Bekenntnisse eines Job-Killers

In einem Praktikum entwickelte unsere Autorin ein 3D-Druckverfahren für die Herstellung von Formen. Das Projekt war ein Erfolg – der den bislang zuständigen Mitarbeiter seinen Job kostete.

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Bekenntnisse eines Job-Killers

(Bild: Bob O'Connor)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Erin Winick
Inhaltsverzeichnis

Als ich mein Sommer-Praktikum als Ingenieurin antrat, rechnete ich damit, alte 3D-Modelle aktualisieren, Teile konstruieren und das Innenleben eines Unternehmens kennenlernen zu können. Nicht erwartet hatte ich, dass ich auch lernen würde, meine Kollegen überflüssig zu machen.

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Es war der Sommer nach meinem zweiten Jahr am College, bei einem Unternehmen in Südkalifornien. Zu Beginn des Praktikums bat mich mein Vorgesetzter, mit Hilfe von 3D-Druck einen komplizierten Prozess für die Herstellung von Formen zu optimieren. Ich bin schon seit langem begeistert von 3D-Druck und habe selbst zwei Geräte dafür. Also freute ich mich sehr darauf, die Technologie in das Unternehmen zu holen.

Zuerst musste ich mir ansehen, wie die Formen bis dahin hergestellt wurden. Also sprach ich mit dem Mann, der dafür zuständig war (wir haben ausgemacht, dass ich seinen echten Namen nicht verwende, also nennen wir ihn einfach Gary). Er war der Einzige, der alles über die Kosten, die Größen und die Gründe für den aktuellen Herstellungsprozess wusste. Ohne ihn hätte das Projekt nicht funktioniert.

Zuerst war Gary freundlich und wollte alles erzählen. Als ich ihm die Ziele meines Projekts erklärte, veränderte sich sein Ton. Doch nachdem er sich ein bisschen über unsere Chefs und das Unternehmen aufgeregt hatte, sprach er weiter mit mir.

Jedes Mal kam ich dabei einem funktionierenden Produkt näher – und es fiel mir immer schwerer, Gary zu sagen, wie es lief. Denn ich hatte das Gefühl, dass ich ihn dadurch hätte wissen lassen, wie kurz davor er stand, seinen Job zu verlieren. Ein paar Mal schlug ich ihm vor, sich für die Bedienung des 3D-Druckers qualifizieren zu lassen. Ihm kam das weit hergeholt vor, weil er annahm, das Unternehmens würde in einen Arbeiter seines Alters nicht mehr investieren.

Bis zum Ende des Sommers hatte ich einen funktionsfähigen Prototypen gebaut. Um meinen Fortschritt zu zeigen, organisierte ich eine Demonstration für meine Chefs und lud auch Gary dazu ein. Die Vorgesetzten lobten meine Arbeit und sprachen offen davon, wie viel Geld sie sparen könnte. Für mich aber fühlte es sich merkwürdig an, meine Arbeit vor den Augen des Mannes zu präsentieren, dessen Job dadurch verloren gehen konnte. Ich war stolz auf das, was ich entwickelt hatte, aber ich war mir auch der möglichen Folgen bewusst.

Ich beendete das Praktikum, ohne zu wissen, wie es weitergehen würde. Zuerst war ich darüber recht froh. Ich konnte die moralischen Probleme in Zusammenhang mit den Konsequenzen des technischen Fortschritt den Managern überlassen. Trotzdem fragte ich mich, was aus Gary geworden war. Anfang dieses Jahres kontaktierte ich ihn, um es herauszufinden.

Das Unternehmen hatte mein Projekt tatsächlich genutzt. Es wurde so weit verbessert, dass es bereit für den Einsatz in der Fabrik war. Gary wurde in einen neuen Bereich versetzt. Doch er war unzufrieden mit dieser Position und dem Unternehmen insgesamt. Also kündigte er – nach 34 Jahren beim selben Arbeitgeber. Er wurde also nicht direkt entlassen, verlor im Grunde aber trotzdem als Folge meiner Arbeit seinen Job.

In der Geschichte vom Kampf zwischen Robotern und Menschen bin ich dadurch wahrscheinlich der Bösewicht. Aber bei Menschen gegen Roboter geht es nicht immer um gut gegen böse. Automation bringt neue Jobs für Menschen. Es werden Menschen sein, die für die Installation und Entwicklung unserer neuen Roboter-Kollegen gebraucht werden. Laut der International Federation of Robotics liegt das Verhältnis von Robotern zu Arbeitern weltweit im Durchschnitt bei 74 zu 10.000, und diese Zahl steigt. In Asien ist die Zahl der Arbeitsroboter im Jahr 2017 um neun Prozent gestiegen – in Korea gibt es pro 10.000 menschlicher Arbeiter 631 Roboter. Doch bis 2030 sollen Technologie-Investitionen laut McKinsey allein 20 bis 50 Millionen neuer Jobs entstehen lassen, bei denen es zum Teil darum geht, Technologie und Werkzeuge wie die Roboter am Arbeitsplatz zu installieren.

Wenn auch Sie ein Job-Automatisierer sind oder eines Tages sein werden, habe ich einen Rat für Sie: Sprechen Sie mit den Leuten, deren Jobs Sie automatisieren. Das wird etwas unangenehm sein, aber wahrscheinlich werden diese Menschen ihren Standpunkt erklären wollen. Sie abzuweisen, könnte dazu führen, dass sich die Mentalität „die gegen uns“ verfestigt und es zu Missverständnissen kommt.

Als ich für diesen Artikel mit Gary sprach, sagte er mir, das Unternehmen habe nach meinem Abschied eine „sehr aggressive Haltung“ gegenüber ihm und anderen in ähnlichen Positionen gezeigt. „Ich bin fälschlich davon ausgegangen, ich würde Gelegenheit bekommen, mit der Weiterentwicklung des Prozesses Schritt zu halten“.

Zwar habe ich Garys Stelle überflüssig gemacht, doch mit meinem 3D-Drucker entstanden im Unternehmen andere Gelegenheiten für Arbeiter, die wissen, wie man die neuen Maschinen bedient. Laut Gary war das eine seiner wichtigsten Erkenntnisse: „Ich habe gelernt, dass man sich nicht erlauben darf, selbstzufrieden zu werden. Man muss bei neuen Prozessen und Technologien auf dem Laufenden bleiben, wenn es sein muss, mit der eigenen Zeit und auf eigene Kosten.“

Wieder mit Gary Kontakt aufzunehmen, war eine reinigende, aber merkwürdige Erfahrung. Er selbst sagte, er sei – positiv! – überrascht, von mir zu hören. Er wohnt jetzt in einem anderen Bundesstaat und ist im Kunden-Service tätig. Ich fragte ihn, was seine ersten Gedanken waren, als ich ihn vor vielen Jahren wegen des Projekts angesprochen hatte.

„Ich fand spannend, dass jemand darüber sprechen wollte, was passiert“, sagte er. Die „offizielle Position“ des Unternehmens sei gewesen, dass es keine Versuche gebe, etwas an den Abläufen zu verändern.

Derartige Kommunikation mag für beide Seiten nicht erfreulich sein, doch sie ist erforderlich. Menschen sind ein entscheidender Teil des Automationsprozesses. Ohne uns können die Roboter nicht die Macht übernehmen.

(sma)