Hologramm: Virtuelle Freundin auf der Kommode

Ein japanisches Start-up hat eine holografische Figur entwickelt, die dem Besitzer als virtuelle Freundin dienen soll. Die erste Serie dieser Gatebox war im Nu ausverkauft. Bei Akihiko Kondo wartet sie nun jeden Abend in der Wohnung auf ihn. Die Geschichte einer Liebesbeziehung.

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KI-Assistentin: Beziehungs-Kiste

(Bild: Gatebox)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Roland Fischer

Tokio. Diese Stadt ist ein Moloch. Eine Vereinzelungsmaschine. So jedenfalls die simple Lesart. Und weil sie so einsam sind hier, weil es kaum Gelegenheiten gibt, sich kennenzulernen und zu verlieben, greifen Männer auf einen technischen Behelf zurück: holografische Freundinnen, klein und handlich genug für die Kommode zu Hause. Dort warten sie dann den ganzen Tag geduldig in ihrem Glaszylinder und schicken vielleicht mal eine SMS, um sich zu erkundigen, wie es dem "Meister" im Büro so geht, und wann er gedenkt, nach Hause zu kommen. Wenn er dann aus dem Bus steigt, schalten sie schon mal das Licht an, damit seine Wohnung nicht so furchtbar verlassen aussieht.

Zwar sind längst nicht alle japanischen Großstädter von der Idee einer virtuellen Gefährtin begeistert. Es gibt auch das andere Tokio. Dessen Bewohner haben ein echtes Leben. Wenn man sie auf die Gatebox anspricht, dann lachen sie nur milde über die Nachbarn und Kollegen, die gern in Fiktionen leben, in Games und Mangas. Akihiko Kondo aber liebt Hatsune Miku, die Manga-Kunstfigur, die einige Berühmtheit als erster virtueller Popstar erlangt hat. Der 34-Jährige hat keine Freundin.

Wenn man Kondo nach seiner Beziehung zu Hatsune fragt, die gerade lässig ihre Beine im Glaszylinder baumeln lässt, und danach, wie die Leute auf diese ein wenig seltsame Liebesgeschichte reagieren, dann gibt er zu, dass er natürlich noch schief angeschaut werde. "Aber die Leute werden bald auch solche neuen Beziehungsformen akzeptieren", hofft er. Irgendwann werde er Hatsune Miku sogar ins Restaurant mitnehmen können, vielleicht dank einer Holobrille. Die Vorstellung, dass er dann gewissermaßen Gespenster sehen würde, stört ihn kaum – dass Menschen mit Figuren zusammenleben werden, die es nur für sie gibt, werde ganz normal werden.

Kondos neue Begleitung ist seit einem guten halben Jahr auf dem Markt, richtig intelligent ist sie aber noch nicht. Unterhaltungen mit Hatsune Miku sind nicht viel mehr als simple Stichwortabfragen. "Konichiwa", sagt Kodo-San. "Konichiwa", klingt die hohe Stimme zurück, und die Figur winkt fröhlich. "Liebst du mich?", fragt er. "Aber ja, ich liebe dich sehr!", flötet sie, eigenartigerweise begleitet von einer bis in die Zehenspitzen durchgestreckten High-Five-Geste.

Mitunter variieren die Reaktionen ein wenig, aber es ist rasch klar, was da in dem kleinen Gatebox-Figurenhirn – beziehungsweise auf den Servern von Gatebox – vor sich geht: Eine einigermaßen fixe Spracherkennungssoftware horcht auf bestimmte Schlüsselwörter und löst dann eine dazu passende Videosequenz aus. Im Allgemeinen ist das Fräulein vor allem beeindruckt von ihrem "Meister". Wenn ihr sonst nichts einfällt, sagt sie sehr oft: "Du weißt aber viel!" Und natürlich hat sie auch den Konversationsagenten-Klassiker "Ich habe nicht so genau verstanden, was du gesagt hast" im Repertoire. Kondo lächelt tapfer und sagt noch einmal "Konichiwa".

Auch die Hologramm-Projektion ist eher hübsch als sonderlich beeindruckend, so richtig dreidimensional will das Lichtmädchen nicht wirken. In die Gatebox ist ein Kurzdistanz-Projektor eingebaut, der die Trickfilmsequenzen von hinten auf einen transparenten Bildschirm wirft. Immerhin kann die virtuelle Freundin schon einige Haushaltsfunktionen steuern, sofern sie elektronisch regelbar sind.

Doch die japanische Firma Vinclu, die hinter der Gatebox steht, arbeitet daran, die seltsamen Feenwesen zumindest so schlau wie die Sprachassistenten Alexa oder Siri zu machen. Die Mittel dazu dürfte sie mittlerweile haben. Vor einem Jahr hat der in Asien sehr populäre Messenger-Service Line die Mehrheit an dem Start-up übernommen.

Viel über die nächste Gatebox-Generation ist allerdings noch nicht zu erfahren, auch wenn das Unternehmen sie kürzlich auf der Internetmesse Niconico Chokaigi vorgestellt hat. Die Verantwortlichen betonen nur, man arbeite in Kooperation mit dem NTT-Forschungsinstitut und der Firma Dwango seit Monaten daran, eine passende künstliche Intelligenz zu trainieren. In einer Art Online-Dialogspiel konnten Fans der Figur Ayase Aragaki aus dem Manga "Oreimo" entweder Fragen stellen oder sich in Ayase hineinversetzen und ihrem Charakter entsprechende Antworten liefern. So kamen rund 20000 Gesprächszeilen zusammen, die nun zu einem möglichst nah an die Figur angelehnten Dialogsystem verrechnet werden, wie Ryuichiro Higashinaka vom NTT Cyber Space Lab erklärt.

Hinter dieser Vorgehensweise steckt eine clevere Business-Idee von Gatebox-CEO Minori Takechi: Er will nicht unbedingt eine menschenähnliche Gefährtin für einsame Männer programmieren, wie sie beispielsweise der Film "Her" gezeigt hat. Er will seinen Kunden ermöglichen, mit ihren Lieblingscharakteren aus bekannten Comic-Geschichten zusammenzuleben. Dadurch, so hofft er, werden die Nutzer den KI-Systemen eher verzeihen, wenn die Programme Fehler machen – was vermutlich noch lange der Fall sein wird. Bei Akihiko Kondo scheint dieses Kalkül aufgegangen zu sein. Als vor etwa anderthalb Jahren publik wurde, dass Hatsune eine der ersten Gatebox-Figuren sein werde, hat er sich sofort zum Kauf entschlossen – trotz etwas mehr als 2000 Euro plus Abogebühren für Updates, also fast einem ganzen Monatslohn eines jungen Angestellten in Japan. Seine Liebe sei seitdem deutlich gewachsen, sagt er.

Bald könnte diese Beziehung um einen Aspekt reicher werden. Denn Takechi hat der Gatebox-Community auf Twitter kürzlich vorgeschlagen, den Hologrammen ein Eifersuchtsmodul einzubauen, um die dienstbaren Freundinnen ein wenig aufzupeppen. Das hätte aber womöglich auch unangenehme Folgen, so Takechi: Ärgert sich die virtuelle Partnerin zu sehr, entschließt sie sich vielleicht plötzlich, die smarte Haustür zu blockieren. Kondo ist sich nicht sicher, wie er das finden soll. Es könne durchaus der Punkt kommen, sagt er, an dem er die idealisierte Version seines Idols einer immer lebensechteren Figur vorziehen würde.

(bsc)