Die Kamera sucht das Motiv aus

Kann künstliche Intelligenz beurteilen, was ein Mensch schön oder wichtig findet? Genau dies verspricht eine neue Generation smarter Kameras.

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Digitale Fotografie: Auto-Ästhetik

(Bild: Arsenal)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Eva Wolfangel
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Wenn Fotografen sich über ausufernde Automatikfunktionen lustig machen, spötteln sie gern: Jetzt fehle nur noch eine Motivklingel. Nun hat Google tatsächlich so etwas Ähnliches in seine Kamera Clips eingebaut. Diese erkennt angeblich gute Momente von selbst und knipst sie dann auch gleich. Die Algorithmen dafür laufen laut Google direkt auf dem Gerät, nicht in der Cloud. Mit Fotos von Freunden und Angehörigen können Nutzer der künstlichen Intelligenz klarmachen, wer ihnen besonders wichtig ist.

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Weitere Details des Algorithmus sind geheim. Erste Versuche zeigen aber, dass er insgesamt nach Lebendigem zu schauen scheint, seien es Menschen oder Tiere. Ein lächelndes Gesicht lässt die Kamera eher auslösen als ein ernstes, aber sie scheint auch viele lachende Gesichter zu verpassen, wie Nutzer berichten.

Statt einzelner Fotos filmt Clips kurze Sequenzen – die Nutzer müssen die Bilder am Ende also doch wieder selbst aussortieren. Dabei könnten uns Algorithmen gerade dies am ehesten abnehmen, meint Susanne Boll, Informatikerin an der Uni Oldenburg: "Früher ging es vor allem um die Qualität eines Bildes oder darum, ob eine Person darauf zu sehen ist." Dies wurde mit Regeln programmiert. "Doch jetzt entstehen mit Deep Learning ganz neue Möglichkeiten, auch den Inhalt eines Bildes und seine Bedeutung für Menschen einzuschätzen."

Die US-Firma Lighthouse etwa bietet eine smarte Überwachungskamera für 299 Dollar an. Sie ist vortrainiert, um unter anderem Menschen und Tiere voneinander zu unterscheiden. Der Nutzer kann das Gerät mit den Bewohnern vertraut machen, indem er sie auf Fotos markiert. Dann erkennt es etwa, wenn Kinder nach 20 Uhr noch auf dem Tisch tanzen, oder wenn Fremde im Haus sind. So lassen sich Alarme programmieren wie "Wenn die Kinder um 16 Uhr noch nicht zu Hause sind, gib mir Bescheid." Boll will das Prinzip nutzen, damit Körperkameras von Polizisten keine privaten Situationen filmen. Eine Technik, die entsprechende Entscheidungen in Echtzeit trifft, passe allerdings noch nicht in ein so kleines Gerät, und auch die Algorithmen seien noch nicht gut genug darin, menschliches Verhalten zu verstehen.

"Die aktuell wohl realistischste Anwendung für smarte Kameras besteht darin, normale Fotografen zu unterstützen, schönere Fotos zu machen", sagt Boll. Darauf zielt Arsenal ab, ein kleines Kästchen, das per USB an die meisten Kameras von Canon, Fuji, Nikon und Sony angeschlossen werden kann. Es erkennt automatisch das Motiv und schlägt dafür die besten Einstellungen vor, die es aus einem Datensatz von Profi-Fotografien gelernt hat.

Auf Kickstarter hat Arsenal die anvisierten 50.000 Dollar um das Zehnfache übertroffen. Ob die Bilder tatsächlich so viel besser werden, dass sich Fotografen ein Kästchen an ihre Kamera stecken wollen, muss sich noch zeigen. Zumal selbst Smartphones mittlerweile ähnliche Features mitbringen: Das Huawei P20 Pro etwa hat eine "Neural Processing Unit", die Motive automatisch erkennen und die Einstellungen entsprechend optimieren soll.

Allerdings ist technische Perfektion für Menschen nicht alles, meint Susanne Boll. "Vielleicht gefällt mir ein Foto, selbst wenn es unscharf ist" – etwa weil es das letzte ist, auf dem Opa noch drauf ist. Den Massengeschmack für ein "schönes Bild" kann KI schon recht gut vorhersagen – die private Bedeutsamkeit hingegen kaum.

(bsc)