Wem gehört das Wissen?

Eine Expertenrunde machte sich auf dem Kongress "Gut zu Wissen" Gedanken über die Zukunft des geistigen Eigentums.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 182 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Florian Rötzer

Das Paradox könnte größer kaum sein: Just in der so genannten Informations- oder Wissensgesellschaft sieht es nicht gut aus mit dem Grundrecht der Menschen auf Information und mit dem freien Zugang zum Wissen. Angesichts dieser unausgeglichenen Lage machte sich eine Expertenrunde auf dem Kongress Gut zu wissen. Links zur Wissensgesellschaft der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin am letzten Wochenende Gedanken über Gegenstrategien.

Noch nie hat es einen Ökonomen von Belang gegeben, der für den Patentschutz eintrat und ihn als innovationsfördernd beschrieb. Dass das Patentregime trotzdem ins Leben gerufen und rechtlich sanktioniert wurde, wertete Bernd Lutterbeck, Professor für Informationsrecht an der TU Berlin als "Sieg der Juristen und Protektionisten". Politiker lassen sich nach Ansicht Lutterbecks aber nach wie vor zu schnell von Firmen wie Microsoft einlullen, die auf die traditionellen Eigentumsregime aufsetzen, um ihre Interessen zu verfechten. Die "sind aber nicht die Interessen der Allgemeinheit", so Lutterbeck, und nicht einmal die der europäischen Softwareindustrie. Der Leiter der Patentabteilung von SAP habe ihm jedenfalls erst kürzlich versichert, dass seine Firma eigentlich keine Softwarepatente brauche. Eine Patentstrategie hätten die Walldorfer nur aufgebaut, um den Wettbewerbern im amerikanischen Markt etwas entgegensetzen zu können.

Ganz ein Kind seiner Zeit ist für Rainer Kuhlen, Professor für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz, auch das Urheberrecht. Kuhlen sieht das auf europäischem und US-amerikanischem Boden entstandene Urheberrecht angesichts der fortschreitenden Globalisierung als "obsolet" an. Andere Völker und Kulturräume hätten ein ganz anderes Verständnis von "intellektuellem Eigentum". "Wir erdreisten uns", kritisiert der am Forum Information Ethics der Unesco beteiligte Forscher, "unser historisch begrenztes Weltbild der ganzen Welt überzustülpen."

Der kleinste gemeinsame Nenner lautet für Kuhlen daher: Radikal die sich aus dem Urheberrecht ableitenden Verwertungsrechte "aufgeben und alles frei ins Netz stellen". Angesichts der "fortschreitenden und unaufhaltsamen Kommerzialisierung weiter Wissensbereiche", forderte der Wissenschaftler die Politik auf, "neue öffentliche Foren des freien Informationsaustausches zu ermöglichen", statt der Informationswirtschaft weitere Zugeständnisse zu machen. Konkret wünscht sich Kuhlen die "Einrichtung und den Betrieb öffentlicher Wissenschafts-, Kultur- oder Ausbildungs-Server" mit offen zugänglichen Ressourcen. Als wegweisend betrachtet er die jüngst bekannt gegebene Entscheidung des Massachusetts Institute of Technology, mittelfristig fast die kompletten Lehrinhalte zur freien Nutzung für jedermann im Netz anzubieten.

"Wir beschäftigen in Zukunft keine Bibliothekare mehr, sondern Hacker", kündigte Gabriele Beger, Direktorin der Berliner Stadtbibliothek, auf dem Panel in Berlin daher halb ernst, halb ironisch gemeint an. Die Rolle der Bibliotheken als "Garanten des Wissens" ist für sie gefährdet. Ihre Hoffnung ist, dass immer mehr Autoren an den Verlegern vorbei das Netz als Vertriebsweg für ihre Arbeiten entdecken. Ein wenig rosiges Bild der Zukunft der Wissensgesellschaft zeichnete Andy Müller-Maguhn, ICANN-Direktor und Sprecher des Chaos Computer Clubs. Seiner Ansicht nach sind die Politiker gerade dabei, soziale Bedingungen zu schaffen, in denen alle Möglichkeiten der Nutzer zum freien Informationsaustausch kriminalisiert werden. Denn gleichzeitig mit dem Vordringen von Lösungen rund ums Digital Rights Management "wird der Überwachungsstaat installiert". (Stefan Krempl)

Mehr in Telepolis: Die Nutzer brauchen eine Lobby. (fr)