Oh My God: Mysteriösen Teilchen aus dem All auf der Spur

Sie kommen aus dem Weltall, sind fast so schnell wie das Licht und haben eine enorme Energie. Ihre Quelle? Unbekannt. Forscher nennen sie: Oh-my-God-Teilchen.

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Oh My God: Mysteriösen Teilchen aus dem All auf der Spur

(Bild: Gerd Altman)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Andrea Barthélémy
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Sternguckernächte gehören zu den Höhepunkten des Sommers. Doch während der Blick zu Sternbildern schweift und Sternschnuppen niedergehen, rasen unbemerkt auch geheimnisvolle Partikel herunter, von denen kaum jemand etwas weiß: Winzig klein und trotzdem energiegeladen wie keine anderen bekannten Teilchen im Universum. US-Forscher wollen diesen mysteriösen Oh-my-God-Teilchen mit einer Smartphone-App das Geheimnis ihrer Herkunft entlocken.

Deutsche Experten sind skeptisch – denn mit Großteleskopen in Argentinien und den USA sucht man schon lange vergeblich nach der Quelle dieser Mini-Kraftprotze, die Teil der kosmischen Strahlung sind. Nicht größer als ein Atomkern, sausen sie mit der Kraft eines scharf aufgeschlagenen Tennisballs und fast so schnell wie das Licht auch Richtung Erde. Aus Verblüffung darüber nannte ein Physiker sie Oh-my-God-Teilchen (OMG).

Millionen dieser Partikel treffen pro Jahr auf die Erdatmosphäre und trotzdem sind sie schwer zu erwischen. Denn die OMG-Teilchen zerschellen an der schützenden Schicht in Tausende bis Milliarden Sekundärteilchen. Etwa 100 davon durchdringen pro Sekunde unbemerkt unseren Körper und sind für 20 bis 30 Prozent der natürlichen Strahlenbelastung aller Menschen verantwortlich.

"Seit über 100 Jahren wissen wir, dass die Teilchen aus dem Weltraum zu uns kommen, aber wir wissen bis heute nicht, wo die eigentlichen Quellen liegen und wie sie funktionieren. Für einen Wissenschaftler eine nahezu unerträgliche Situation", sagt Karl-Heinz Kampert von der Uni Wuppertal, einer der führenden deutschen Experten für hochenergetische Strahlung und OMG-Teilchen.

Kampert nennt ein Beispiel: Wollte man mit den Magnetfeldern des leistungsstärksten Teilchenbeschleunigers auf Erden, dem LHC am Cern in Genf, ein Proton auf die Geschwindigkeit der OMG-Teilchen bringen, müsste der Magnet-Tunnel so lang sein wie die Umlaufbahn der Erde um die Sonne. Protonen sind positiv geladene Teilchen von Atomkernen.

Zwar haben Forscher, darunter Kampert selbst, gerade erstmals anhand eines Neutrinos eine Quelle kosmischer Strahlung entdeckt – ein vier Milliarden Lichtjahre entferntes aktives Schwarzes Loch. "Aber ob dieser Blazar auch ultrahochenergetische OMG-Teilchen aussenden kann, wissen wir nicht", sagt Kampert. Das im September 2017 am Südpol registrierte verräterische Neutrino hatte eine Energie von etwa 10 hoch 14 Elektronenvolt, OMG-Partikel sind rund eine Million Mal energiereicher.

Schon 1962 hatten Forscher ein solches Teilchen in New Mexico mit dem Volcano-Ranch-Detektor nachgewiesen. Der Name OMG-Partikel geht auf eine Beobachtung im Jahr 1991 über Utah zurück. Inzwischen wissen Astrophysiker zumindest zwei Dinge: Die mysteriösen Minis sind keine Überbleibsel aus dem Urknall. Und ihre Quellen können nicht allzu weit entfernt sein.

"Die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung im Universum bremst gerade hochenergetische Teilchen stark ab. Wenn sie uns aber immer noch mit so hoher Energie erreichen, müssen sie aus allernächster kosmologischer Entfernung kommen", erläutert Kampert. In kosmischen Dimensionen bedeutet das aber immer noch: Galaxien entfernt, also mehrere Millionen Lichtjahre.

"Die heißesten Kandidaten dafür sind aktive Galaxien", sagt Kampert. Das sind Galaxien mit einem großen, aktiven schwarzen Loch in der Mitte, das Milliarden Sonnenmassen umfassen kann. Bevor Himmelskörper in diesem Loch verschwinden, nähern sie sich ihm auf einer kreisförmigen Bahn, der sogenannten Akkretionsscheibe – "wie ein Strudel in einer Badewanne".

Die Materie verklumpt, heizt sich extrem auf und viel Licht wird produziert. In riesigen sogenannten Jets werden Teile der Materie diametral aus der Scheibe und sogar der Galaxie herauskatapultiert. An den Enden der Jets, wo Materie sich auftürmt, entstehen Magnetfelder. Diese könnten die OMG-Partikel befeuern, vermutet Kampert.

Am Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien geht ein internationales Konsortium der Suche nach. Dort heißt es, auch Radiogalaxien wie Centaurus A könnten die Antriebsquelle sein. Die Forscher messen zum einen den Niedergang von Schauern der zerborstenen OMG-Partikel in 1.600 Wassertanks, zum anderen das fluoreszierende Glühen, das sie bei der Kollision mit Luftmolekülen in der Atmosphäre abgeben. Am Telescope-Array in Utah wird so über der Nordhalbkugel nach OMG-Teilchen gesucht.

Das Team um den Physiker Daniel Whiteson von der University of California in Irvine möchte zum gleichen Zweck die breite Öffentlichkeit nutzen – mit den Kameras ihrer Smartphones und einer speziellen App.

"Wenn wir ein einziges OMG-Teilchen erwischen, lernen wir nicht allzu viel. Die App wird uns sagen, aus welcher Richtung am Himmel es gekommen ist. Aber wenn mehr Nutzer mitmachen und wir 10 oder 100 oder 1.000 davon sehen, dann können wir anfangen, zu verstehen, wo genau sie herkamen. Das könnte uns einen Hinweis geben, was – oder wer – sie produziert", sagt Whiteson.

Ein mit der App ausgerüstetes Handy müsste dazu – mit lichtdicht abgeklebter Linse und auf den Nachthimmel ausgerichtet – dauerhaft im Filmmodus laufen. Eingefangene Teilchen würden sich dann als kurz aufleuchtendes Pixel verraten – die App würde Zeitpunkt und Richtung an eine Sammelstelle melden.

Kampert lobt das als tolle Idee, die Suche nach den OMG-Teilchen bekannter zu machen – für wissenschaftlich belastbare Forschung reiche das jedoch nicht aus. "Dazu müsste die Dichte der Menschen, die tatsächlich mitmachen, so hoch sein wie in New York City, und jeder müsste sein Smartphone auch ständig für diesen Zweck nutzen." (bme)