Wie hätten Sie Ihr Kind denn gern?

Lange galt es als nahezu unmöglich, von den Genen auf Intelligenz, Körpergröße oder die Anfälligkeit für Volkskrankheiten zu schließen. Doch mithilfe großer DNA-Datenbanken will ein Start-up das ändern – und macht eine alte ethische Debatte brandaktuell.

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Von
  • Antonio Regalado
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Nathan Treff war 24 Jahre alt, als er die Diagnose Diabetes Typ 1 erhielt. Die Krankheit tritt oft gehäuft in Familien auf. Treffs Großvater etwa verlor dadurch ein Bein. Treffs drei kleinen Kinder sind bislang gesund. Er hofft, dass es so bleibt. Aber er lebt mit der Furcht, dass auch sie erkranken.

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Diese Angst will er anderen Eltern ersparen. Treff weiß, dass die Ursachen für das Ausbrechen des Leidens komplex sind. Neben zahlreichen Genen spielen auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Er glaubt dennoch, einen Weg gefunden zu haben, wie werdende Eltern dem Risiko eventuell aus dem Weg gehen können.

Der Reproduktionsmediziner arbeitet an besonders detaillierten Voraussagen und hat dafür vorigen Sommer das US-Start-up Genomic Prediction mitgegründet. Die Idee des in North Brunswick in New Jersey ansässigen Unternehmens: Computermodelle mit DNA-Tests kombinieren. Dadurch werden mehr Genvarianten analysiert und Muster erkennbar, die auf eine Krankheit verweisen könnten. Mit diesem Ansatz will Treff bei künstlicher Befruchtung erzeugte Embryonen untersuchen und jene identifizieren, die wahrscheinlich Anlagen für komplexe Krankheiten wie Diabetes, Osteoporose, Schizophrenie oder Kleinwüchsigkeit in sich tragen. Ärzte und Eltern können diese Embryonen dann aussortieren.

Tatsächlich lassen sich einer 2014 veröffentlichten deutschen Studie zufolge Menschen mit und ohne Diabetes Typ 1 allein anhand sogenannter polygenetischer Auswertungen recht genau voneinander unterscheiden. "Wir glauben, das Verfahren wird zu einem festen Bestandteil der künstlichen Befruchtung – genauso wie der Down-Syndrom-Test während der Schwangerschaft", sagt Laurent Tellier, Bioinformatiker und Geschäftsführer von Genomic Prediction.

Künstlich befruchtete Embryonen vor dem Einsetzen genetisch zu untersuchen, ist bereits gängige Praxis in Reproduktionskliniken. Im Rahmen der sogenannten Präimplantationsdiagnostik (PID) werden den Embryonen dafür einige Zellen entnommen. Dies gilt bisher aber nur für Risikogruppen und auch nur für Leiden, die von einem einzigen Gen verursacht werden, etwa die zystische Fibrose und die Huntington-Krankheit. Für Leiden mit einer Vielzahl beteiligter Gene sind die bislang möglichen Aussagen noch zu ungenau. Außerdem erschwert die kleine Anzahl der bei der PID entnommenen Zellen eine präzise Übersicht über das embryonale Erbgut und die notwendigen Berechnungen.

Tellier zufolge hat Genomic Prediction jedoch eine verbesserte Analysemethode für embryonale DNA entwickelt, die viele Einzeltests zusammenführt. Das Verfahren soll die polygenetischen Ranglisten als Entscheidungsgrundlage für die künftigen Eltern erstellen. Details will der Geschäftsführer allerdings nicht verraten.

Geschult wurde das Vorhersagemodell durch die im vorigen Juli veröffentlichten Daten aus der großen Populationsstudie der UK Biobank. Die britische Initiative verfügt über die medizinischen Akten sowie genetische Informationen von 500000 Menschen mittleren Alters (siehe auch Seite 68). Zum Material gehört unter anderem für jeden Beteiligten eine Karte mit 800000 Einzelbasen-Mutationen. Diese Single Nucleotide Polymorphisms (SNP) geben die Stellen an, an denen sich das Genom von dem anderer leicht unterscheidet.

Diese Daten erlauben es theoretisch, Zusammenhänge zwischen genetischen Mustern und Krankheitsrisiken herzustellen. Am Beispiel der Körpergröße konnte Genomic Prediction dies tatsächlich zeigen. Aus Gendaten schlossen sie mit einer Genauigkeit von drei bis vier Zentimetern auf die Körpergröße. Damit will das Unternehmen Tellier zufolge Embryonen identifizieren, die als Erwachsene nicht die Größe von 1,50 Metern erreichen und damit kleinwüchsig bleiben würden.

Auch wenn die Analysen nicht zu 100 Prozent akkurat sind, dürften sie werdende Eltern beeinflussen – besonders bei Krankheiten, die spürbar das Leben beeinträchtigen. Kinder von Vätern mit Diabetes Typ 1 etwa haben im Schnitt eine 17-prozentige Wahrscheinlichkeit dafür, ebenfalls zu erkranken. Selbst ein fehleranfälliger Prädiktor könnte diese Wahrscheinlichkeiten für den Nachwuchs effektiv senken.

Gleichzeitig offenbart sich damit aber auch die äußerst kontroverse Seite des Projekts. Funktioniert die Analyse, ließe sich vielleicht bald auch auf Hautton oder sogar Intelligenz eines Embryos schließen. Treff ist sich der ethischen Brisanz vollauf bewusst. "Ich erinnere meine Firmenpartner daran, dass ich nicht hier wäre, wenn es unseren Test damals schon gegeben hätte", sagt der Forschungsleiter von Genomic Prediction.

Sein Mitgründer Stephen Hsu erwartet indes gesellschaftliche Debatten darüber, ob die Entscheidung für einen Embryo aufgrund seiner prognostizierten Intelligenz legal sein soll oder nicht: "Länder werden Referenden darüber abhalten." Hsu hat sogar bereits geprüft, ob ein genetischer Intelligenztest möglich wäre und im Erbgut nach Hinweisen auf überlegene Intelligenz gefahndet. Auch anhand der Gendaten aus der UK Biobank versuchte er zu bestimmen, wie weit die 500000 britischen Probanden in der Schule gekommen waren. Allerdings waren die Ergebnisse nicht annähernd so vielversprechend wie bei der Größe.

Jenseits aller ethischen Bedenken offenbaren sich damit auch die Grenzen der Technologie. Einige Experten halten es schlicht für verfrüht, polygenetische Bewertungsverfahren jetzt schon heranzuziehen. Matthew Rabinowitz, Geschäftsführer des Pränataltest-Start-ups Natera, glaubt zwar grundsätzlich an die Zukunft der Technik. Er befürchtet jedoch, die aktuellen Vorhersagen könnten "grob irreführend" sein. Die DNA-Modelle funktionierten einfach noch nicht gut genug. Ein Grund sei, dass die zugrunde liegenden Computermodelle hauptsächlich auf den Daten von Nordeuropäern basieren. Sie könnten also für Asiaten oder Afrikaner ungeeignet sein, deren Mutationsmuster sich von denen der Europäer oder Menschen mit gemischter Herkunft unterscheiden.

Kritisch äußert sich auch Manuel Rivas, der an der Stanford University die Genetik von Morbus Crohn erforscht. Schließlich hätten Umwelteinflüsse auf die meisten körperlichen Eigenschaften einen ebenso großen Einfluss wie die Gene.

Trotzdem glaubt Hsu, dass "die Milliardäre und Silicon-Valley-Typen" zu den Pionieren bei dieser Art von bewusst gewählter, freiwilliger künstlicher Befruchtung gehören werden. Und er hofft unverhohlen: Je mehr gesunde und außergewöhnliche Kinder sie dann bekommen würden, desto eher würde der Rest der Gesellschaft es ihnen gleichtun.

(bsc)