Die Mutter der Sternschnuppen

Die Japanerin Lena Okajima will mit ihrem Start-up künstliche Sternschnuppen erzeugen – und damit der Forschung helfen.

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Die Mutter der Sternschnuppen

Lena Okajima steht kurz vor
der Verwirklichung eines Projekts, das Experten schon als
unmöglich abgetan haben.

(Bild: Foto: Loulou d'Aki)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Roland Fischer

Lena Okajima präsentiert sich ganz im Stile eines Science-Nerds, der Wichtigeres als Medientermine im Kopf hat: Sie hat das lange im Voraus vereinbarte Interview schlicht vergessen. Also erklärt ihr Kollege Josh Rodenbaugh die technischen Details des Star-ALE-Projekts. Als sich die zierliche junge Frau unter scheuen Entschuldigungen doch noch dazugesellt, braucht sie erst einmal ein paar Minuten, um richtig bei der Sache zu sein. Aber spätestens als sich das Gespräch um die astronomischen Hintergründe zu drehen beginnt, taut sie auf – und bringt die Physik-Absolventin zum Vorschein, die unversehens zur Chefin eines der meistbeachteten Start-ups in Tokio geworden ist. Unlängst hat sie eine japanische Zeitung sogar zum „Female CEO of the Year“ geadelt, weil sie so unbeirrt an einer Idee festhält, die man zunächst eigentlich nur für eine Spinnerei halten kann: „Space Entertainment“ mit Mikrosatelliten – so nennen sie es selber bei Star-ALE.

Mikrosatelliten boomen (siehe TR 6/2018, S. 50). Man kann mit ihnen allerlei nützliche und profitträchtige Dinge anstellen: die Erdoberfläche vermessen, Fotos schießen, Internet in abgelegene Gegenden bringen. Man kann aber auch allerschönsten Unsinn mit ihnen treiben, indem man sie auf gut 350 Kilometern Höhe gewissermaßen eine trabantische Notdurft in Form von kleinen, blank polierten Köteln verrichten lässt. Star-ALE will zentimetergroße Metallkugeln vom Satelliten aus gegen die Flugrichtung abschießen. In dieser Höhe sind Gravitation und Luftwiderstand bereits so stark, dass die Kugeln binnen 15 Minuten auf gut 80 Kilometer Höhe fallen und mit einer Geschwindigkeit von etwa 7,5 Kilometern pro Sekunde in die Erdatmosphäre eintreten.

Und dann beginnt das Spektakel: Eine Serie lang und hell leuchtender Sternschnuppen am Nachthimmel über Tokio, New York oder München, je nachdem, wo und wann es der Auftraggeber möchte. Etwa vier bis fünf Sekunden später und 20 Kilometer tiefer sind die künstlichen Meteore verglüht. Und mit ihnen ein sechsstelliger Geldbetrag. Schön daran ist: Jeder im Umkreis von gut 200 Kilometern kann diese neuen Feuerwerke sehen. „Unsere Sternschnuppen werden zwar einiges kosten, aber zu sehen sind sie nicht nur für die Superreichen“, sagt Okajima.

Die Idee und ihre Gründerin haben letztes Jahr einiges an Aufmerksamkeit erhalten. Aber so richtig wohl scheint es ihr dabei nicht zu sein: Lena flüchtet rasch wieder hinter ihren Laptop. Sie zähle die Arbeitsstunden nicht, die sie in diesen Lebenstraum investiere, hatte sie gesagt – dabei hat die Jungunternehmerin auch noch eine Familie mit zwei Kindern zu schaukeln, und für Familiäres ist in Japan auch im Jahr 2018 eigentlich die Frau zuständig. Wie sie es schafft, das alles unter einen Hut zu bringen? Sie lächelt ein wenig und sagt: „Ich schaffe es eigentlich nicht.“ Und schiebt dann rasch nach, dass dieses Modell durchaus funktionieren kann, auch in Tokio, wenn man das rechte Team beisammen habe, inklusive einem Ehemann, der viel Betreuungsarbeit zu Hause übernimmt.

Der erste Satellit soll, wenn alles gut geht, noch dieses Jahr in seine Umlaufbahn geschossen werden und etwa zwei bis drei Jahre dort oben bleiben. Ausgestattet mit 400 sorgsam nach Farben und Brenndauer ausgewählten Kugeln, soll er im Frühling 2020 den Nachthimmel über Hiroshima erleuchten. Viele weitere Events sollen folgen, die Gespräche mit möglichen Kunden, unter anderem in den USA, laufen gerade an. In den nächsten Jahren sollen weitere dreißig Trabanten folgen, Huckepack mit anderer Nutzlast an Bord kommerzieller Raketen. Anbieter gebe es genug, meint Josh Rodenbaugh. So soll dann nach und nach eine ganze Star-ALE-Flotte um die Erde kreisen, inklusive einem größeren Kugelvorrat an Bord. Wenn alle Kugeln verschossen sind, werden die Satelliten durch eingebaute Triebwerke in eine Erdeintrittsumlaufbahn geschickt und verglühen selbst restlos.

(grh)