Ein kompliziertes Stück toter Materie

Wie über ein paar algorithmisierbare Funktionen der menschlichen Intelligenz hinaus angeblich gleich auch das ganze Bewusstsein in den Machtbereich der programmierenden Klasse gerät.

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Von
  • Peter Glaser

Technische Fortschritte der letzten Jahre haben der Entwicklung Künstlicher Intelligenz eine neue Dynamik verliehen. Neue Speichertechnologien, immer leistungsfähigere Supercomputer, neue Datenbankkonzepte für die Verarbeitung riesiger Datenmengen, Millioneninvestitionen großer Internetkonzerne und nun auch noch ein Wettlauf der Staaten um die Weltherrschaft durch "algorithmische Vorteile" lassen aber auch die alten Ängste vor Künstlicher Intelligenz wieder aufleben.

Im Mai 2014 wandten sich vier prominente Wissenschaftler – der Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek, der Kosmologe Max Tegmark, der Computerwissenschaftler Stuart Russell und der jüngst verstorbene Physiker Stephen Hawking – mit einem Appell an die Leser der britischen Zeitung The Independent. Sie warnten davor, intelligente Maschinen als bloße Science Fiction abzutun: "Eine künstliche Intelligenz erfolgreich in Gang zu setzen, wäre das größte Ereignis der Menschheitsgeschichte. Bedauerlicherweise könnte es auch das letzte sein, so lange wir nicht lernen, wie man die damit verbundenen Risiken vermeidet."

Es fällt übrigens auf, dass die KI-Forschung von Männern dominiert wird, bei deren Schöpfungswunsch vielleicht auch eine umgekehrte Form von Penisneid eine Rolle spielen könnte, nennen wir ihn Gebärneid. Es ist der unbezähmbare Wunsch, einem lebenden Organismus, den die Evolution seit etwa 400 Millionen Jahren – seit der Entstehung des Lebens – in immer raffinierteren Erscheinungsformen durchs Gelände treibt, nicht einfach nur eine gleichrangige computerisierte Eigenentwicklung gegenüberzustellen, sondern eine, die den Menschen übertrifft und degradiert zu einem Übergangswesen zwischen dem Affen und der neuesten technischen Krone der Schöpfung.

Diese Vision heißt "harte KI" und basiert auf der Annahme, dass jede Funktion des menschlichen Daseins computerisierbar ist, vor allem darauf, dass das menschliche Gehirn wie ein Computer funktioniert. Alle Mahnungen vor amoklaufenden Maschinen treffen sich an einem Brennpunkt, der Singularität. Es ist der Moment, ab dem eine Maschine sich autonom verbessern kann und ihre Leistungsfähigkeit explosionsartig zunimmt. Die Mahner machen Angst davor, dass diese Hyper-Maschine, einmal angestoßen, einen eigenen Wesenskern entwickelt. Ein intelligentes Selbst. Sind die Maschinen bereits erwacht? Was spricht da zu uns, das sich anfühlt, als könnten sich im Inneren von Computern eigene, den menschlichen zum Verwechseln ähnliche Wesenskerne entwickeln?

Die Befürchtung, dass eigensinnige Objekte der Menschheit übelwollen oder sie vernichten könnten, hat tiefe Wurzeln. Sie hat zu tun mit der Angst, aber auch mit der Hoffnung, dass unbelebte Dinge lebendig werden könnten, etwa mit Hilfe von Magie. Den Glauben daran, dass ein Zauberspruch ein bloßes Stück Materie zum Leben erwecken kann, nennen wir einen Aberglauben. Dieser Aberglaube hat aus animistischer Vorzeit durch die Jahrtausende seinen Weg bis in die Gegenwart gefunden. Die Vertreter der harten KI sind davon überzeugt, dass sich in einem Computer, einem hochkomplizierten Stück toter Materie, irgendwann irgendwie ein lebendiges Bewusstsein bilden wird.

Sie folgen der Hypothese, dass Denken auf Informationsverarbeitung reduziert werden kann, die unabhängig von einem bestimmten Trägermaterial ist. Dass also das Gehirn nicht unbedingt notwendig ist und der menschliche Geist ebensogut in einen Computer geladen werden kann. Für den KI-Vordenker Marvin Minsky, der im Januar 2016 starb, war Künstliche Intelligenz der Versuch, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.

(bsc)