Computer erkennt Herzinfarkt früh

Weil Maschinen nie müde werden, könnten sie in der Medizin nützliche Dienste leisten. Mit dem richtigen Training sind sie bereits in der Lage, Herzinfarkte so gut zu erkennen wie erfahrene Ärzte.

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Diagnosen aus dem Computer

(Bild: Fraunhofer Heinrich Hertz Institut)

Lesezeit: 5 Min.
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Zu einem Herzinfarkt kommt es, wenn die Blutzufuhr zum Herzmuskel durch eine Blockade dauerhaft unterbrochen wird. Als Therapie dagegen wird entweder die problematische Arterie mit einem Ballon oder Stent geweitet, damit das Blut wieder fließen kann; alternativ kann man die Blockade mit einem koronaren Bypass komplett umgehen.

So oder so muss der Eingriff rechtzeitig erfolgen, und eine schnelle Diagnose kann einen riesigen Unterschied machen. Im chaotischen Umfeld von Notaufnahmen werden Anzeichen für einen Herzinfarkt jedoch oft übersehen. Eine automatisierte Methode zur korrekten und zuverlässigen Erkennung der verräterischen Anzeichen wäre deshalb ein erheblicher Fortschritt. Doch trotz intensiver Forschung auf diesem Gebiet sind automatisierte Systeme zur Herzüberwachung bislang deutlich weniger zuverlässig als ausgebildete Kardiologen.

Jetzt allerdings könnte sich das ändern, dank der Arbeit von Nils Strodthoff am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin und von Claas Strodthoff am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Die beiden haben ein neuronales Netzwerk entwickelt, das Anzeichen für einen Herzinfarkt erkennen kann – und zwar nach ihren Angaben erstmals so gut wie menschliche Kardiologen.

Zunächst etwas Hintergrund. Eine der besten Methoden für die Diagnose eines Herzinfarkts besteht darin, mit einem Elektrokardiogramm die elektrischen Impulse des Herzens zu erfassen. Bei einem Standard-EKG werden die Signale von 12 unterschiedlichen Elektroden ausgewertet, die an unterschiedlichen Stellen des Körpers eines Patienten befestigt sind. Anhand der Signale lässt sich dann auf unterschiedliche Arten das elektrische Verhalten des Herzens erkennen. Kardiologen wissen seit langem, dass die Signale mancher der Elektroden für die Diagnose von Herzinfarkten nützlicher sind als andere.

Schwierig ist aber die Interpretation der Daten. Zunächst muss ein Arzt eine Art Basis-Signal erkennen, bei dem Rauschen oder fehlerhafte Daten wegfallen, und dann die einzelnen Herzschläge isolieren. Anschließend untersucht er vordefinierte oder automatisch erkannte zeitliche Intervalle und Spannungswerte für jeden Herzschlag.

Zuletzt muss er die Besonderheiten im Herzschlag und damit mögliche Probleme korrekt erkennen. Kritisch ist insbesondere ein Signal, das als ST-Hebung bezeichnet wird. Patienten mit diesem Signal sollten so schnell wie möglich behandelt werden, wenn es nicht auftritt, sind weitere zeitaufwendige Tests erforderlich.

Keiner dieser Schritte ist einfach. Tatsächlich wird jeder von ihnen erschwert durch unregelmäßige oder außerhalb des Takts liegende Herzschläge, Rauschen und Datenfehler – und all das ist im Umfeld einer Notaufnahme keine Seltenheit.

Damit ist wohl nicht überraschend, dass Menschen in all diesem Chaos deutlich bessere Leistungen zeigen als Maschinen. In den letzten Jahren aber haben neuronale Netze erhebliche Fortschritte bei Problemen der Mustererkennung wie Gesichts- und Objekterkennung gemacht. Also besteht großes Interesse daran, diese Techniken auf medizinische Daten anzuwenden, bei denen es ebenfalls um Mustererkennung geht.

Genau das haben Strodthoff und Strodthoff jetzt mit einer Datenbank von 148 EKG-Protokollen von Patienten mit Herzinfarkt und 52 gesunden Kontrollpersonen getan. Mit einer „sliding window“-Technik gaben sie die Daten in ein neuronales Netzwerk ein, wobei jedes Fenster mindestens drei Herzschläge enthielt.

Die Forscher nutzten 90 Prozent der Daten für das Training eines neuronalen Netzes auf die Erkennung der Anzeichen für einen Herzinfarkt. Die übrigen Daten wurden für Tests des Netzes verwendet, und die Ergebnisse waren interessant: „Die vorgeschlagene Architektur schlägt die aktuell besten Ansätze für diese Datensammlung und erreicht ein Niveau, das mit dem menschlicher Kardiologen vergleichbar ist“, schreiben die Forscher. Hinzu kommt: Die Maschinen neigten dazu, Daten von denselben Elektroden zu verwenden, wie sie auch von Kardiologen besonders beachtet werden.

Diese beeindruckende Beobachtung zeigt das Potenzial für intelligente Maschinen, das Gesundheitswesen dramatisch zu verbessern. Aber natürlich ist das System nicht perfekt. Ein potenzielles Problem liegt darin, dass das bei der Studie verwendete Datenset relativ klein ist. Maschinenlern-Algorithmen benötigen riesige Datenmengen, um gut zu lernen. Das Erstellen von größeren Sammlungen mit Herzinfarkt-Aufzeichnungen wird zeitaufwendig und schwierig sein. Aber nur mit größeren Datensammlungen können Ärzte sicher sein, dass Algorithmen unter den vielen unterschiedlichen Umständen, unter denen sie arbeiten müssen, korrekte Ergebnisse liefern.

Doch das Potenzial ist riesig. Maschinen könnten menschlichen Ärzten einen Teil der Arbeitsbelastung und Komplexität abnehmen – und werden nie müde dabei. Der von Strodthoff und Strodthoff entwickelte Ansatz ist allgemein anwendbar auf jedes Zeitreihen-Klassifikationsproblem mit Rohdaten aus Geräten wie EKG oder EEG, von denen es in der Medizin reichlich gibt. Also sind auch andere Anwendungen denkbar. Damit dürfte es nicht mehr lange dauern, bis die meisten Menschen zumindest teilweise von Maschinen diagnostiziert werden.

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