Heilung per Fruchtblasenspritze

Deutsche Ärzte behandelten Zwillinge und ein weiteres Kind erfolgreich im Mutterleib gegen eine Erbkrankheit.

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Von
  • Antonio Regalado
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Durch die Injektion eines Proteins zur rechten Zeit während der Schwangerschaft ihrer Mutter konnte verhindert werden, dass ein Zwillingspaar sowie ein weiteres Kind ohne Schweißdrüsen geboren wurden. Der mutige pränatale Eingriff, der am Uni-Klinikum Erlangen erfolgte, gilt als erstes Mal, dass es Ärzten gelungen ist, eine Entwicklungsstörung in utero zu behandeln.

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Das Experiment, das in einem Fallbericht im "New England Journal of Medicine" beschrieben wird, fand bereits 2016 statt – in einer Abteilung der Frauenklinik der Universität Erlangen, die sich auf seltene Erbkrankheiten der Haut spezialisiert hat – und hierunter besonders XLHED, der X-chromosomalen Hypohidrotischen Ektodermalen Dysplasie. Betroffene werden mit Vampir-artigen Zähnen geboren sowie der Unfähigkeit, zu schwitzen, weil ihnen die Schweißdrüsen fehlen. Eines von 30.000 Kindern ergeht es so. Ihr Körper ist nicht in der Lage, ein bestimmtes Protein zu produzieren, das für die Bildung der Schweißdrüsen benötigt wird.

Das Uni-Klinikum Erlangen hatte bereits an einer klinischen Studie teilgenommen, bei der eine Proteinersatzbehandlung an jungen Kindern getestet wurde. Doch diese scheinen schon zu alt zu sein, die Therapie war nicht erfolgreich und der Hersteller der Medikation, Edimer Pharmaceuticals, machte zu.

Corinna T., eine deutsche Krankenschwester, deren voller Name aus Datenschutzgründen zurückgehalten wird, hatte bereits einen Sohn mit XLHED, was erst im Alter von zwei Jahren herauskam. "Er weinte ständig, weil ihm zu heiß war", erinnert sie sich.

Betroffene Kindern können später lernen, mit ihrer Erkrankung umzugehen, etwa in dem sie sich auf einen kalten Fliesenboden legen oder sich mit Wasser abspritzen. "Doch die Erkrankung kann in jungen Jahren lebensbedrohlich sein, es wird ihnen etwa sehr schnell heiß, wenn sie im Auto bleiben", sagt Holm Schneider, der Corinna T. als Arzt betreute. "Wenn Kinder älter sind, wissen sie instinktiv, wie sie sich abkühlen."

Corinna T. wurde wieder schwanger – diesmal mit Zwillingen. In der 21. Woche zeigten Ultraschallaufnahmen schließlich, dass auch dieser Nachwuchs erkrankt ist. Obwohl die Edimer-Therapie bei Kleinkindern nicht angeschlagen hatte, war das Protein im Tierversuch an schwangeren Tieren erfolgreich. Corinna und ihr Mann fragten Schneider, ob es möglich sei, die Zwillinge im Mutterleib zu behandeln.

"Wir waren anfangs zögerlich", so der Arzt. "In dieser Situation muss man sich das gut überlegen. Man denkt über die Risiken nach – es geht um drei Leben –, aber auch über die potenziellen Chancen."

Innerhalb eines Monats entschieden Schneider und seine Kollegen sich dafür, den Behandlungsversuch zu wagen – auch die Universität stimmte zu, im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung für Heilungszwecke ("Compassionate Use"). Schneider gelang es, übrig gebliebene Wirkstoffe aus dem Edimer-Versuch zu erhalten.

Die Therapie nutzt die Tatsache aus, dass das fehlende Protein nur kurzzeitig im Wachstumsprozess benötigt wird, zwischen Woche 20 und 30, wenn sich die Schweißdrüsen des Fetus entwickeln. Schneider und sein Team injizierten es direkt in die Fruchtblase der Zwillinge.

"Das Großartige an dieser Behandlung ist, dass es eine kritische Phase in der intrauterinen Entwicklung dieser Schweißdrüsen gibt", sagt Anna David, Direktorin des Institutes für Frauengesundheit am University College London. "Ich denke, das ist das erste Mal, dass wir den Einsatz eines Proteinmedikaments zur Korrektur einer Erbkrankheit vor der Geburt sehen."

Andere genetische Störungen wie die Bluterkrankheit ließen sich so nicht behandeln, weil der Körper eine konstante Versorgung mit den fehlenden Molekülen benötigt. Schließlich könnten Forscher auch noch eine Gentherapie beim Fötus anwenden, bei dem ein komplett neues Gen den Zellen des Babys hinzugefügt wird, doch soweit ist die Wissenschaft noch nicht.

Die Krankenschwester Corinna T. glaubt, dass die XLHED-Therapie funktioniert hat. "Sie war extrem erfolgreich. Die Zwillinge schwitzen normal." Ihre Gesichtspartien sind allerdings noch etwas ungewöhnlich und ihnen fehlen Zähne.

Nach dem Experiment interessieren sich nun auch andere Eltern für die Behandlung. Schneider hofft, dass er mit Hilfe einer Stiftung eine klinische Studie starten kann. Das Forscherteam hat nach dem Erfolg mit den Zwillingen noch einen weiteren Fetus behandelt, seither aber nicht mehr.

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass eine Pharmafirma die Medikation herstellen und vermarkten würde, um Kinder im Mutterleib zu behandeln. Dazu ist die Erkrankung zu selten und das Risiko, das auch für die Schwangere besteht, für Wirtschaftsunternehmen wohl zu groß.

"Wenn man dies für die Patientengruppe herstellt und nur einmal im Leben anwendet, ist die Chance, damit Geld zu verdienen, sehr gering", sagt Schneider. "Dennoch haben wir es hier mit einer unheilbaren Krankheit zu tun, für die es bislang kein Medikament gab – und es funktioniert in drei von drei Fällen."

(bsc)