Zahlen, bitte! 3,65 g, oder: das unglückliche Quentchen

Wenn das Kilogramm mittels einer Naturkonstante definiert wird, bleibt ein Klump Platin und Iridium zurück, mithin ein paar unglückliche Quentchen.

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Zahlen, bitte! Das unglückliche Quentchen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Niemand weiß warum, aber beim "Ur-Kilogramm", das im Pariser Vorort Sèvres beim Internationalen Büros für Maße und Gewichte unter drei Glasglocken in einem hochsicheren Tresor gelagert ist, häufen sich die Messfehler. Das Kilogramm verliert an Gewicht im Vergleich zu seinen unter gleichen Bedingungen hergestellten Klonen.

Wie bereits in diesem Zahlen, bitte! erläutert, wird die unzureichend präzise Bestimmung auf der anstehenden Conférence Générale des Poids et Mesures im November in Versailles durch eine Naturkonstante ersetzt. Hier spielt das Avogadro-Projekt der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) eine Rolle.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Entgegen so mancher auch auf heise online heiß diskutierten Befürchtungen über Auswirkungen der Maßdefinitionen auf die Lebenswelt wird dies keine Auswirkungen auf unser Alltagsleben haben. Wie immer schleppen wir den Kilobeutel Tagliatelle nach Hause und schmeißen je nach Hunger ein paar Nudelnester mehr ins Wasser, in das zuvor ein Quentchen, mithin 3,65 g Olivenöl getröpfelt wurde.

Alsdann warten wir, wenn besonders hungrig, ellenlang darauf, dass die Flädli weich werden und schauen, mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne gesegnet, im Newsticker vorbei, was Sache ist. Hinter all den Quentchen, Ellen und Spannen verbergen sich Zählmaße, die tief in unsere Kultur eingebettet sind, vom Getreidevolumen-Messgerät Scheffel in Luthers Bibelübersetzung bis hin zum Skrupel im Bild vom skrupellosen Apotheker, der ohne Feinwaage panscht, was das Zeug hält. Ein Quentchen waren übrigens drei Skrupel im Apothekermaß.

Dutzendfach überleben Zählangaben in unserer Sprache, auch wenn manche dabei ihre Bedeutung veränderten. So wurde aus der Dekade (10 Stück) die Dekade (10 Jahre), aus dem Talent das Talent, während bei einem Paar Socken klar ist, dass (im Unterschied zu den paar Quentchen aus dem Vorspann) zwei Stück gemeint sind. Manche Angaben überleben auch in gänzlich anderen Kontexten. Man denke nur an die Namens-Marotten des schwedischen Möbelhauses Ikea, Maße zur Bennenung ihrer Lampen-Angebote zu verwenden. Hektar und Tertial lassen grüßen.

Nein, keine Goldstücke, sondern die Hülsenfrüchte des Johannisbrotbaums

(Bild: Chixoy, Lizenz Creative Commons CC BY-SA 3.0 )

Schwärmt noch jemand über eine Person von echtem Schrot und Korn? Auch hier sind Maßeinheiten verborgen, denn Schrot bezeichnete das Gesamtgewicht eines Geldstücks, während Korn für den Goldgehalt stand. Das Wort steckt in der heute noch verwendeten Maßeinheit Karat (200 Milligramm). Sie war bis ins im Mittelalter an eine Naturkonstante angebunden, dem Samen des Johannisbrotbaums.

So schließt sich der kleine Ausflug in die Sprache der Zahlen mit diesem Baum, der auf Botanisch Ceratonia siliqua genannt wird: Kerátion war der Namen des kleinsten Gewichtsmaßes bei den Griechen, Charuba bei den Arabern und Siliqua bei den Römern. Eine Siliqua war als ein Sechstel eines römischen Scrupels definiert. Aus dem Namen der Messgröße entwickelte sich Siliqua für eine kleine Silbermünze, festgelegt als der vierundzwanzigte Teil eines Solidus, der kleinsten Goldmünze.

Nah dran am Wort, aber etymologisch ungeklärt ist Silicia, wie die Römer die Kieselerde nannten. Sie wurde von ihnen in kleinen Gruben obertagig abgebaut und zum Auskleiden der Brennöfen benutzt. Von diesem Wort abgeleitet wurde das später entdeckte chemische Element Silicium genannt.

Replik des Urkilogramms unter zwei Glasglocken

(Bild: Japs 88, Lizenz Creative Commons CC BY-SA 3.0 )

An dieser Stelle kommt das stabile Isotop 28Si ins Spiel, das im angereicherten Zustand mit einer Masse von einem Kilogramm beim Avogadro-Projekt auf der Atomebene ausgezählt werden soll. "Gelingt es, die Atome in einem Siliciumkristall der Masse 1 kg mit höchster Präzision zu zählen, so könnte man die Definition der Masseinheit an die Fundamentalkonstante 'Avogadro-Konstante' anknüpfen", erklärt die PTB das Projekt.

Anstelle des Referenz-Kilogramms aus Platin und Iridium werden hochreine Kugeln des Isotops 28Si dann das neue Referenz-Kilogramm darstellen. Die Zählung wird mit einer extrem großen Genauigkeit betrieben: Eine Tolerenz von ± zwei Atomen pro 100 Millionen gezählter bzw. gemessener Atome, mehr ist nicht drin. (jk)