Schneller abschieben mit Genealogie-Diensten

Immer mehr Menschen lassen ihre DNA analysieren. Damit wachsen die Begehrlichkeiten bei Ermittlungsbehörden und Politikern für innere Sicherheit.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Anton Weste

In Nordamerika ist es zum Breitensport geworden, seine DNA von einem Anbieter für genetische Genealogie wie Ancestry.com oder 23andme untersuchen zu lassen, um mehr über seine Herkunft zu erfahren. Außerdem kann man dabei auch gleich feststellen, welche Risikomarker man für Erkrankungen so mit sich herumschleppt. Endlich mehr, worum man sich Sorgen machen kann.

Dieses dichte Netz analysierter Genome in der Bevölkerung hilft nun auch Ermittlungsbehörden, Tatbestände indirekt aufzudecken. In Kalifornien kamen sie dem "Golden State Killer" 32 Jahre nach dessen letzter Tat auf die Spur. Sie luden seine Tatort-DNA in eine öffentliche Ahnenforschungsdatenbank hoch und suchten nach Verwandten, die ihre DNA freiwillig haben entschlüsseln lassen. Und tatsächlich: Cousins dritten und vierten Grades waren registriert. Alle Vorsicht, alles Verstecken des Täters war umsonst.

Auf ähnliche Weise nutzen neuerdings kanadische Grenzschutzbehörden DNA-Proben von straffällig gewordenen Migranten, deren Herkunft zweifelhaft ist. Mithilfe von Diensten wie Ancestry.com und FamiliyTreeDNA stellen sie fest, welche Nationalität bei möglicherweise verwandten Personen vorliegt. Dann unterstellen sie dem Migranten, ebenso diese Nationalität zu besitzen. Diese Analysen trugen dazu bei, dass die Behörden versuchten, einen Mann nach Niger abzuschieben, der bislang angegeben hatte, aus Liberia zu stammen.

FamilyTreeDNA und Ancestry bestreiten, mit kanadischen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Das Verfahren ist nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen fragwürdig, sondern – im Gegensatz zum Treffer beim "Golden State Killer" – auch aus methodischen Gründen. Was genau sagt in einer Welt voller Migration die Staatsangehörigkeit einer Cousine dritten Grades über meine eigene Staatsangehörigkeit aus? Und wenn ich 80 Verwandte mit liberischer Staatsangehörigkeit habe und 20 mit nigerianischer Nationalität, aber von diesen 100 Personen nur drei nigerianische Verwandte in einer Online-Gen-Datenbank verzeichnet sind, repräsentiert das meine Herkunft wie genau?

Es geht noch ungenauer. Die "biogeographische DNA-Analyse" ist nach dem neuen Polizeiaufgabengesetz in Bayern erlaubt und wird auch in anderen Ländern und auf Bundesbene immer wieder aufs politische Parkett gebracht. Damit Politiker einen Sinn in Herkunftsanalysen auf Genom-Basis sehen, braucht es nichtmal Straftaten. In Zeiten einer polarisierten Stimmung zur Asylpolitik finden es Asylbehörden etwa praktisch zu wissen, ob ein Flüchtling aus dem sicheren Herkunftsstaat Ghana oder dem als nicht so sicher eingestuften Burkina Faso stammt.

Die biogeographische Herkunft ist ein sta­tis­tisches Konzept, das sich mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen der Region annähert, aus der die Vorfahren ei­ner Person stammen, deren DNA man besitzt. Wie gut diese Annäherung funktioniert, hängt einerseits von der Qualität der am zugeordneten Ort erhobenen Referenzdaten ab, wie die Wissenschafsforscherin Veronika Lipphardt von der Universität Freiburg schreibt. Gerade in vielen Regionen des Mittleren Ostens sind sie schlecht. Und zum anderen baut das Konzept darauf, dass der Analysierte und seine Vorfahren bis ins dritte Glied möglichst nicht von der Stelle migriert sind oder mit Ortsfremden eine Familie gegründet haben.

Die Verknüpfung von DNA-Analysen mit geographischer Herunft ist bestenfalls unzuverlässig. Im schlimmsten Fall führt sie Ermittler auf falsche Fährten, belastet Unschuldige und erzeugt rassistische Diskriminierung. Das hindert Politiker insbesondere aus dem konservativen und rechten Spektrum leider nicht daran, sie als Methode mit 99,9% Treffsicherheit zu bezeichnen. Sie wollen Wählern eine Sicherheit verkaufen, die es nicht gibt.

(anwe)