Magic Leap One im Test: Echt, aber nicht echt genug

Das viel gehypte Start-up Magic Leap hat die Entwicklerversion seiner Augmented-Reality-Brille fertiggestellt. Haben sich die Milliardeninvestitionen gelohnt?

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Magic Leap One im Test: Echt, aber nicht echt genug

Die Brille, um die sich alles dreht.

(Bild: Magic Leap)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Rachel Metz
Inhaltsverzeichnis

Tief in einem unauffälligen Gebäude in Plantation, Florida, hat Magic Leap ein Gadget gebaut, dass dreidimensionale virtuelle Bilder mit der Realität zur Augmented Reality (AR) vermischen kann. Es ist echt und durchaus cool. Die Frage ist nur: Was werden die Menschen mit diesem Ding anstellen?

Das Start-up hofft, dass Entwickler und andere kreative Menschen schnell passende Antworten finden. Dazu hat Magic Leap nun sein erstes Produkt auf den Markt gebracht: Die AR-Brille Magic Leap One.

Nicht jeder kann sie kaufen, man muss sich vorab als Programmierer registrieren. Die Firma will so erreichen, das jede Menge Apps für das Headset entstehen, wie man es von Smartphones kennt. Billig ist der Einstieg nicht: 2300 Dollar kostet das Gerät, wobei das im Vergleich zu Microsofts HoloLens, die ebenfalls immer noch nur für Entwickler gedacht wird, recht günstig ist – dieses Gerät ist für 3000 bis 5000 Dollar zu haben. Man muss außerdem mindestens 18 Jahre alt sein und die Möglichkeit haben, in eine der US-Städte zu kommen, in denen die Magic Leap One anfangs nur verfügbar ist – darunter New York und Seattle. Sind diese Hürden genommen, erhält man ein Headset, einen tragbaren Computer, mit dem es verbunden wird, sowie einen einhändigen Controller. Eine wiederaufladbare Batterie soll das System drei Stunden lang im Betrieb halten.

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Die Magic Leap One ist der Höhepunkt der Entwicklung, die Magic-Leap-Boss Rony Abovitz und sein Team seit 2011 vorantreiben. Das Marketingmaterial zeigte im Vorfeld beispielsweise einen Wal, der aus einem Turnhallenboden springt oder einen Minielefanten, der auf der Hand des Nutzers balanciert. Dieses Produkt sollte so gut darin sein, digitale Welten mit der Realität zu verbinden, dass es kindliche Freude hervorruft. Das neue Headset soll nun zeigen, dass es sich dabei nicht nur um Hype handelte.

Erste Versuche machen Eindruck. Als Technology Review das Büro von Magic Leap im letzten Monat besuchen durfte, wurde der Redakteurin das Headset aufgesetzt und sie sah Seeschildkröten durch den Raum sausen, die kleine Atembläschen hinterließen. Sie bewegten sich, wenn man sie berührte. Man konnte eine Laserkanone auf böse Alienroboter abfeuern, die durch ein Portal in einer Wand sprangen. Die Bilder waren scharf und lebendig und in manchen Fällen konnte man digitale Aufnahmen in verschiedenen Tiefenpositionen gleichzeitig ansehen.

Die Magic Leap One ist deutlich portabler als frühere Prototypen. 2014 musste man sich beispielsweise noch ein riesiges, gerüstartiges Ding auf die Nase setzen. Ein nicht portabler Controller erlaubte die Berührung kleiner Steampunk-artiger Roboter und es gab ein blaues Monster zu sehen, das durchaus realistisch wirkte. 2015 schaffte es Magic Leap auf die Liste der zehn "Breakthrough Technologies" des Jahres.

Das war eine der wenigen Male, in denen Personen von draußen die Firma von Innen sehen durften. Zwischenzeitlich hat Magic Leap mehr als 2,3 Milliarden Dollar an Investorengeldern eingesammelt und Hunderte Patente angemeldet, etwa zur Projektion digitaler Bilder in der Echtwelt (Dutzende sind bereits genehmigt). Dennoch gab es viel Kritik, denn Magic Leap kombinierte nervige Geheimhaltung mit übertriebenen Marketingstunts. Entwickler und Early Adopter hielten das Start-up schon für Vaporware.

2015 kam zum Beispiel ein Video mit dem Titel "Ein ganz normaler Tag im Büro" heraus, in dem Roboter aus der Decke in ein Büro fielen. Die Originalbeschreibung des Videos besagte, dass das ein Spiel sei, dass die Firma "gerade jetzt im Büro" zocke. Doch nur wenige Monate zuvor war der Clip noch ein Spieletrailer gewesen. Inzwischen ist er als "Original-Konzeptvideo" gekennzeichnet. Demonstrationen der Magic Leap One, die die Firma auf der Spieleplattform Twitch streamte, zeigen kleine steineschmeißende Monster und bekamen schlechte Kritiken.

Die Technology-Review-Reporterin bereitete sich also auf eine Mischung aus Geheimniskrämerei, Verschleierungstaktik und unterdurchschnittlicher Grafik vor. Die Punkte eins und zwei wurden erfüllt. Doch es ergab sich schließlich, dass das Magic Leap One trotzdem das beste bislang verfügbare AR-Headset ist – der Markt ist schließlich noch klein.

Magic-Leap-Prototypen (3 Bilder)

(Bild: Magic Leap)

Doch auch wenn es Magic Leap gelungen ist, mehr zu erreichen, als viele dachten: Die Aufgabe bleibt monumental. Sie muss Entwickler überzeugen, spannende Inhalte für eine neue Art von Computer zu schaffen, der so neu ist, dass viele Leute ihn nicht kennen und auch nicht wissen, was sie mit ihm anfangen sollen. Und auch Magic Leap scheint das noch nicht so recht zu wissen.

Firmenchef Abovitz ist müde, aber fröhlich. Er war die Nacht zuvor bis 2 Uhr aufgeblieben und hat letzte Hand angelegt, um die Magic Leap One so perfekt wie möglich zu machen. Er sitzt in seinem Büro, einem aus Glaswänden bestehenden Raum in der Mitte des Labyrinth-artigen Magic-Leap-Komplexes in Plantation, das 10 Meilen von Fort Lauderdale und seinen palmenbesetzten Stränden liegt. Hinter ihm stehen Regale voller Spielzeuge – von der Laserkanone über die Jimi-Hendrix-Figur bis hin zu Miyazaki-artigen Ikea-Nachtlichtern. Bücher sind auch zu sehen, darunter "Making Hard Decisions" oder "Graphics for Engineers".

Er erklärt, was alles in den letzten Jahren bei Magic Leap passiert ist. Seit 2014 entstanden immer kleinere Prototypen – eine Variante von 2015 sah aus wie aus "Bladerunner" und deckte die ganze Stirn ab – und die verschiedenen Teile wurden perfektioniert, um schließlich mit der Magic Leap One herauszukommen.

Noch immer will Abovitz nicht erklären, wie es dem Gerät genau gelingt, digitale Bilder mit der Echtwelt zu verschmelzen. Grundsätzlich wird jedoch Licht durch durchsichtige Wafer in den Linsen der Brille projiziert, während diese Wafer das Licht wiederum gen Auge schicken. Es entsteht ein digitales Scheinbild eines Lichtfelds – also all jenes Licht, das in alle Richtungen mit einem bestimmten Volumen fällt – das man normalerweise sehen würde, wenn Objekte um einen herum verteilt sind. Mit der Magic Leap One sollen 3D-Bilder aus der Nähe ebenso möglich sein wie weit in der Ferne. Und das soll dann alles ganz natürlich wirken.

Anschließend führt Abovitz durch die Firma und zeigt die vielen Maschinen, die notwendig sind, um die transparenten Wafer herzustellen. Dann geht es in einen Raum, der wie ein hippes Wohnzimmer aussieht – mit Ledersofa und Sofatisch und einem Buchregal. Auf dem Tisch liegen einige der Magic Leap One-Headsets. Shanna De luliis, technische Marketingmanagerin bei Magic Leap, zeigt, wie man sie überzieht. Zunächst zieht man das Band auseinander und platziert es dann über dem Kopf. Dabei muss man sicherstellen, dass es im richtigen Winkel sitzt, bevor man es festzurrt. Der Blick durch die Brille führt sich an, als würde man eine Sonnenbrille in Innenräumen tragen. Die dunkle Färbung führt dazu, dass die Computerbilder möglichst solide wirken, ohne dass zu viel Licht in die Augen geworfen werden muss. Das Headset funktioniert derzeit noch nicht mit einer darunter getragenen Brille, aber künftig soll es möglich sein, für die Sehstärke passende Linsen einzusetzen.