Unser Eindruck von Android 9: Gewöhnungsbedürftige Gesten, bessere Akkulaufzeit

Wir haben Android 9 nun seit mehreren Tagen im Einsatz – und freuen uns über das gelungene Update. Uns sind aber nicht nur positive Änderungen aufgefallen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 231 Kommentare lesen
Unser Eindruck von Android 9: Gewöhnungsbedürftige Gesten, bessere Akkulaufzeit

(Bild: Google)

Lesezeit: 8 Min.
Von
Inhaltsverzeichnis

Android 9 ist ein gelungenes Update für Googles Handy-Betriebssystem. Wir nutzen Android Pie seit Release am Dienstagabend. Dabei sind uns zwar keine Revolutionen, dafür aber viele kleine Änderungen aufgefallen, die Version 9 zur insgesamt rundesten Ausgabe von Android machen. Schön finden wir zum Beispiel das neue Menü, das die offenen Apps anzeigt. Die werden nun nebeneinander statt wie früher gestapelt angezeigt. Sehr praktisch ist außerdem eine Funktion, mit der man aus diesem Recent-Apps-Fenster Text aus den geöffneten Apps kopieren kann, ohne sie zu maximieren. Leider funktioniert das nur in manchen Fällen – wir haben noch nicht so ganz durchschaut, woran das liegen könnte.

Die neuen System-Animationen finden wir etwas ansehnlicher als vorher. Und die Verwaltung der Notifikationen wurde verbessert. Leider steht die Funktion, mit der man direkt aus dem Notifikationsmenü mit Antwort-Mustern reagieren kann, noch nicht in Deutschland zur Verfügung. Etwas hässlich finden wir die neue Notifikationsleiste, dafür ist sie allerdings funktional klarer: Ein Tipp auf eine Einstellung schaltet die Funktion an oder aus, ein langer Druck darauf führt zu weiterführenden Einstellungen. In früheren Android-Versionen war das nicht immer so einheitlich.

Die neue Gestensteuerung hinterließ bei uns einen zwiespältigen Eindruck. In Android 9 kann man nun auf dem Bildschirm swipen, um Funktionen aufzurufen, die früher per Button-Druck zugänglich waren. Das ersetzt die klassische Navigationsleiste. Mit einem Swipe nach oben öffnet man ein Menü, das ein paar ausgewählte Apps und darüber die geöffneten Anwendungen nebeneinander anzeigt.

So sieht es aus, wenn man bei aktivierter Gestensteuerung einmal nach oben wischt. Uns gefällt das gut: Die nebeneinander gelisteten Recent-Apps sind übersichtlich, die vorgeschlagenen Apps unten überraschend treffsicher.

(Bild: heise online)

Uns ist aufgefallen, dass die Anwendungen, die Android für diese Ansicht auswählt, fast immer passen. Die Google-KI analysiert das Nutzerverhalten nun offenbar besser und zeigt zum richtigen Zeitpunkt die passenden Apps an – das ist richtig praktisch. Wenn die gewünschte App aber doch nicht unter den Schnellvorschlägen ist, wischt man einfach nochmal nach oben, um ins volle App-Menü zu kommen. In vielen Fällen waren wir so schneller unterwegs als in der klassischen Android-Benutzerführung mit Home- und Recent-Button. Gerade bei großen Bildschirmen bietet sich die Gestensteuerung an, da man sie besser mit einer Hand benutzen kann.

Gewöhnungsbedürftig ist die Gestensteuerung aber schon. Vor allem Nutzer, die den Recent-Button rechts unten (bei Samsung links) bisher häufig verwendet haben, werden ihn nun schmerzlich vermissen: Wir haben uns oft dabei erwischt, wie wir aus Routine auf die nun leere Stelle getippt haben. Ob die Vorzüge der Gestensteuerung die Umgewöhnung rechtfertigen? Da sind wir uns nicht ganz einig. Zum Glück ist die Swipe-Steuerung erst einmal optional, standardmäßig ist sie sogar deaktiviert. Wer sie einschalten will, muss unter "System" auf "Bewegungen" drücken und dort "Auf Startbildschirmtaste nach oben wischen" auswählen. Übrigens haben die Android-9-Gesten noch einen Nachteil: Sie funktionieren bisher nicht mit Launchern, da diese ihre eigenen Navigationskonzepte mitbringen.

Bei Android 9 schreibt sich Google die Künstliche Intelligenz groß auf die Fahne. Die soll Erfahrungen über das Verhalten des Users sammeln und bestimmte Aspekte des Betriebssystem darauf anpassen. Das klappt nicht immer so gut wie wir es bei den App-Vorschlägen beschrieben haben.

Der "lernende Akku" in Android 9 hat die Laufzeit bei uns überraschend deutlich verbessert.

(Bild: heise online)

Die neue Display-Helligkeitsregelung etwa soll die Präferenzen des Nutzers mit einbeziehen, statt sich nur stumpf auf die Außenbeleuchtung zu verlassen. Klingt erstmal nett, funktionierte in unserer Erfahrung aber noch nicht wie gewünscht. Wir mussten die Bildschirmhelligkeit ständig nach oben korrigieren. Na gut, die KI muss uns ja auch erstmal kennenlernen, da sind solche kleinen Nervigkeiten wohl zu erwarten. Wir bilden uns auch ein, dass es im Lauf der Tage etwas besser wurde.

Richtig überrascht hat uns die Akkulaufzeit: Google verspricht, dass die KI in Android 9 besser mit den Ressourcen haushalten kann als die vorherigen Android-Versionen. Ganz ernst haben wir dieses Versprechen nicht genommen, sowas hört man von den Handy-Herstellern ständig. Wir haben aber nicht schlecht gestaunt, als unsere Pixel-Handys plötzlich mehrere Stunden länger durchgehalten haben. Die vorausgesagte Laufzeit wuchs auf einem Handy von 28 auf 35 Stunden an.

Und auch in der Praxis merkten wir, dass wir am Ende des Tages mehr Laufzeit übrig hatten. Im Ruhezustand verbrauchten unsere Handys fast gar keinen Akku mehr. Wir sind uns aber nicht sicher, ob das im Lauf der KI-Optimierung eher besser oder schlechter werden wird. Denkbar ist zum Beispiel, dass die Google-KI erst einmal allen Diensten eine niedrige Priorität zuweist und deswegen aus den Startlöchern die maximale Akkubremse angezogen hat, die später noch gelockert wird. Das muss die Zeit zeigen.

Welche Apps schicken die meisten Notifikationen? In Android P lässt sich das nun einfach herausfinden.

(Bild: heise online)

Android 9 hat eine neue Suite an Funktionen, die es dem Nutzer vereinfachen soll, sich vom Handy zu trennen. Mit "Digital Wellbeing" kann man zum Beispiel ein Zeit-Limit für bestimmte Apps setzen, nach denen man sie erstmal nicht mehr nutzen kann. Wir finden das grundsätzlich etwas esoterisch. Es spricht aber auch nichts dagegen, dieses Feature ins Betriebssystem einzubauen. Immerhin hat ja der Nutzer am Ende die Kontrolle darüber.

Und die Funktion, den ganzen Bildschirm zu einer bestimmten Uhrzeit grau zu schalten, hat uns sogar ganz gut gefallen. In Kombination mit dem Nachtmodus wird Android so in einem leichten Sepia dargestellt, was wir abends als angenehm für die Augen empfanden. Richtig interessant sind die Statistiken, die mit Digital Wellbeing kommen. Im neuen Dashboard sieht man zahlreiche zusätzliche Infos, die Android bisher für sich behalten hat. Wie viele Notifikationen versendet eine App? Wie viel Zeit verbringe ich in einer Anwendung? Das kann man in Android P nun einfach herausfinden.

Weniger erfreulich: Dass in Android 9 nun auch der Notch offiziell unterstützt wird, merkt man auch auf Handys ohne Notch. Die Rede ist von den Display-Einkerbung, die auf aktuellen Geräten vieler Hersteller zum Einsatz kommen. Auch das Pixel 3 wird wohl einen solchen Notch haben. Das Pixel 2 hat ihn aber nicht – und wird trotzdem in Mitleidenschaft gezogen.

Dort, wo bei Notch-Handys nämlich die Einkerbung säße, werden in Android P keine Notification-Icons mehr angezeigt. So ist es zumindest bei den Pixel-Handys, mit denen wir die neue Android-Version ausprobiert haben. In früheren Android-Versionen haben sich die Notifikationen über den gesamten oberen Display-Rand erstreckt. Nun werden sie abgeschnitten, bevor sie zu weit in die Mitte ragen – da könnte ja ein Notch sein, denkt sich offenbar Google. Schrift und Icons sind in der Notifikationsleiste auch etwas kleiner geworden.

Eine Option, die Notifikationen wieder wie früher über den ganzen Display-Rand zu strecken, haben wir nicht gefunden. Vielleicht gibt es sie ja in zukünftigen Updates. Ein Weltuntergang ist das alles nicht, aber schon etwas nervig. Zumal es ja immer noch Hersteller wie Samsung gibt, die sich dem Notch versperren. Und ohnehin wird der Notch wohl nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum wirklich randlosen Display sein.

Solche Kleinigkeiten reichen aber nicht, um den Gesamteindruck von Android 9 zu trüben. Wer die Gelegenheit hat, die neue Version zu installieren, sollte sie auch nutzen. Die vielen kleinen Verbesserungen summieren sich zu einem flüssigeren, angenehmeren Handy-Betriebssystem. Und was die KI auf Dauer leisten kann, müssen wir ja sowieso noch herausfinden. Vielleicht hält Android 9 Pie also noch die ein oder andere Überraschung bereit.

Android 9 ist im Moment nur auf Pixel-Handys und dem Essential Phone verfügbar. Wer ein Pixel-Handy besitzt, sollte das OTA-Update bereits bekommen haben. Alternativ kann man sich die Images direkt herunterladen und installieren. Spätestens Ende Herbst sind laut Google dann auch die Smartphones der anderen großen Hersteller an der Reihe. Welche Handys das Update bekommen, liegt letztlich an den jeweiligen Herstellern. Smartphones, die am Beta-Programm teilgenommen haben, gelten als gesichert. Dazu gehören unter anderem das Sony Xperia XZ2, das Nokia 7 Plus und das OnePlus 6. (dahe)