Für Zucker steht die Ampel auf Rot

Deutschland schreckt vor Maßnahmen zurück, mit denen die Gesellschaft der Fehlernährung von Kindern begegnen könnte. Jetzt fordern mehr als 2000 Ärzte in einem offenen Brief zum Handeln auf.

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  • Inge Wünnenberg

Ein freies Land und freie Bürger. Schon klar. Trotzdem gibt es Verbote, etwa für Drogen. Fahren ohne Führerschein ist auch nicht erlaubt. Kurz und gut: Für viele alltägliche Angelegenheiten existieren gesetzliche Regelungen. Vor allem, wenn der Eindruck herrscht, etwas sei schädlich. Wer regt sich heutzutage noch über Rauchverbote in Kneipen oder bei Konzerten auf? Aber die Ernährung wird in deutschen Landen wie eine heilige Kuh behandelt. Wenn die Menschen Schaden durch den Verzehr von zuviel Zucker, Fett oder Fleisch nehmen, gilt das als Privatsache.

Eine von Verbraucherschützern und SPD favorisierte Ampel-Kennzeichnung für Lebensmittel in den Farben Rot, Gelb und Grün – je nach Gehalt an Zucker, Salz und Fetten – lehnt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zum Beispiel ab. Das berichteten die Westfälischen Nachrichten auf ihrer Webseite. Inzwischen aber regt sich der Unmut gut informierter, verantwortungsbewusster Beobachter: Insgesamt 2061 Ärzte – darunter vor allem Kinderärzte, aber auch Diabetologen und Professoren – haben Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt in einem offenen Brief aufgefordert, "ernst zu machen" mit der Prävention von Fettleibigkeit, Diabetes und anderen chronischen Krankheiten.

Wie die Ärzte Zeitung online berichtet, gilt Fehlernährung heute als wesentliche Ursache für Leiden, die man früher bei Kindern nur selten erlebte. "Als Kinderärzte werden wir heute mit Krankheiten konfrontiert, die ich in meiner Weiterbildung nie gesehen habe: Altersdiabetes, hoher Blutdruck, Muskel- und Skeletterkrankungen, die auf Übergewicht zurückgehen", sagt Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte.

Längst haben es nicht nur mehrere amerikanische Städte, sondern auch etliche Länder vorgemacht – dass gesetzliche Regelungen möglich sind und dass sie auch Erfolg haben. Ein herausragendes Exempel hat zum Beispiel Chile mit seiner Gesetzgebung von 2016 statuiert: Dort sind seither Warnhinweise in Form von Stoppschildern Pflicht. Sie sind, wie Zeit Online informiert, auf Lebensmitteln anzubringen, die reichlich Zucker, gesättigte Fette, Salz oder eben Kalorien enthalten. So zieht beim Zuckergehalt ein Anteil von 10 Gramm Zucker auf eine Menge von 100 Gramm eine solche Kennzeichnung nach sich.

Doch nicht nur das: Vor allem wurde die Werbung eingeschränkt. Mit Warnlabeln gekennzeichnete Produkte dürfen nicht mehr gezielt bei Kindern unter 14 Jahren beworben wrden. Darüber hinaus sind Kombinationen mit Spielzeug wie bei McDonald's und den Überraschungseiern oder mit Comic-Helden bei Frühstückscerealien verboten. Das sind nur einige Beispiele für diverse Maßnahmen. Zu den interessantesten Ergebnissen aber zählen die Gegenstrategien der Lebensmittelindustrie: Laut Zeit Online haben Hersteller durchaus ihre Rezepturen verändert und den Anteil der kritisierten Bestandteile reduziert. Das gehört vielleicht zu den größten Erfolgen dieses bewundernswerten staatlichen Vorstoßes. Nur reden und lamentieren nützt nichts. In der Regel führen erst Taten zu Veränderungen.

(inwu)