Der Sommer der VR

Viele hatten erwartet, dass die virtuelle Realität bald die Wohnzimmer erobert. Zunächst einmal scheint VR aber vor allem an speziellen Standorten Besucher anzulocken – und die sind angetan.

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Der Sommer der VR

(Bild: Ballast VR)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Rachel Metz
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Joshua Fendley sagt von sich selbst, er sei skeptisch gegenüber virtueller Realität. Aber er ist auch Star-Wars-Fan. Also musste er einfach hinfahren, als er erfuhr, dass es in diesem Juli eine VR-Erfahrung mit Star-Wars-Motiven in Las Vegas gibt.

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Star Wars: Secrets of the Empire kostete 36 US-Dollar und dauerte ungefähr 15 Minuten. In dieser Zeit besuchte Fendley, verkleidet als Stormtrooper, den Vulkanplaneten Mustafar, um Informationen für das Imperium zu sammeln. Wenn er von feindlichem Feuer getroffen wurde, vibrierte seine Weste, die mit einem am Rücken getragenen Computer verbunden war. Es gab Spezialeffekte wie Hitze, Wind und Verbrennungsgeruch. Virtuelle Objekte wie der Blaster, den Fendley tatsächlich in der Hand halten konnte, ergänzten die realen. Einmal streckte er seine Arme aus, um einen VR-Droiden zu berühren und spürte ihn wie im echten Leben. Die Erfahrung war umwerfend.

„Ich hätte ewig in dieser kleinen Welt bleiben können“, sagt er. „Es war wirklich cool.“

Fendley virtuelle Reise fand statt im realen Gebäude von The Void, einem Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Utah, das VR-Standorte aufbaut, in denen Gruppen von Menschen zusammen spielen können. Seit 2016 hat das Unternehmen acht Standorte eröffnet, die meisten in den USA, aber auch in Toronto, London und Dubai; weitere sollen noch in diesem Jahr folgen.

Cliff Plumer, der CEO von Void, will nichts Genaueres über Besucherzahlen oder Expansionspläne sagen. An manchen Wochenenden und in den Ferien kämen an manchen Standorten aber „deutlich“ über 1000 Besucher, verrät er.

Die meisten von uns warten nicht mit angehaltenem Atem darauf, dass VR-Technologie endlich in unsere Wohnzimmer kommt. Doch an speziellen Standorten wie in Spielhallen, VergnĂĽgungsparks und anderen familienfreundlichen Unterhaltungszentren kommt die Technologie in diesem Sommer richtig in Gang.
Laut Greenlight Insights, einer Marktforschungsfirma für virtuelle und erweiterte Realität, dürfte dieser Markt in diesem Jahr 1,2 Milliarden US-Dollar Umsatz einbringen, gut doppelt so viel wie 2017. Bis Ende des Jahres rechnet das Unternehmen mit rund 6000 VR-Zentren weltweit (bei denen es sich in vielen Fällen um vorübergehende Pop-up-Einrichtungen handelt).

Philip Lelyveld, Leiter der Immersive Media Initiative an der University of Southern California, geht davon aus, dass viele Menschen kein VR-Headset für zuhause kaufen wollen, weil die Technologie noch nicht gut genug ist und sie nicht sicher sind, dass dauerhaft genügend Inhalte dafür zur Verfügung stehen, sodass sich die Investition lohnt. Ein Headset Oculus Go gibt es für 199 bis 249 Dollar, abhängig von der gewünschten Speichergröße. Doch ein verkabeltes Highend-System für Verbraucher wie HTC Vive oder Oculus Rift kostet, zusammen mit dem dafür nötigen PC, deutlich über 1000 Dollar. Und darin ist noch nicht einmal der Preis für die Spiele enthalten.

„So wie bei den Spielhallen in den 1970er und 1980er Jahren lohnt es sich heute deutlich mehr, VR außerhalb von zuhause zu nutzen“, sagt Lelyveld.

The Void und andere Unternehmen wie Zero Latency verändern den Blick von Verbrauchern auf VR bereits so, dass die Technologie eher als Gruppenaktivität denn als Einzel-Erfahrung verstanden wird. Bei der Star-Wars-Erfahrung mussten Fendley und seine Frau Rachel zusammenarbeiten – eine Person löste ein Rätsel, die andere gab Feuerschutz. Visuelle Hinweise machten klar, wer in der virtuellen Umgebung wer war, und über in den Helmen eingebaute Mikrofone konnten die Spieler problemlos kommunizieren.

Gleichzeitig wird VR für vollkommen neue Erlebnisse genutzt, die zuhause schlicht nicht möglich wären. Im Wasserpark Galaxy Erding in der riesigen Therme Erding zum Beispiel können Besucher ein wasserfestes Headset aufsetzen und ein virtuelles Abenteuer zum Ansehen auswählen, während sie eine der Rutschen herunterrasen. Zum Beispiel kann man durch den Himmel schweben und dabei einem Schwarm Schmetterlinge folgen. Die nasse 25-Sekunden-Reise arbeitet mit Ultraschall-Sensoren auf der Rutsche und Sensoren am Headset. Sie erkennen, wo der Besucher gerade ist, und spielen die passenden Bilder für ihn ein.

Entwickelt wurden das Headset und die VR-Technologie in Erding von Ballast VR. Dessen CEO Stephen Greenwood räumt ein, dass der Reiz in diesem Fall hauptsächlich im „Neuigkeitsfaktor“ liege. Aber das Angebot ist beliebt. Seit Mitte März ist die VR-Rutsche kostenpflichtig, bis Ende Juni hatten 36.000 Besucher jeweils 2 Euro dafür bezahlt. „Es ist einfach eine bizarre Kombination, die wirklich aufregend und unterhaltsam ist“, sagt Greenwood.

Doch wenn mehr Menschen solche Angebote ausprobieren oder sogar regelmäßig nutzen sollen, werden die Preise wohl noch sinken müssen. Meist bezahlt man derzeit 1,50 bis 2 Dollar pro Minute, sagt Kevin Vitale, CEO von VRStudios, das im Juni in 110 Restaurants der Kette Dave & Buster's eine VR-Fahrt mit Jurassic-World-Motiv realisiert hat (diese kostet 5 Dollar und dauert 4,5 Minuten).

Fandley und seine Frau gefiel The Void so gut, dass sie eine weitere VR-Attraktion in Las Vegas besuchten, eine von Zero Latency gebaute Arena. Dort bezahlten sie jeweils 50 Dollar, um 30 Minuten lang ein Raumschiff-Spiel zu spielen. Eine Familie mit vier Personen hätte hier also 200 Dollar investieren müssen – oder einen Nachmittag im Kino mit reichlich Snacks verbringen können und noch Geld übrig gehabt.

Wiederholte Besuche dĂĽrfte es zudem nur dann geben, wenn die VR-Anbieter immer wieder neue Inhalte zum Spielen bereitstellen. Bei Galaxy Erding arbeitet Greenwood genau daran: Die VR-Rutsche sei so beliebt, dass Ballast VR beauftragt worden sei, fĂĽr den Herbst ein neues Abenteuer zum Thema Dschungel vorzubereiten, das dann zusammen mit einem neuen Thema fĂĽr den gesamten Park eingefĂĽhrt werden soll.

(sma)