Reise Richtung Unendlichkeit

Um Sonden zu Nachbarsternen und Planeten außerhalb unseres Sonnensystems zu schicken, entwickeln Wissenschaftler exotische Antriebsmethoden – vom Lasersegel bis zum EmDrive.

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Von
  • Christian Rauch

Vier Lichtjahre entfernt könnte sich eine völlig neue Welt eröffnen, vielleicht sogar mit extraterrestrischem Leben. Denn dort liegen das Doppelsternsystem Alpha Centauri und der Rote Zwerg Proxima Centauri, die nächsten kosmischen Nachbarn unseres Sonnensystems. Und dort vermuten Wissenschaftler neue erdähnliche Planeten. Nachgewiesen haben sie bereits "Proxima b", der um Proxima Centauri kreist. Weitere könnten um Alpha Centauri zu finden sein. Wie aber dorthin gelangen, um diese Welt aus der Nähe zu erforschen?

Raumschiffe müssten dazu mit erheblichem Tempo durchs All rasen: Für eine Flugdauer von 20 Jahren wäre eine Reisegeschwindigkeit von einem Fünftel der Lichtgeschwindigkeit nötig. Für solche Beschleunigungen sind völlig neue Antriebsformen nötig – und damit eine neue Art von Raumschiffen. Noch mögen sie eine Vision sein, aber Wissenschaftler weltweit sind bereits auf dem Weg zu ihrer Realisierung. Die Projekte tragen Namen wie EmDrive oder Mach-Effect Thruster, Starlight oder Breakthrough Starshot. Das Starlight-Projekt fördert seit 2015 die Nasa, in Breakthrough Starshot investiert der Milliardär Yuri Milner 100 Millionen Dollar.

Allen Projekten gemeinsam ist, dass die Sonden ohne Treibstoff an Bord auskommen. "Mit Treibstoff wird eine interstellare Mission nicht gelingen", sagt Martin Tajmar, Professor für Raumfahrtsysteme an der Technischen Universität Dresden. Will man beispielsweise die Oortsche Wolke erreichen, einen riesigen Eisklumpen-Schwarm in der Peripherie unseres Sonnensystems, würde es selbst mit den stärksten derzeit verfügbaren Triebwerken immer noch viele Jahrhunderte dauern, bis zu Alpha Centauri sogar Jahrtausende. Antriebstechnologien müsste also eine 500fach höhere Geschwindigkeit als heute ermöglichen, will man binnen Jahrzehnten zu unserem Nachbarstern reisen.

"Diesen Faktor können Sie rein durch Effizienzsteigerung nicht erzielen", ist Tajmar überzeugt. Denn selbst die stärkste Kraft, die sich heute gezielt entfesseln lässt, eine Wasserstoffbombe, ist nur zehnmal effizienter als die stärksten heute verwendeten Triebwerke.

Deshalb diskutieren Forscher derzeit eine revolutionäre Antriebsidee: den EmDrive. Der Ansatz arbeitet mit Mikrowellen, die in einem asymmetrischen Hohlraum hin und her laufen. An den unterschiedlich großen Endflächen sollen die Wellen dann einen unterschiedlich großen Strahlungsdruck erzeugen – woraus eine Schubkraft resultiert.

Mehrere Laborversuche aus den letzten Jahren haben gezeigt, dass sich so Schübe im Bereich von 100 Mikronewton erzeugen lassen. Die Skepsis in der Wissenschaftsgemeinde ist allerdings groß. Denn die Messungen scheinen einem Grundgesetz der Physik zu widersprechen: Nach dem Impulserhaltungssatz dürften in einem geschlossenen Gehäuse hin und her pendelnde Mikrowellen keine Kraft in eine Richtung erzeugen. Manche Forscher vermuten daher thermische Effekte oder schlicht einen Messfehler.

Andere dagegen berufen sich auf Einsteins Relativitätstheorie, um den vermeintlichen Widerspruch zur Impulserhaltung aufzulösen. Demnach bewirken die oszillierenden Mikrowellen die Vorwärtsbewegung nicht direkt. Vielmehr ermöglicht ein spezielles Wechselspiel von Trägheit und Gravitationskraft den Schub in eine Richtung. Wenn in den nächsten Jahren Versuche ohne jegliche Störquellen gelingen, könnten sie Klarheit bringen.

Realistischer scheinen derzeit die Projekte Starlight und Breakthrough Starshot zu sein. Ziel der Initiativen sind kleine, leichte Sonden, die sich mit möglichst geringer Schubkraft auf hohe Geschwindigkeiten katapultieren lassen. Die etwa zehn mal zehn Zentimeter großen und 0,1 Millimeter dünnen Sonden, bei Breakthrough Starshot als "StarChips" bezeichnet, bestehen nur aus einem Elektronikchip. Ein gigantisches Aufgebot an Millionen Lasern auf der Erde soll sie binnen Minuten auf die benötigte Geschwindigkeit beschleunigen: Die Laserstrahlen würden auf ultradünne Segel treffen, die jeder StarChip tragen soll. Am Ziel angekommen, soll der StarChip Daten und Fotos zur Erde senden.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist getan: Im Sommer 2017 unterstützte Breakthrough Starshot den Start von sechs miniaturisierten Satelliten namens Sprite in den Erdorbit. Wie die späteren StarChips bestehen sie aus einer einzigen Elektronikplatine. Sie sollen erstmals testen, wie solche Minisonden im Weltraum überleben und mit der Erde kommunizieren können. Währenddessen arbeitet Philip Lubin von der University of California in Santa Barbara bereits an den nächsten Schritten. Der Physiker forscht seit rund zehn Jahren auf diesem Gebiet, nun entwickelt er die ersten Labor-Prototypen für eine passende Laseranordnung, den StarChip und das Segel.

"In zwei Jahren werden wir das erste prototypische Lasersystem – mit 100 Watt noch eine Milliarde weniger leistungsfähig als das endgültige interstellare Antriebsarray – sowie eine erste Version des StarChips testen können." Diese soll eine Kamera und ein Laserkommunikationssystem beinhalten und in verschiedenen suborbitalen und orbitalen Flügen erprobt werden. Später könnten Tests mit Laserbefeuerung im Weltraum folgen, etwa für eine Mission in unserem Sonnensystem.

Da jeder StarChip nur so viel wie ein iPhone kosten soll, könnten ganze Sondenschwärme starten, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen. Dennoch sind die Herausforderungen enorm: Samt aller notwendigen Funktionen darf der StarChip nur ein Gramm wiegen. Das Segel muss so dünn sein wie ein paar Hundert Atome und dennoch eine Laserleistung von 100 Gigawatt aushalten und reflektieren. Die Materialien dafür fehlen noch, Lubin zeigt sich angesichts der Fortschritte in der Nanotechnologie jedoch zuversichtlich, dass sie bald herzustellen sind. Optimistisch ist er auch, was die Datenübertragung von Alpha Centauri zur Erde betrifft. Die StarChips sollen per Laserstrahl kommunizieren.

Dass diese Methode prinzipiell funktioniert, zeigte die Sonde Ladee bereits 2013. Sie sollte Informationen über die dünne Mondatmosphäre sammeln und neue Arten der Laserkommunikation im Weltall testen. "Sie hat mit 0,5 Watt Laserleistung Daten vom Mond zur Erde geschickt", so Lubin. 2022 soll eine weitere Nasa-Sonde namens Psyche die Sendedistanz bis zum Asteroidengürtel erweitern – Alpha Centauri ist allerdings noch 100000-mal weiter entfernt. Bis zum Start interstellarer Sonden dürfte daher noch einige Zeit vergehen. Selbst Lubin hält dies frühestens in 30 Jahren für möglich – weitere finanzielle Förderung vorausgesetzt. Selbst die einfachsten interstellaren Missionen werden also eine Aufgabe für Generationen sein.

(bsc)