Magic Leap One im Test: Echt, aber nicht echt genug

Seite 2: Wie sich die Magic Leap One anfühlt

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Den Steuercomputer bringt man am Gürtel oder an einem Schulterband an. Er wiegt 415 Gramm und hört auf den Namen "Lightpack". Das Headset wiederum, "Lightwear" genannt, wiegt 325 Gramm. Es fühlt sich an als würde man eine ziemlich schwere Skibrille tragen und gleichzeitig eine ziemlich leichte Handtasche. Zudem trägt man einen schwarzen Controller in der Hand, der oben ein Touchpad und unten einen Abzugknopf hat.

Dann geht es los mit den ersten Demonstrationen, die entweder schon auf dem Gerät sind oder aus dem App Store von Magic Leap geladen werden können, der Magic Leap World heißt. Zuerst startet ein Spiel namens "Dr. Grordbort's Invaders", das allerdings noch nicht ganz fertig ist.

Es öffnet sich ein rechteckiges Portal in der Wand vor dem Spieler. Gelbe Alienroboter treten heraus und schießen auf einen. Man weicht ihnen aus und nutzt den Controller, auf den das Bild einer Laserpistole gelegt wurde, um zurückzuschießen. Mit jedem Treffer beginnen Gegenstände im Raum, virtuell zu kokeln. Alles sieht ein wenig nach dem Konzeptvideo aus YouTube aus und wirkt realistischer als das, was man im Twitch-Livestream sehen konnte.

Immer wenn man einen Roboter abgeschossen hat, fällt er auf einen Haufen. Die Farbe ist zwar nicht gänzlich undurchsichtig, aber durchaus solide. Man versteht, wenn Abovitz sagt, man müsse das Headset selbst ausprobiert haben, bevor man es beurteilen kann. Diese Roboter sehen besser aus als alles, was man auf einem flachen Bildschirm zu sehen bekäme.

Der Firma ist es außerdem gelungen, digitale Bilder und Realität auf interessante Weise zu verschmelzen. Eines der größten Probleme in der Augmented Reality ist es, virtuelle Objekte gegen echte auszutauschen und umgekehrt – das ist schwer, weil man das Licht sehr genau kontrollieren muss. Magic Leap hat hier erste Fortschritte gemacht. Manchmal tauchen Roboter hinter einem Sofa im Raum auf (Audiohinweise aus Lautsprechern im Headset geben erste Indizien). Wenn man dann aber versucht, zu schauen, ob sie verschwinden, wenn man sich hinter einem Stuhl versteckt, zeigt sich, dass das virtuelle Objekt sich merkwürdig verbiegt und nicht komplett verdeckt wird.

In einer anderen Demonstration kann man Basketball auf einem virtuellen Flachbildschirm betrachten, den man mit dem Controller verschieben und anpassen kann – um ihn beispielsweise an eine Raumwand zu "kleben". Das Bild ist zumeist ordentlich klar, außer man kommt ihm zu nah, dann verschwindet es und wird durch Rasterlinien ersetzt. Zudem gibt es eine "Court View"-Darstellung, bei der man ein tischgroßes 3D-Modell eines Basketballplatzes ansehen kann. Es schwebt über dem Boden vor dem Nutzer und zeigt einen computergenerierten LeBron James, wie er einen Korb wirft.

Eine weitere App, Create genannt, erlaubt das Erstellen einer eigenen AR-Welt mit dem Headset und dem Controller. Man kann kleine Charaktere wie einen Tyrannosaurus Rex oder einen Ritter oder eine Seeschildkröte greifen und irgendwo in der Realität platzieren. Stellt man den T-Rex auf einem Stoffottoman ab, sieht er darauf schon recht realistisch aus. Setzt man den 3D-Ritter daneben, kommt der Dino und plättet ihn.

Die Seeschildkröten lassen sich im Raum verteilen, wo sie sachte schwimmen. Man kann sie mit der Hand wegscheuchen oder mit dem Controller "anfassen", was ein haptisches Feedback ergibt. Man kann einen kleinen Wald auf den Möbeln und dem Boden wachsen lassen oder sich einen violetten virtuellen Pinsel schnappen und Abovitz bemalen, der dann quasi verschwindet.

Perfekt ist das alles allerdings noch nicht. Zwischendurch taucht eine Fehlermeldung auf. Offenbar kann das Headset keine weiteren Objekte gleichzeitig mehr darstellen und man muss erst einmal welche löschen. "Du hast es gecrasht", witzelt Abovitz. Es gibt auch noch weitere Fehler. Zwar sehen die einzelnen Objekte normalerweise sehr scharf aus und bleiben an der gewünschten Stelle, wenn man schnell mit dem Kopf wackelt, doch kommt es vor, dass sie sich in rote, grüne und blaue Anteile auflösen. Sam Miller, einer der Magic-Leap-Gründer und Leiter des System-Engineering-Teams der Firma, meint, dass das an Problemen beim "Tuning" der verschiedenen Hard- und Softwarekomponenten liegt, damit diese korrekt zusammenarbeiten.

Ein weiteres Problem – nicht nur für Magic Leap, sondern für jede andere Firma, die reale und digitale Bilder miteinander vermischen will – ist das abgedeckte Sichtfeld (Field of View). Die Magic Leap One schafft 50 Grad in der Diagonale, was größer ist als die 35 Grad der HoloLens. Zum Vergleich: Beide menschlichen Augen decken 120 Grad ab, einzelne Augen sogar mehr. VR-Headsets bieten ein größeres Sichtfeld als die Magic Leap One, aber bei solchen Geräten ist die technische Herausforderung auch geringer. Jeremy Bailenson, Gründungsdirektor des Virtual Human Interaction Lab an der Stanford University, meint, dass der Bildschirm bei VR-Anwendungen normalerweise direkt vor dem Gesicht platziert werden kann, während bei AR Licht von einer Oberfläche auf die Retina projiziert werden muss. Das schränkt das Sichtfeld ein.

Bei Magic Leap ist man aufgeregt, wie die Menschen auf ihr AR_Headset reagieren werden. Die Mannschaft arbeitet seit Jahren an der Technik. Doch so spannend die Demoanwendungen auch sind, "wegblasen" dürften sie niemanden. Das Gefühl, dass die Roboter einen wirklich angreifen, hat man nicht und den lebensgroßen Wal aus der Magic-Leap-Werbung der Frühzeit gibt es auch noch nicht. Zudem hat das Headset ein Gewicht, dass man nicht so schnell vergisst – und auch den Minicomputer muss man ständig mit sich herumtragen. Die Hardware muss noch viel kleiner und besser werden.

Und die große Frage bleibt, wie aus der Magic Leap One oder ihren zukünftigen Schwesterprodukten ein Geschäftsmodell werden soll. Abovitz hatte bereits angekündigt, dass seine Firma ein Endkundenprodukt auf den Markt bringen wird. Doch daraus wurde nichts – stattdessen erschien mit der Magic Leap One eine Betaversion. "Uns wurde klar, dass wir die Kreativen nicht einfach links liegen lassen können, diejenigen, die etwas schaffen. Sie kommen als erstes", sagt er.

All diese Puzzleteile – Grundlagentechnik, Hardware und Software und die Dinge, die man mit dem Headset tatsächlich machen kann – sind noch nicht soweit, dass sich ein Kauf für einen Normalanwender lohnen würde. Abovitz glaubt gar, dass es bis zur vierten Generation des Headsets dauern könnte, bevor es zu einem populären Gadget wird, das man nicht mehr aus der Hand legen möchte. Deshalb setzt die Firma nun auf Entwickler und Partner. Einige große Marken sind schon dabei – die US-Basketballliga NBA etwa oder der "Star Wars"-Besitzer LucasFilm. Sie sollen der Magic Leap One die Richtung weisen. Wie diese aussieht, ist aber noch erstaunlich vage.

Rio Caraeff, der Inhaltechef von Magic Leap, meint, dass die Apps, an denen man werkelt, mehr als nur "den 12jährigen in uns" befriedigen sollen. Stattdessen soll es auch Enterprise-Produktivitätsprogramme oder Apps aus dem Bereich der medizinischen Bildgebung geben. Den Entwicklern will man die Möglichkeit geben, der AR-Welt ihren Fingerabdruck aufzusetzen. Aleissia Laidacker, ihrerseits Interaktionsdirektorin argumentiert ähnlich: "Ich denke, wenn das Gerät erstmal draußen ist, wird man wirklich verrückte Dinge sehen, die die Entwickler damit anstellen." Abovitz selbst setzt ebenfalls auf einen "Lasst Tausend Blumen blühen"-Ansatz. "Man braucht keine Riesenfirma", um Magic-Leap-Entwickler zu werden. "Man kann ein Kind in der Garage sein." Ein Kind, das 2300 Dollar übrig hat, allerdings.

All das zeigt das Problem, das auch den Hype um die Virtuelle Realität eingetrübt hat. Es fehlt an echten Killer-Apps. Entwickler könnten sagenhafte Anwendungsmöglichkeiten finden, die fast alle Nutzer ansprechen – oder auch nicht. VR-Programmierer haben es seit Jahren nicht hinbekommen. Abovitz ist sich mittlerweile bewusst, dass er über das, was er sich da aufgebaut hat, die Kontrolle verlieren könnte. "Bereuen darf man aber nicht."

(bsc)