Missing Link: Verschwörungstheorien, Karl Popper und die politische Diskussion

26.7.1948: der Philosoph Karl Popper führt "conspiracy theory of society" ein. Start der wissenschaftlichen Karriere eines Begriffs der politischen Diskussion

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Area 51, Verschwörungstheorie, Alien

Mittlerweile ein Klassiker der Verschwörungstheorie: Die Aliens, die in der "Area 51", einem militärischen Sperrgebiet der US AIr Force, untersucht werden.

(Bild: mdherren, gemeinfrei)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Ralf Bülow
Inhaltsverzeichnis

Verschwörungen gab es eigentlich schon immer. Die Römer konspirierten, um wahnsinnige Cäsaren loszuwerden, die Schweizer schworen den Rütlischwur gegen den bösen Landvogt Gessler. 1605 gelang es den Schießpulver-Plottern um Guy Fawkes beinahe, das englische Parlament plus König in die Luft zu jagen. Die Verschwörer des 20. Juli versuchten 1944 vergeblich, die Nazi-Herrschaft zu Fall zu bringen.

Der Glaube an imaginäre Verschwörungen ist ebenfalls alt. Finstere Pläne wurden seit dem Mittelalter den Juden zugeschrieben, später traf es Freimaurer und Katholiken. Telegraphie-Pionier Samuel Morse malte 1835 eine "Foreign Conspiracy" gegen die Freiheiten der USA aus, sprich die Infiltration durch katholische Einwanderer. Sein Vater, der Pastor Jedidiah Morse, hatte schon 1798 über die teuflischen Illuminaten gepredigt.

"Missing Link"

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In den 1890er Jahren stand die politische "conspiracy theory" in amerikanischen und englischen Zeitschriften, wie der Debunker Mick West herausfand. Eine Suche mit Google Books erbringt weitere Belege für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. In den akademischen Diskurs drang der Begriff vor 70 Jahren ein, genauer gesagt, am 26. Juli 1948. An diesem Tag sprach Karl Popper auf einer Gelehrtentagung in Oxford über rationale Theorien der Tradition.

Als Beispiel einer irrationalen Lehre führte der österreichische Philosoph die "conspiracy theory of society" an. Sie postulierte einflussreiche Männer und Machtgruppen, die für die Weltwirtschaftskrise und andere globale Übel verantwortlich wären. Laut Popper glaubten Adolf Hitler und Joseph Goebbels an die konspirativen Protokolle der Weisen von Zion. Die ursprünglich russische Schrift verbreitete sich seit 1920 in aller Welt unter Rechtsradikalen und Antisemiten.

Im August 1948 erwähnte Popper seine Verschwörungstheorie-Theorie auf einem Philosophenkongress in Amsterdam, wo er über Prognose und Prophetie in den Sozialwissenschaften sprach. Er nahm sie dann in spätere Auflagen des Buchs "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" auf; die Urfassung war 1945 in London erschienen. Seine beiden Aufsätze gelangten 1963 in den Sammelband "Conjectures and Refutations". In der Online-Version beginnen sie auf den PDF-Seiten 121 und 329. Auf Seite 121 steht dabei das zahlenverdrehte Datum "26th July1984".

In Deutschland fiel das V-Wort zum ersten Mal 1953. Damals erhielt der Politologe Franz Neumann den Ehrendoktor der Freien Universität Berlin. Seinen Festvortrag widmet er dem Thema Angst und Politik. Neumann unterschied fünf Grundtypen von Verschwörungstheorien, die über Jesuiten, über Freimaurer, über Kommunisten, über Kapitalisten und – die wichtigste – die über die Juden. Der Vortrag wurde 1954 publiziert; im selben Jahr starb Neumann, erst 54 Jahre alt, bei einem Autounfall in der Schweiz.

Verschwörungstheorien, Verschwörungen, Politik, Propaganda (17 Bilder)

Karl Popper (1902–1994), um 1980
(Bild: London School of Economics, gemeinfrei )

Der Spiegel entdeckte die Verschwörungstheorie in Einzahl und Mehrzahl am 26. August 1964. TV-Journalist Peter von Zahn rezensierte ziemlich kritisch den Bestseller "Der Tod in Texas" von Hans Habe. Das Buch schilderte die Stimmung in den USA im Herbst 1963 und das Attentat auf Präsident Kennedy. Habe deutete die Möglichkeit eines Komplotts an, ging mit dem Wort "Verschwörung" aber sparsam um und sprach gar von kindischen Spekulationen.

In der Neuauflage von 1967 erhielt "Der Tod von Texas" jedoch ein Zusatzkapitel über rechtsradikale Verschwörungen. Auf Seite 393 tauchte auch schon die Frage "cui bono" auf, die von nun an jede konspirative Spekulation kennzeichnete. Sicher ist, dass der Kennedy-Mord die Bedeutung des Begriffs Verschwörungstheorie wandelte. Im Zentrum stand nicht mehr eine Gruppe von potenziellen Tätern, sondern ein reales Ereignis oder eine Ereigniskette, für die passende Hintermänner und -frauen gesucht wurden.

Auch die CIA erstellte eine Buchkritik zum Mord. Die Agency brachte sie am 1. April 1967 in Umlauf; die New York Times machte sie Ende 1977 publik. Das Schreiben und die Anhänge verteidigten den offiziösen Warren-Report, der Lee Harvey Oswald als Alleintäter sah, und attackierten Verschwörungsautoren. Im Text finden wir je einmal "conspiracy theories" und "conspiracy theorists". Groß fördern musste die CIA die Worte nicht, da sie längst bekannt waren.

In den siebziger Jahren entwickelte sich in den USA dann eine Pop-Konspirologie. Das Schlüsselwerk "None dare call it conspiracy" von Gary Allen lag bereits 1974 als "Die Insider" auf Deutsch vor. 1993 packte der 26-jährige Jan Udo Holey alias Jan van Helsing die amerikanischen Theorien in seine "Geheimgesellschaften". Er recycelte außerdem die Protokolle der Weisen von Zion und krude Baupläne von Nazi-UFOs, die in den Achtzigern in Österreich gezeichnet wurden.

Das Helsing-Werk durfte ab 1996 nicht verkauft werden, es machte aber zusammen mit dem World Wide Web die Verschwörungstheorien salonfähig. Schönstes Beispiel ist das Kursbuch 124 mit eben diesem Titelwort. 1998 sprach der Medienforscher Gundolf S. Freyermuth in der c’t von Pop-Mythen und ironischen Info-Sagen des digitalen Zeitalters. Die populäre TV-Serie "Akte X" schuf das bis heute wirksame Konzept der außerirdischen Verschwörung.

Ein Warnbuch wie die von drei Österreichern verfassten "Weltverschwörungstheorien" hatte es 1998 schwer. So witzelte der Spiegel: "Die drei Ghostbusters aus Wien stopfen den Leser mit Namen, Zahlen, Daten wie eine Weihnachtsgans."

Die Sympathie der Öffentlichkeit schwand aber nach dem 11. September 2001 und durch die Aktivitäten der sogenannten "Truther". Negativ wirkten sich auch die hanebüchenen False-Flag-Deutungen aus, die auf amerikanische Schulmassaker und islamistische Terroranschläge folgten.

Angesichts der Flut neuer Verschwörungstheorien zwischen Chemtrails, New World Order und Reptiloiden wundert es nicht, dass das Wort einen abwertenden Unterton erhielt. Viele Verschwörungen sind allerdings gar keine, weil die Verschwörer fehlen. Die flache Erde gehört nicht zu den Konspirationen, sondern in die Astronomie, und Reptilienmenschen sind schlechte Science Fiction und noch schlechtere Zoologie.

Verschwörungstheorien sollten auch nicht mit Fake-News, Hassmails, Falschzitaten und gezielten Lügen verwechselt werden. Wer von ihnen nicht lassen kann, sei es aus journalistischen, akademischen oder anderen Gründen, sollte den Begriff auf echte oder erlogene Komplotte beschränken, wo Akteure genannt werden.

Besser ist es aber, die Zeitmaschine anzuwerfen und in die goldenen Neunziger zu fahren. Hier kann man die "Verschwörungstheorie" auf ewig im Kooks-Museum deponieren, im Conspiracy Corridor oder vielleicht in der Hall of Hate. You decide! (jk)