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Was war. Was wird. Komm lieber Mai und mache (irgendwas).

"Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün" - ach ja, seufzt Hal Faber, reißt sich zusammen, lässt all die Mai-Feierlichkeiten und Anti-Fake-News-Kampagnen links liegen und berauscht sich lieber an, tja,vorsichtshalber an etwas aktueller Musik.

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Was war. Was wird. Komm lieber Mai und mache (irgendwas).

Der Mai ist gekommen, und nicht nur die Bäume schlagen aus. Ach, man entschuldige den ausgelutschten Kalauer. Das Bild zeigt eine Festnahme vor wenigen Jahren am 1. Mai in Hamburg-Barmbek.

(Bild: Franz/fsHH, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Welch wunderbare Zeiten für Fake News. Da ruft ein schlechtgelaunter US-Präsident den Fernsehsender Fox News an und redet sich um Kopf und Kragen, während er über die Fake News von ABC und CNN lamentiert. Die Moderatoren haben sichtlich Mühe, die Suada des Präsidenten zu stoppen, der offenbar keine Pause einlegt, damit Werbung gesendet werden kann. Trumps Desinformation lief am selben Tag über die Bildschirme, als im fernen Europa die EU-Kommission ihr Grundsatzpapier veröffentlichte, wie Europa mit Fake News umzugehen habe. Neben bekannten Trivialitäten wie der Förderung von Qualitätsjournalismus beim Sender und der Förderung von Medienkompetenz beim Empfänger, neben dem Verweis auf gewichtige Studien zum Thema Fake News, finden sich Sachen, bei denen Kopf und Tischplatte high fiven: Über EU-Angelegenheiten dürfen fürderhin keine Fake News verbreitet werden, vielmehr sollen "qualitativ hochwertige Nachrichteninhalte über EU-Angelegenheiten auf der Grundlage datengesteuerter Nachrichtenmedien" gesendet werden.

*** Doch was sind eigentlich datengesteuerte Nachrichtenmedien, respektive die "data driven news media" des englischen Originals? Gilt hier nur der Datenjournalismus, bei dem größere Datenberge durchwühlt werden und Erkenntnisse mit schicker Grafik aufgearbeitet werden? Data driven kann ja vieles sein, sogar die Fake News, wenn mit kräftiger Hilfe der Datenanalyse die Gesichtsmimik passend zur Tonspur gezeigt wird. Fake News gibt es auch in der Wissenschaft, die Wissen auf der Basis von harten Daten schafft. Ganz aktuell sehen wir es in der journalistischen Aufbereitung der "Revolte von 1968", wo munter fabuliert wird. Umso schlimmer für die Tatsachen, wenn diese sich nicht fügen wollen, wie in dem einflussreichen Buch Adorno für Ruinenkinder, das "möglichst präzise" über die 68er berichtet. Neben vielen real befragten Zeitgenossen tauchen auch fiktive Figuren auf, die aber auf wissenschaftlich harter Basis "erarbeitet" wurden. Was im Roman als dichterische Freiheit gepriesen wird, ist in der Wissenschaft eine "Mischperson im Sinne der Freudschen, metaphorischen und der Lacanschen metonymischen Fiktion", zackbumms, so einfach ist das. Tatsachen? "When the legend becomes fact, print the legend." Oder: Fakten, Fakten, Fakten, und immer ... Man wünscht sich doch immer wieder Roger Willemsen zurück.

*** Zurück zum Grundsatzpapier der EU-Kommission. Dort werden nicht nur Faktenfinder und Faktenprüfer gefordert und Online-Dienste zum sorgsamen Umgang mit Fakten angehalten, wir finden auch noch den Punkt "Förderung freiwilliger Online-Systeme zur Verbesserung der Rückverfolgbarkeit und Identifizierung von Anbietern von Informationen sowie zur Stärkung des Vertrauens in die Interaktionen, Informationen und ihre Quellen im Internet und deren Zuverlässigkeit". Hach, da lacht das Herz und schwillt der Kamm, denn diese Formulierung erinnert uns Deutsche an einen alten Untoten, die Digitalcharta. Sie ist wieder da, dieses unsere Neuland einzuhegen: In dieser Woche wurde schließlich auch die Version 2.0 der Digitalcharta vorgestellt und metaphorisch wie metonymisch von Kompetenzzentren diskutiert. Was bereits in einer früheren Wochenschau gesagt wurde, gilt unverändert weiter, auch wenn das idiotische "Recht auf Nicht-Wissen" und die verpflichtende Vorzensur von Artikel 5 in der Versenkung verschwunden sind wie Martin Schulz als ehemaliger Bannerträger der Digitalcharta. Aber bitte, noch einmal zur Widerholung in der Kurzversion: Es gibt Grundrechte. Es gibt keine digitalen Grundrechte. Und, mal so als Zugabe: "In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden."

*** Die Digitalcharta soll europaweit gelten. Fest entschlossen soll die Europäische Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze der Digitalcharta anerkennen. An einem Punkte treffen sich die deutschen Charta-Verfasser und die Autoren des Grundsatzpapiers der EU-Kommission. Im Artikel 9 der Charta heißt es: "Das Recht, an öffentlichen Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, darf nicht an die Nutzung digitaler Medien gebunden werden." Im Grundsatzpapier steht etwas von der "Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Absicherung von Wahlen gegen zunehmend komplexe Cyberbedrohungen, wie Desinformation im Internet und Cyberangriffe." Öffentliche, freie und geheime Wahlen sind eine bedrohte Spezies, nicht nur, weil es in Europa Bestrebungen gibt, verstärkt Wahlmaschinen einzusetzen. Außerdem sind da die bösen Russen, die diversen Cyberangriffen zugeordnet wurden, worüber sich diese Woche die Linke sehr entrüstet zeigte, wegen der mickrigen Faktenlage. Dabei sind die wichtigsten Fakten seit dem Besuch im Bärenkäfig bekannt. Was die Mickrigkeit anbelangt, so geht es noch mickriger, wie die fast vollständige Schwärzung des Russland-Reportes des US-Kongresses dieser Tage zeigte: "Attribution is a Bear" ist die einzige für die Öffentlichkeit bestimmte Information und diese macht einen Witz draus.

*** In Korea haben sich Kim Jong-un und Moon Jae-in getroffen und eine Erklärung für Frieden, Aufblühen und Vereinigung der Koreanischen Halbinsel unterzeichnet. Ein Bäumchen wurde gepflanzt; es gab Naengmyon aus dem Norden und Rösti aus dem Süden sowie verhaltenes Lob aus dem Osten. Bundeskanzlerin Merkel erinnerte in Washington an die Freuden der Wiedervereinigung und dankte den USA. Ob alles Ernst gemeint ist, wird sich zeigen müssen. Die schlichte Wahrheit sprach ein ehemaliger US-amerikanischer Unterhändler aus: In Nordkorea ist Kim Jong-un ein Gott. Ja, Götter dürfen verrückt sein.

*** Und Klaus Voormann wird 80, so, so. Wenn man nicht nur in stark verblassten und mittlerweile eher irrelevanten Erinnerungen schwelgen will, so hatte man es Ende der Woche schwer, was man zuerst hören wollte: Janelle Monáe mit "Dirty Computer"? Neues von der Queen des Afrofuturismus (wer ist schon Beyoncé)? Auf jeden Fall! Oder doch erst mal Van Morrisons "You’re Driving Me Crazy"? Auch das – ich werde auf meinen alten Tage tatsächlich noch zum Van-Morrison-Fan, nach "Roll With The Punches" und "Versatile. Ja, ja, ich weiß, "It's to late to stop now" mit der fantastischen Live-Version von "Caravan" hätte mich schon längts bekehren sollen, aber man lernt ja nie aus, auch musikalisch. Aber relaxte Alte Säcke sind das eine, die Faszination des modernen R&B das andere. Also: Musik!

Heraus, heraus zum 1. Mai! Überall, wo ein Kreuz hängt, soll eine rote Fahne wehen, nicht als Zeichen irgendeiner Partei oder einer Religion, sondern ganz im Geiste des Cola-Light-Trinkers Söders einfach "als Symbol für die kulturelle Identität und Prägung der Arbeitszwänglinge". So wurden einstmals Arbeiter in Bayern und Österreich genannt. Was Kreuze so zeigen können, können rote Fahnen genauso wie weißblaue, dort, wo man gerade anfängt, die Geburt des Freistaates Bayern zu feiern. Nach einem kurzen freigeistigen Intermezzo unter Kurt Eisner, Ernst Toller und Eugen Leviné wurde Bayern zur "Ordnungszelle Bayern", voller Hass auf das dreckige, großmäulige Berlin. Das ist bis heute so.

Heraus, heraus, zum 1. Mai! Am Weltfeiertag der Arbeiterklasse will die Linke mit dem Slogan "Es ist maine Zeit" demonstrieren und auch die Partei Hier können Familien Kaffee kochen ist an vielen Orten mit dabei. Derweil marschieren die deutschen Gewerkschaften im Zeichen der neuen deutsch-französischen Freundschaft mit dem Dreitakter-Slogan Solidarität, Vielfalt, Gerechtigkeit zu den Festplätzen und Rednertribünen. Das klingt fast wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, nur nicht so radikal. Ein bisschen Einfalt muss sein, wir sind doch alle so vom Christentum geprägt.

Gleich nach dem Einstieg in den Wonnemonat Mai bricht die digitale, egalitäre und sehr brüderliche wie schwesterliche Republik aus, wenn die Massen in Berlin (latürnich) auf die re:publica strömen, die diesmal POP ist, ausgeschrieben wohl Power of the people class. Niemand anderes als Chelsea Manning wird über Hippies, das Silicon Valley und Hannah Arendt am digitalen Kamin plauschen. Später wird dann alles Mögliche diskutiert, von der Digitalcharta 2.0 über Fake News und dem besonderen Datenjournalismus bis zum besonderen Anwaltspostfach beA, das immer noch 20 Software-Lücken hat, davon 12 gravierender Art. Schlappe 52 Euro darf jeder Anwalt für das Nichtfunktionieren im nächsten Jahr bezahlen, wurde gerade verkündet. Davon lässt sich dann der denkbar lausigste PR-Job in dieser Republik finanzieren.

(jk)