Lautlos telefonieren

Öffentlich telefonieren, ohne andere zu nerven oder intime Details auszuplaudern – daran arbeiten Forscher in Bremen und Grenoble.

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Lautlos telefonieren

(Bild: Foto: ©CSL/ Uni Bremen)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Susanne Donner

"Und dann ist er ausgerastet. Unglaublich.“ Wer solche Gesprächsfetzen eines Telefonats aufschnappt, ist sogleich hellwach und hört unwillkürlich mit, auch wenn der Anstand das Weghören fordert. Als Anrufer ist es einem mitunter peinlich, wenn das Umfeld ungefragt an den ganz privaten Dingen teilhat.

Technisch gäbe es für dieses Problem eine perfekte Lösung: die Lautlostelefonie. Ein Gerät erfasst die Muskelbewegungen der Kiefer und schließt daraus auf die geäußerten Worte. In der Öffentlichkeit dürfte die Mundgymnastik zweifellos für irritierte Blicke sorgen. Ob das aber die Technik ausbremst? Erstens haben wir uns auch an Telefonierer mit Freisprechanlage gewöhnt. Kaum einer hält die Nutzer noch für verrückt ins Selbstgespräch vertieft. Und zweitens wären die Gespräche vertraulicher, die Verständigung in lauter Umgebung fiele leichter.

Um das lautlose Sprechen zu erfassen, kleben Wissenschaftler der Universität Bremen ihren Probanden je vierzig Elektroden auf die Wange und unter das Kinn. Die Sensoren leiten die subtilen Änderungen der elektrischen Spannung ab, die aufgrund der Muskelbewegungen beim Sprechen auftreten (Elektromyografie). „Die Umwandlung von lautlos gesagten Sätzen in Text funktioniert schon sehr gut“, sagt der Elektroingenieur Lorenz Diener vom Cognitive Systems Lab in Bremen. Diesen Text kann eine Sprachsynthesesoftware dann vorlesen. Doch der Umweg über die Textversion verursacht eine Verzögerung zwischen Spracheingabe und -ausgabe, die am Telefon lange Gesprächspausen nach sich ziehen würde. „Deshalb arbeiten wir jetzt an der direkten, verzögerungsfreien Übersetzung in Sprache“, sagt Diener. Dazu wollen die Forscher motorische Impulse unmittelbar als Laute ausgegeben.

„Mit dem menschlichen Auge kann man in dem Muster an elektromyografischen Signalen nichts erkennen. Mit dem Computer ausgewertet, kann man aber ein A von einem O oder einem E treffsicher unterscheiden.“ Auch verschiedene Wörter kann das Computerprogramm der Bremer Forscher erfassen und in Echtzeit laut aussprechen. „Tür auf“ könne das System beispielsweise von „Tür zu“ unterscheiden und wiedergeben.

An längeren Wortfolgen und einem größeren Wortschatz scheitert das System allerdings noch. Diener arbeitet daher an Algorithmen, mit denen das System „an der Aussprache des Nutzers lernt und immer besser wird“.

Das allein aber könnte nicht reichen. Deshalb will Diener ein weiteres Element des menschlichen Sprechapparates hinzufügen: die Zunge. Er reist dafür regelmäßig nach Grenoble. Am dortigen Forschungszentrum CNRS vermessen Forscher den Mundraum mit Ultraschall, um die Bewegungen der Zunge beim Sprechen zu erfassen. Die Methode gleicht jener für Untersuchungen während der Schwangerschaft, nur sitzt das Gerät nicht auf dem Bauch, sondern unter dem Kinn. Ein „H“ und ein „A“ lassen sich mit dieser Methode jedoch nicht unterscheiden, weil die Zunge sich bei diesen Lauten in identischer Weise nach unten in Richtung Gaumen bewegt. Deshalb filmen die Forscher zusätzlich mit einer Kamera die Lippenbewegungen. Erst beide Bewegungsmuster zusammen verraten, was der Nutzer erzählt.

(grh)