Was wäre, wenn … Künstliche Intelligenz Kunst schafft?

KI soll doch bitte nicht zu sehr vermenschlicht werden. Auf der IJCAI wird genau das gefordert: KI soll Vorstellungskraft entwickeln – und zum Künstler werden.

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Auge, Künstliche Intelligenz, KI

(Bild: Orlando, gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Der ungewöhnliche Werbeaufwand für den Workshop im Rahmen der IJCAI (International Joint Conference on Artificial Intelligence) in Stockholm erklärt sich zumindest zum Teil durch die Organisatoren: Die Veranstaltung "Humanizing AI" wurde maßgeblich von Mitarbeitern des Microsoft-Forschungszentrums in Indien vorbereitet. Ziel sei es, so die Beschreibung des Workshops, zu Maschinen zu kommen, die Menschen verstehen und sich so verhalten und antworten wie Menschen. Dafür müssten Künstliche Intelligenzen (KI) neben der bereits recht weit entwickelten rationalen Intelligenz vor allem über emotionale Intelligenz verfügen.

Im Workshop konzentrierte sich Michael Zock (University of Aix-Marseille) auf die sprachliche Dimension des Problems. Da er seinen Vortrag anlässlich der Fußball-WM aber mit der "Angst des Schützen beim Elfmeter" getitelt hatte, zeigte er zunächst eine unterhaltsame Zusammenstellung misslungener Elfmeter (ähnlich dieser), um zu verdeutlichen, dass es in solchen Situationen nicht allein auf Intelligenz, sondern auch auf die Kontrolle der Emotionen und des Körpers ankomme.

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Wenn dieses Zusammenspiel gestört sei, könne der Elfmeterschütze ebenso versagen wie ein Redner, der ins Stottern kommt, sich verspricht oder ganz still wird, weil ihm das passende Wort nicht einfällt. In letzterem Fall, wenn das richtige Wort "auf der Zunge liegt", könne aber der Computer helfen. In der Regel, so Zock, kenne der Sprecher den Kontext oder denke an ein ähnlich klingendes Wort. Mithilfe eines Graphen, der die Verbindungen von Begriffen untereinander darstellt, ließe sich durch Eingabe des falschen Wortes, das gerade das Denken blockiert, das richtige finden.

Ob das für einen Redner auf der Bühne ein geeignetes Hilfsmittel ist, sei dahingestellt. Das System unterstreicht aber Zocks Aussage, dass "Menschen und Maschinen zusammen ein Dream-Team bilden können". Dafür müsse jedoch berücksichtigt werden, dass beide unterschiedlich funktionieren.

Menschen können sich so ein Dream-Team vorstellen, aber Maschinen? Die Vorstellungskraft sei eine Fähigkeit, die bislang nur dem Menschen eigen sei, sagte Sridhar Mahadevan (University of Massachusetts Amherst). Und es sei eine alte Fähigkeit: Die in Hohlenstein gefundene Elfenbeinfigur eines Löwenmenschen zeige, dass Menschen schon vor 40.000 Jahren in der Lage waren, sich Dinge vorzustellen, die es gar nicht gibt. KI könne das nicht. Noch nicht?

Die KI-Forschung habe auf ihrem Weg ein wenig aus den Augen verloren, worum es eigentlich ginge, beklagte Mahadevan: zu verstehen, wie Menschen lernen und denken. So seien etwa die Methoden des maschinellen Lernens trotz aller Erfolge immer noch weit entfernt von der menschlichen Leistungsfähigkeit. Selbst die Systeme, die Menschen bei vielen Computerspielen übertreffen, schafften dies erst nach 100 Millionen Lernzyklen, während menschliche Spieler bereits nach 15 Minuten ein hohes Niveau erreichten.

Doch dabei müsse es nicht bleiben. Die gegenwärtigen Lernverfahren seien gut darin, große Datenmengen zu verarbeiten und den aktuellen Stand des Wissens zu erfassen. Suchmaschinen könnten umfassende Antworten liefern auf die Frage: What is? (Was ist?) In Zukunft werde es jedoch mehr um eine andere Frage gehen: What if? (Was wäre, wenn?) Vom Data Mining werde sich die KI mehr und mehr in Richtung Simulation bewegen – und dabei auch Vorstellungskraft und kausales Denken entwickeln.

Eine KI kann nach Lerneinheiten selbst Kunst erschaffen.

(Bild: Ahmed Elgammal (Screenshot Beispiele))

Mit Generative Adversarial Networks sei es bereits möglich, Wissen aus einer Domäne in eine andere zu übertragen. Dabei wirken zwei Netzwerke, Generator und Diskriminator, zusammen: Der Generator erzeugt Bilder, die der Diskriminator als echt oder falsch erkennen muss. In diesem Wechselspiel werden beide Netzwerke immer besser. Dieses Verfahren, so Mahadevan, sei jedoch nicht in der Lage, etwas Neues zu erzeugen. Bei den darauf aufbauenden Creative Adversarial Networks hingegen ginge es darum, Bilder durch den Diskriminator zu klassifizieren, während es der Generator darauf anlegt, diese Aufgabe immer schwieriger zu machen. Auf diese Weise sei es gelungen, Bilder zu erzeugen, die menschlichen Kunstwerken nahe kommen. Wirkliche Kunst sei das noch nicht und es sei wahrscheinlich auch niemand bereit, 100 Millionen Dollar dafür zu bezahlen, vermutete Mahadevan auf der IJCAI. Ob und wie sich die Technologie darüber hinaus entwickeln könne, sei eine offene Frage.

Vielleicht gilt am Ende für KI dasselbe wie für Menschen: üben, üben, üben? Möglicherweise muss auch eine KI sich über längere Zeit entwickeln und eine eigene Künstlerpersönlichkeit herausbilden, um bedeutende Kunstwerke schaffen zu können? Das sei eine Möglichkeit, räumte Mahadevan auf Nachfrage ein, gab aber zu bedenken, dass der Prozess der künstlerischen Kreativität auch beim Menschen noch längst nicht verstanden sei. (olb)