Von Sokrates zum Smartphone: Warum Menschen auf die Jugend schimpfen

Faul und respektlos soll sie sein, die "Jugend von heute": Beschwerden darüber gibt es schon immer. Auch heute nimmt das Jammern kein Ende. Warum eigentlich?

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Von Sokrates zum Smartphone: Warum Menschen auf die Jugend schimpfen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christina Peters
  • dpa
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Sie lieben den Luxus, ärgern die Lehrer und lümmeln herum – mehr als 400 Jahre vor Christus hatte der griechische Denker Sokrates angeblich viel an den jungen Leuten seiner Zeit auszusetzen. "Die Jüngeren stellen sich den Älteren gleich und treten gegen sie auf, in Wort und Tat", moserte dann sein Schüler Platon. Und als Platons Zögling Aristoteles erwachsen war, sah es noch düsterer aus: Er verzweifle an der Zukunft der Zivilisation, wenn er die Jugend sehe, wird der entnervte Philosoph zitiert.

Kritik an der Jugend ist ein uraltes Phänomen – und heute noch sehr beliebt. Seit Tausenden von Jahren bekritteln Erwachsene die junge Generation, fürchten den Verfall der Sitten. Heute geht es oft um die sogenannten Millennials. Die 1980er und 1990er Jahrgänge seien faul, selbstmitleidig, besessen von Selfies, sozialen Netzwerken und Superfoods – verhätschelte Narzissten, die glaubten, es gebe 165 Arten geschlechtlicher Identität, stänkert etwa ein britischer Journalist.

Griechen, Römer, Mittelalter, Moderne – immer sind es die gleichen Beschwerden und Beschwörungen. "Wohin sind der männliche Elan und das athletische Aussehen unserer Vorfahren verschwunden?", klagt 1772 ein englisches Magazin über die Mode der jungen Männer. "Diese verweiblichten, selbstverliebten, ausgemergelten Narren können niemals direkt von unseren Helden abgestammt sein."

"Vor dem Alten Griechenland war es das Alte Ägypten, davor das Alte Mesopotamien. Es gibt aus vielen antiken Kulturen Belege für diesen Stereotyp der respektlosen jungen Männer", sagt der britische Althistoriker Matthew Shipton. Er hat den Zoff zwischen den Generationen im antiken Athen erforscht: "Man findet dort ziemlich viel von dieser Vorstellung, die wir heute auch noch kennen: Alles wird immer schlechter, man lebt in der schlimmsten aller Zeiten und Kinder respektieren ihre Eltern nicht mehr." Spätestens mit dieser Generation geht es bergab, denkt jede Generation – und das offensichtlich schon seit Menschengedenken.

David Finkelhor hat ein Wort dafür erfunden: Juvenoia. Darin stecken die Bestandteile juvenil und Paranoia – das steht für die Angst vor der Jugend und zugleich auch die Angst um die Jugend. "Es geht um die übertriebene Besorgnis vor dem Effekt, den soziale Veränderungen auf Kinder haben", erklärt der Soziologe, der seit Jahrzehnten an der US-Universität New Hampshire über Jugendschutz forscht. "Wir ziehen gerne den Schluss, dass es schlecht um unsere Kinder steht. Und dass das wiederum unserer Gesellschaft schaden wird."

"Auf ihrem Höhepunkt kennt die Jugend nur die Verschwendung, ist leidenschaftlich dem Tanze ergeben und bedarf somit wirklich eines Zügels", warnte der Grieche Plutarch im ersten Jahrhundert. Im 20. Jahrhundert sei der Ton in sozialwissenschaftlichen Standardwerken ähnlich, sagt Günter Mey, Professor für Entwicklungspsychologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal. "Es ist häufig ein extrem negativer, defizitärer Blick, immer schon gedacht von der Ziellinie einer etablierten, erwachsenen Person." Der junge Mensch wird als unfertiger Erwachsener gesehen – schlimmstenfalls gefährlich, nie ernstzunehmend.

Finkelhor vermutet: Als Spezies, die sich in recht stabilen Verhältnissen entwickelt hat, haben Menschen schon evolutionär bedingt Angst vor Veränderungen. "Auf einer gesellschaftlichen Ebene geht es darum, dass ich Hüter bestimmter Werte oder Institutionen bin, die ich bewahren will", erklärt der Soziologe. "Und ich gehe dann davon aus, dass diese jungen Leute sie angreifen, abschaffen oder untergraben werden." Je rasanter die Veränderung, desto abwehrender die Reaktion: Die Jungen sind schuld. (tiw)