Kommentar: Die Offline-Innovation – der Fotografie-Monatsrückblick

Einmal im Monat lässt unser Autor Andreas Kesberger die Foto-Nachrichten der vergangenen Wochen Revue passieren - dieses Mal im Zwangsurlaub vom Internet.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Kommentar: Die Offline-Innovation – der Fotografie-Monatsrückblick
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Andreas Kesberger
Inhaltsverzeichnis

Offline. Eigentlich sollte dieser Text ganz anders beginnen. Hat er auch. War nur ein anderer. Vor allem ein anderer Anfang. Doch der steckt in der Cloud und ich komm da gerade nicht hin. Wolke sieben ist ja wunderbar, aber wenn man selbst gerade auf Wolke sechs ist, nützt einem das gar nix. Die Störung ist erkannt. Auch schön. Und die Techniker arbeiten daran. Vielleicht so erfolgreich wie die deutschen Techniker gegen Mexiko. Aber da jetzt gerade noch drei Stunden bis zum Spiel gegen Südkorea sind, besteht zumindest die Hoffnung, dass wenigstens die Telekomtechniker hochmotiviert sind, das alsbald zu beheben. Erstens wollen sie bald nach Hause und zweitens zittert die Hotline bestimmt vor den Tumulten, die um 16 Uhr ausbrechen, wenn der Livestream nicht läuft. Nicht auszudenken, wenn da jetzt ein rachsüchtiger Holländer an der Leitung rumschraubt.

Ein Kommentar von Andreas Kesberger

Andreas Kesberger ist Fotoingenieur, Autor und Geschäftsführer der Fotopioniere in Berlin. Da er sich seit seinem Studium intensiv mit fotografischen Haltbarkeitsfragen beschäftigt, dreht sich diese Kolumne allmonatlich um das, was vom aktuellen Fotomonat haltbar oder einfach nur übrig bleibt.

Dabei ist ja eigentlich genau jetzt die perfekte Offline-Zeit. Während der WM denkt sowieso niemand ans Einkaufen jenseits von Chips und Bier, Fotografieren sollen ruhig nur die im Stadion und dann gleiten wir danach einfach nahtlos in die Sommerferien über. Daueroffline, zumindest solange die Speicherkarten tragen.

Interessiert sich gerade jemand für Fotothemen? Die Regierung fährt sich selbst an die Wand und selbst das tritt in den Hintergrund, wenn Kroos in der Nachspielzeit doch noch trifft. In den Winkel treffen, kann man das als Kamerahersteller eigentlich noch? Nikon und Canon versuchen es ja gerade, man kriegt nur noch nichts davon zu sehen. Scheint wohl ein geheimer Masterplan zu sein.

Ein Glück, dass die USA nicht gerade zu den Top-Kameraherstellern gehören. Da werden Schutzzölle eher nicht zum Hindernis beim nächsten Kamerakauf. Und so lange Trump niemand steckt, wie toll Leica-Kameras sind, wird er ihre Einfuhr auch kaum verteuern. Und wenn doch? Dann gäbe es endlich mal überzeugende Gründe für die Preisgestaltung. Wäre nur lustig, wenn jetzt die Leica CL plötzlich teurer wird als die übrigen Kameras, weil sie mehr als Alublock behandelt wird.

Knapp vorbei - am Tag des Südkoreaspiels wurde das Sony 2,8/400 doch noch vorgestellt.

(Bild: Andreas Kesberger)

Immer noch offline. Offline ist irgendwie auch die Fotoindustrie. Derweil surren im Stadion die Canon- und Nikon-Boliden. Sony hat sein 2,8/400 einfach nicht rechtzeitig fertig bekommen. Es ändert sich gerade nichts. Und die aktuellen Neuheiten hauen keinen so richtig vom Hocker. Gitzo hat einen L-Winkel speziell für Sony Alpha-Kameras vorgestellt. Den hat Really Right Stuff ja schon lange, aber angesichts der politischen Entwicklung ist es vielleicht schlau, dass Europa langsam autark wird. Was soll man auch mach aus dem ganzen Aluminium, dass den Amis jetzt zu teuer wird. Da fräsen wir doch einen Kamerawinkel draus.

Noch innovativer als ein L-Winkel ist eine neue Wasserwaage von Linhof für die Technika-Frontstandarte, etwa 80 Jahre nach Vorstellung der Kamera. Bei Innovationen macht uns so schnell keiner was vor in Deutschland. Aber gut Ding will eben Weile haben. Doch genug gelästert, ist nämlich wirklich sehr praktisch das Ding. Sorgt sogar für bessere Fotos. Die Welt ist gerade schief genug.

Alublock oder Kamera - das ist hier die Frage.

(Bild: Andreas Kesberger)

Mal gucken wie das mit den DSLRs bei der nächsten WM aussieht. Jogi kann ja auch nicht ewig Bundestrainer sein. Der Rest der Fotoindustrie wartet auf die Photokina und wer bis dahin nicht fertig ist, zeigt seine Sachen dann halt auf der nächsten Photokina acht Monate später. Keep cool. Bleib offline. Wo ist eigentlich dieser blöde USB-Stick mit dem ich ins Netz komme? Im Zuge der Dauer-WLAN-Bewellung ist der irgendwie in der Kramschublade ganz nach hinten gedriftet. Aber dafür extra aufstehen? Hey, es ist Sommer. Eh viel zu langsam das Ding. Mit der Einstellung wird das nix gegen Südkorea.

"Fehler: Server nicht gefunden." Wozu das ganze Gedöns mit der Datenschutzverordnung, wenn man hinterher eh nicht ins Netz kommt. Ist wahrscheinlich ein Schutz vor einem russischen Hackerkommando. Aber die gucken jetzt auch gerade Fernsehen. Offline sein ist wie analog fotografieren. Und wenn ich die Bilder danach in der Dunkelkammer vergrößere und nur an die Galeriewand hänge, kann mich die ganze DSGVO kreuzweise. Ich muss dann nur noch eine Druckerei finden, die noch im Bleisatz den Katalog druckt. Okay, ich gebe mich geschlagen.

Das schöne ist, wenn man gar keine Webpräsenz hat: Dann merkt es auch keiner, wenn sie mal ausfällt oder wegen des Kontaktformulars einem Abmahnangriff nicht mehr standhält. Arca Swiss hält das schon immer so. Was Stativköpfe und Fachkameras angeht, innovativ bis zum Gehtnichtmehr. Was die Präsenz dieser Innovation angeht, eher destruktiv. Aber wenn man lange genug nix tut, dann stellt irgendwann der Handel für einen die Produkte ins Netz. Und während ich hier meinen Offline-Gedanken nachhänge, frag ich mich, ob das jetzt eigentlich gut oder schlecht ist ist, wenn man nicht dauernd die Social-Media-Trommel rührt und dann einfach nicht mehr da ist. Genau das ist nämlich Arca Swiss passiert.

Noch ein geniales Vermächtnis - der Arca Swiss p0 Hybrid .

(Bild: Andreas Kesberger)

Und jetzt kommt der traurige Teil dieses Monatsrückblicks. Arca Swiss ist natürlich immer noch da und wird hoffentlich noch lange bestehen. Aber der Chef von Arca, Martin Vogt, ist vor kurzem völlig überraschend gestorben. Das war zwar schon im vorletzten Monat, aber es hat bis zu diesem Rückblick gedauert, bis mich das erreicht hat. Ganz klassisch per Telefon von einem geschockten Kollegen. Ohne Arca würden wir heute alle immer noch mit unterschiedlichen Kameraplatten für unsere Stativköpfe rumrennen. In China könnten viele Entwicklungsabteilungen zugemacht werden, die sich vermutlich nur damit beschäftigen, die neusten Köpfe nachzubauen. Und wer jemals wieder den Weg zu optischer Bank und Planfilm zurückfindet, wird sich sehr wundern, wie leicht und einfach das längst funktioniert. Das alles ist Arca und der Mann, der das in den letzten Jahrzehnten so genial entwickelt hat, ist jetzt nicht mehr da. Da geht der Fotowelt gerade mehr verloren als sie bislang verstanden hat.

Aber ohne Google gibt es keine Schockzustände in der Foto-Community, sondern nur ein paar fassungslose Eingeweihte. Was Google nicht sieht, passiert nicht. Es ist mir schon megapeinlich, dass ich unter Martin Vogt via Suchermaschine – damals, als ich noch ins Netz kam – sehr schnell bei einer Reklamation von 2001 lande, nur weil der Kunde meinte, er müsste die überwiegend vermeintlichen Fehler direkt in ein internationales Forum posten, anstatt das via Händler und Hersteller direkt zu klären. Und der Händler war ich. Ich hätte ihm ja erklärt, dass der Winkelspiegel kein blaues Sucherbild mehr liefert, wenn man nur die Schutzfolie abzieht. Jessas, so alte Kamellen. Wahrscheinlich sind wir alle nur deshalb dauernd auf Facebook und Co. unterwegs, damit all das olle Zeug wieder überlagert wird. Nicht auszudenken, wenn diese Kolumne einfach stehen bleibt. Aber selbst für die müsste ich ja selbst erst wieder online sein. Oh, geht wieder. Aber jetzt kommt Fußball. (msi)