Schutz vor radioaktiven Strahlen

Bärtierchen überstehen komplette Austrocknung und starke Radioaktivität. Die winzigen Achtbeiner haben dazu einen bisher unbekannten Schutzmechanismus an ihren Genen. Wissenschaftler konnten ihn nun in menschliche Zellen einschleusen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nike Heinen

Wenn jemals ein Superheld aus den Marvel-Comics entsprungen ist, dann muss es dieser kleine Kerl sein. Äußerlich ist er vollkommen unscheinbar. Aber wenn der Tag kommt, an dem die Erde austrocknet, dann überlebt er. Verseucht eine Chemiekatastrophe die Umwelt – er überlebt. Gibt es einen radioaktiven Unfall, dann ist der kleine Kerl? Genau: immer noch da. Durst, Chemikalien oder Strahlung, nichts kann ihm etwas anhaben. Warum? Lange haben Wissenschaftler nach dem Geheimnis der sogenannten Bärtierchen gesucht, einer Gruppe von etwa einen Millimeter langen Krabbeltieren mit rundlichem Körper und acht Stummelbeinchen. Kürzlich sind Forscher des Biologischen Instituts der Universität Tokio fündig geworden: 2017 entdeckten sie eine Schutzhülle, die um sein Erbgut gebreitet ist und dort alle schädlichen Einflüsse abfängt. Nun hoffen sie, den Mechanismus medizinisch nutzen zu können.

Biologisch sind Bärtierchen ganz entfernt mit den Gliedertieren verwandt, mit Spinnen oder Hundertfüßern. Wer sie sucht, braucht einen Haufen Dreck – und eine Lupe: Sie sind Teil der Meiofauna, einer Zwischenwelt des gerade noch und gerade nicht mehr mit bloßem Auge Sichtbaren. Sie leben zwischen Moos oder alten Blättern, typischerweise in Lebensräumen, die nur gelegentlich nass sind und dann wieder für Monate trockenfallen. Wer dort eine Chance haben will, muss die Kunst der Wiederauferstehung beherrschen. Zum Beispiel indem er als Mumie abwartet, bis neues Wasser neues Leben bringt.

Die sorgfältig im Kern jeder tierischen Zelle verpackte Erbsubstanz DNA ist allerdings nicht für derart harte Bedingungen konstruiert. Ihre Molekülketten, die den Code des Lebens tragen, brechen bei Wasserentzug entzwei. Auf dieselbe Weise werden sie zerstört, wenn bestimmte Chemikalien oder radioaktive Strahlung in den Zellkern vordringen. In Tschernobyl beispielsweise starben Männer, die als sogenannte Liquidatoren in den ersten Tagen nach der Reaktorkatastrophe zum Aufräumen eingesetzt wurden, bei Strahlendosen von 2 bis 20 Gray. Bärtierchen hingegen überleben sogar tausend Gray.

Als Takekazu Kunieda, Molekularbiologe an der Universität Tokio, vor zehn Jahren ein Buch über Bärtierchen las, war er sofort fasziniert. „Sie können einfach so zwischen leben und (beinahe) tot hin und her wechseln“, sagt er. „Das ist unglaublich. Ich wollte sofort wissen, wie sie das machen.“ Bei Ramazottis varieornatus, dem strahlungstolerantesten aller bisher bekannten Bärtierchen, stieß er auf ein bisher unbekanntes System zum Schutz der DNA: ein Protein, das sich wie ein Superhelden-Cape auf das Erbgut legt. Eine Seite des sogenannten Dsup ist durch elektrische Anziehung an der DNA befestigt, die andere Seite flattert locker herum – und schirmt sie so vor schädlichen Einflüssen ab.

Anschließend versuchte Kuniedas Kollege Takuma Hashimoto, die Superkräfte auf menschliche Zellen zu übertragen. (inwu)