem Verbrauch von 10.000 75-mm-Granaten gerechnet hatten, mussten die Tagesproduktion bereits im Jahr 1915 auf 200.000 Stück steigern. Wer hier überleben wollte, musste kalt und emotionslos den Vorgaben der Maschinen folgen.

Fast gleichzeitig mit Capeks Drama entstand André Deeds Film "L‘uomo meccanico" (Italien 1921), in dem erstmals riesige Kampfroboter auftraten und erzählerische Grundmuster geschaffen wurden, die bis hin zu den "Terminator"-Filmen immer wieder wirkungsvoll eingesetzt wurden: Pistolenkugeln können diesen Robotern nichts anhaben, bei Türen halten sie sich nicht mit Klinken auf, sondern zertrümmern sie einfach. Wer diese Szenen gesehen hat (von dem Film existieren nur noch Fragmente), kann auch fast hundert Jahre später in den spektakulären, vermeintlich in einer fernen Zukunft angesiedelten Auftritten Arnold Schwarzeneggers immer noch das ferne Echo der Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs spüren.

Dieser Krieg ist das Geburtstrauma der modernen Robotik. Nie zuvor hatten die Maschinen den Menschen so unerbittlich ihren Takt aufgezwungen. Ein prägnantes Symbol dafür sind die Panzer, die während der Schlacht an der Somme erstmals zum Einsatz kamen und bei vielen deutschen Soldaten Panik auslösten. Bezeichnend ist auch, dass die Armbanduhr in den Kriegsjahren ihren Durchbruch erlebte, weil der Griff zur Taschenuhr zu umständlich war für die sekundengenaue Koordination der Angriffe.

Dieses Trauma kam jedoch nicht aus dem Nichts, sondern war der markante und schockierende Höhepunkt eines Prozesses, der 600 Jahre zuvor seinen Anfang genommen hatte. Insbesondere zwei Technologien hatten im Lauf des 14. Jahrhunderts dazu beigetragen, die menschlichen Lebensrhythmen von den Zyklen der Natur zu entkoppeln: die Räderuhr und die Kanone.