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Was war. Was wird. Von Hausmeister Herrmann und Berliner FUD

In München gingen Zehntausende gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz auf die Straße. Das macht Mut, findet Hal Faber.

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Was war. Was wird.

(Bild: heise online/Ermert)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Schön war's: In München haben 30.000 Menschen gegen das geplante bayerische Polizeiaufgabengesetz demonstriert. Nach Angaben der Organisatoren könnten es gar 45.000 gewesen sein, weil Demonstranten noch zum Versammlungsplatz strömten, während schon die Schlusskundgebung am Odeonsplatz lief. Das ist eine Ansage, die Mut macht. "Zertreten des Grundgesetzes verboten", stand auf einem der in Deutschland so beliebten gelben Verbotsschilder. Hausmeister Herrmann, der in Bayern sein Trampel-Gesetz gar für eine bundesweite Ausdehnung empfehlen möchte, verlor die Fassung und sprach von einer Lügenpropaganda der Organisatoren, die manch unbedarfte Menschen in die Irre geführt habe. Die Menschen als unbedarft zu bezeichnen, die sich Sorgen um den Zustand der Demokratie und der demokratischen Freiheiten in Deutschland machen, zeigt klar, wie bedürftig das Politikverständnis von Joachim Herrmann ist.

*** Erwähnenswert auch die dürftigen Rechenkünste des CSU-Abgeordneten Michael Kuffer, der 0,3 Prozent der Wahlberechtigten am Demonstrieren sah und daraus schlussfolgerte, dass die Bayern geschlossen hinter einem Gesetz stehen, das aus Bayern einen Polizeistaat macht. Jawohl, ein Polizeistaat: wer bei einer nicht näher definierten drohenden Gefahr unbegrenzt präventiv eingesperrt werden kann, wessen Computer und Smartphones nach belieben durchsucht werden können, ist dem Gutdünken oder Böswollen der Polizei ausgesetzt.

*** Bekanntlich gibt es mehrere Verfassungsklagen gegen das Polizeiaufgabengesetz. Am Ende könnten acht Richter über ein Gesetz einscheiden, dann müsste Michael Kuffer von der Prozentrechnung auf die Promillerechnung umschalten. Für Bayern bleibt die Frage, ob das Wackersdorf-Gefühl der Demonstranten bis zur Landtagswahl trägt. Immerhin hat Ministerpräsident Markus Söder eine Kommission angekündigt, die die Einführung des Polizeiaufgabengesetzes "kritisch begleiten" soll. Außerdem sollen "Dialogprozesse" mit Schülern und Studenten geführt werden: die weiß-blaue Geschmeidigkeit lässt grüßen.

*** Für andere Bundesländer, in denen die Polizeigesetze gegen "drohende Gefahren" aufgemöbelt werden sollen, stellt sich die Frage, ob man nicht auch ein paar 10.000 Menschen dazu bringen kann, den Sicherheitskoller deutscher Politik zu stoppen. 10.000 ist übrigens eine historische Zahl: so viele Menschen kamen vor 50 Jahren beim Marsch auf Bonn zusammen, um gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze zu protestieren. Damals wurde das Abhören der Telefon- und Fernschreibkommunikation durch Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst sowie das Aufbrechen des Postgeheimnisses legalisiert, sofern der bloße Verdacht besteht, das Staatswohl der Bundesrepublik könnte gefährdet sein. Die "drohende Gefahr" von Herrmann und Söder lässt grüßen.

*** Bis zu den Notstandsgesetzen durften allein die drei Besatzungsmächte in Deutschland Telefongespräche abhören und das Postgeheimnis brechen. Im Jahre 1964 verplapperte sich der Innenminister und CSU-Politiker Hermann Höcherl, als er erklärte, dass die befreundeten Dienste der Franzosen, Engländer und Amerikaner auf Zuruf auch Überwachungswünsche der deutschen Schnüffler ausführten. Mit den Notstandsgesetzen bekamen diese freie Hand, die umso freier war, weil gegen die Überwachungsmaßnahmen keine Rechtsmittel eingelegt werden konnten. Denn man richtete eine geheim tagende G10-Kontrollkommission ein, die aus drei Personen bestand und deren Beschlüsse ebenfalls geheim blieben.

*** Der "klare Verfassungsbruch" – so damals der FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher – im Namen der Staatsräson ist seitdem tragender Bestandteil unserer Rechtsordnung und steckt in den zeitgenössischen Maßnamen wie der "Quellen-TKÜ", der Installation von geheimen Online-Durchsuchungsprogrammen oder dem Ausschnüffeln durch Interpol. Was das soll, weiß nur die zuständige G10-Kommission des Bundestages, zu unserem aller Staatswohlsein.

Heute wird das etwas anders ausgedrückt: "Der Schutz vor allem der technischen Fähigkeiten der Bundesbehörden stellt für die Aufgabenerfüllung der Bundesbehörden einen überragend wichtigen Grundsatz dar. Er dient der Aufrechterhaltung der Effektivität – insbesondere nachrichtendienstlicher – Informationsbeschaffung durch den Einsatz spezifischer Fähigkeiten und damit dem Staatswohl. Auch sind Erkenntnisse über Analysefähigkeiten von Sicherheitsvorfällen und Maßnahmen zur Sicherung von IT-Systemen betroffen."

*** Gegen die datensammelnde Tätigkeit des Bundesnachrichtendiensters hat "Reporter ohne Grenzen" auf der Re:publica einen Bitte Nicht Durchleuchten-Generator vorgestellt. Ob er auch Nicht-Journalisten mit ihren Auslandskontakten hilft, das sei dahingestellt. Jedenfalls ist die Idee nicht schlecht, den Geheimdiensten aufzuzeigen, dass ihre Speicherei Grenzen hat.

*** Klare Grenzen hatte die Re:publica der Bundeswehr gesetzt, die einen Stand in der Station Berlin haben wollte. Davon berichtete die letzte Wochenschau. Hier sei noch nachgetragen, dass die Nachspiele längst nicht zu Ende sind. Mittlerweile wird debattiert, ob die Darstellung des Soldatensenders Radio Andernach einen Fall von Fake News darstellen. Die Materialsammlung zu diesem Thema dürfte glatt einen Platz in der Ehrengalerie soldatischer Informationsarbeit bekommen.

*** Auch bei der Polizei, dieser anderen Uniform tragenden Truppe unseres Staates, geschehen interessante Dinge. In Berlin gibt es ein in dieser Wochenschau bereits mehrfach erwähntes Aktionsbündnis für Videoaufklärung. Es möchte das Sicherheitsempfinden durch Videokameras aufpäppeln, die überall dort installiert werden sollen, wo es "Probleme" gibt. Die schrankenlose Videoüberwachung soll mit einer Pauschalerlaubnis durchgesetzt werden, die bereits als verfassungswidrig bewertet wurde.

*** Nun hat die Berliner Polizei im letzten Jahr für 170.000 Euro zwei Anhänger mit flexibler Videotechnik gekauft und mal am Alexanderplatz, an der Warschauer Brücke und am Kottbusser Tor aufgestellt und ein halbes Jahr lang getestet. Jetzt wird über die Wirksamkeit diskutiert, obwohl die Kameras gerade einmal 78 Minuten in Betrieb. Als "nutzlose Sackkarren" werden die Kameras vom Aktionsbündnis für Videoaufklärung bezeichnet. Als "teure Sackkarren" werden sie von der deutschen Polizeigewerkschaft bezeichnet. Ein Herz und eine Seele und eine Sprecherin, die darauf setzt, dass der angestrebte Volksentscheid die Sache richtet.

So geht es munter in die nächste Woche. In Berlin findet dann die Critical Communications World statt, mit modernster Polizei- und Kommunikationstechnik. Airbus hat eine Lösung angekündigt, wie eine Video-Drohne Bilder anfertigt, die bei der Einsatzleitung mit automatischer Gesichtserkennung ergänzt werden können. Alles freut sich auf den 5G-Funk, mit dem die Überwachung in der Stadt auf ein neues Niveau gehoben werden kann, ganz wie im schönen Singapur, wo sich Kim Jong-Un und Trump Donald treffen wollen. Zudem gibt es einen Taktik-Tag, an dem unter anderem die Kommunikation am G20-Gipfel beschrieben wird, als die Drohnenabwehr von ESG und Rohde & Schwarz dafür sorgte, dass kein Gebrumm von Drohnen die Gipfelruhe störte.

In Berlin geht es denn auch mit einem seltsamen Vorgang weiter: Im IT-Bereich ist er als FUD bekannt, als Streuen von Furcht, Ungewissheit und Zweifeln. Zuerst hat Gesundheitsminister Jens Spahn damit begonnen, die Telematik des Gesundheitswesens für veraltet und inakzeptabel zu erklären, dann folgte die Bundeskanzlerin mit schnippischen Bemerkungen zum "Experiment" der elektronischen Gesundheitskarte. Aktuell ist Digital-Staatssekretärin Dorothea Bär dabei, unter Verweis auf Finnland das Ganze zu torpedieren: "Die speichern Informationen wie über Arztbehandlungen, Laborwerte, Krankenhausaufenthalte und Verschreibungen in einem nationalen Archiv für Arztdaten. Deshalb bin ich froh, dass wir mit Jens Spahn einen mutigen Gesundheitsminister haben, der disruptiv sagt: Jetzt noch mal alles auf Null – auch, wenn es einen Aufschrei geben wird."

Disruption jetzt, Bedenken später. Prompt gibt es dann vom großen Disruptor eine Richtigstellung. Aber eben auch mit dem nächsten Tritt: "Aber wenn jemand sagt, ich möchte auch per Handy, auf dem Smartphone per App auf meine Daten zugreifen können, dann kann man sich auch möglicherweise für ein, zwei Standards niedriger entscheiden". Was ist schon Datenschutz und Datensicherheit. Darf's ein bisschen niedriger sein?

(vbr)