Der Mann mit vier Armen

Können zusätzliche, ferngesteuerte Gliedmaßen einen Nutzen haben? Eine Gruppe von der japanischen Keio University glaubt daran und will ein System dafür zum Produkt weiterentwickeln.

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Der Mann mit vier Armen

(Bild: Keio University Graduate School of Media Design, the University of Tokyo)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Rachel Metz
Inhaltsverzeichnis

Yamen Saraiji hat vier Arme, und zwei davon umarmen ihn.

Die Gliedmaßen, die Sariji umarmen, sind lang, schlaksig, mechanisch und verbunden mit einem Rucksack auf seinem Rücken. Tatsächlich werden sie von einer anderen Person gesteuert, die ein VR-Headset des Typs Oculus Rift trägt und auf diese Weise (über Kameras am Rucksack) die Welt aus der Perspektive von Saraiji sehen kann.

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Nach der Umarmung lassen die Roboter-Arme Saraiji wieder frei. Dann klatscht die rechte Hand eine seiner echten ab, und er lächelt.

Saraiji ist Assistant Professor an der Graduate School of Media Design der Keio University in Tokio und Leiter des Fusion genannten Projekts mit den Extra-Armen. Darin soll erkundet werden, wie mehrere Personen zusammen den Körper einer Person steuern (oder erweitern) können. Ein paar der Aktionen, die Saraiji mir über Video-Chat aus seinem Labor in Japan vorführt, sind albern. Aber er glaubt, dass das Konzept nützlich für Anwendungen wie Physiotherapie und Instruktionen auf Entfernung sein könnte.

Der Bediener der Roboter-Arme und -Hände kann sie nicht nur zum Umarmen und Abklatschen einsetzen, sondern auch Objekte ergreifen und sie um den Menschen mit dem Rucksack herumbewegen. Die mechanischen Hände lassen sich abnehmen und mit Gurten ersetzen, die um die Handgelenke des Rucksack-Trägers gelegt werden, um seine Arme wirklich fernzusteuern. Die Apparatur, entwickelt von Saraiji und Kollegen von Keio University und University of Tokyo, soll in dieser Woche bei der Siggraph-Konferenz zu Computergrafik und Bedienkonzepten vorgestellt werden.

Schon in der Vergangenheit gab es reichlich Versuche, zusätzliche Gliedmaßen für Menschen zu entwickeln, und auch Saraiji macht es nicht zum ersten Mal: Er und die meisten anderen Forscher im Fusion-Projekt haben bereits tragbare Arme und Hände namens MetaLimbs konstruiert, die mit den Füßen gesteuert werden.

Die Gliedmaßen mittels VR stattdessen von einer anderen Person steuern zu lassen, die sich zudem in einem anderen Raum oder auch Land befinden kann, ist allerdings etwas anders. Wie Saraiji sagt, wollte er sehen, wie es ist, wenn jemand anderes auf gewisse Weise in den eigenen Körper eintauchen und die Kontrolle übernehmen kann.

Im Rucksack befindet sich ein PC, der drahtlos Daten zwischen dem Träger der Roboter-Arme und der Person überträgt, die sie kontrolliert. Außerdem ist er mit einem Mikrocontroller verbunden, der dafür sorgt, dass Arme und Hände richtig positioniert werden und mit der passenden Kraft bewegt werden.

Die Roboter-Arme verfügen über jeweils sieben Gelenke und gehen vom Rucksack aus, auf dem auch eine Art Kopf sitzt. Der besteht aus zwei Kameras, die dem Bediener mittels VR einen Live-Stream von allem zeigt, was der Träger sieht. Wenn der Bediener seinen Kopf bewegt, wird das über Sensoren erkannt, und der Roboter-Kopf macht die gleiche Bewegung (er kann sich nach links oder rechts drehen, nach oben und unten neigen und schräg legen, sagt Saraiji).

Das tragbare System wird versorgt von einer Batterie, die für ungefähr 1,5 Stunden ausreicht. Mit gut 10 Kilogramm ist es relativ schwer. „Natürlich ist es noch ein Prototyp“, sagt Saraiji.

Bei unserem Video-Gespräch zieht er den Rucksack an und bittet einen Studenten, für eine Demonstration der Funktionsweise das Headset aufzusetzen. Ich gebe ein paar Instruktionen, zum Beispiel, dass der Bediener etwas aufheben soll. Zuerst tut er sich schwer mit dem kreischend gelben Spielzeug mit Comic-Augen, dann ergreift er es und überreicht es Saraiji. Einmal geht Saraiji hinter dem VR-Bediener, sodass der sich mit einem der Roboter-Finger selbst auf die Schulter tippen und eine kurze Nacken-Massage geben kann.

Mit Knöpfen auf den Controllern für das Oculus Rift lassen sich unterschiedliche Finger-Funktionen auslösen: für kleinen, Mittel- und Ringfinger gibt es einen gemeinsamen Knopf, Daumen und Zeigefinder haben jeweils eigene.

Hermano Igo Krebs, hat sich als leitender Wissenschaftler am MIT jahrzehntelang mit Robotik für Rehabilitation beschäftigt. Für diese Zwecke hält er das System für eher nicht geeignet. Aber er kann sich vorstellen, dass es in vielen anderen Situationen nützlich ist – als Unterstützung für Astronauten im All oder für Sanitäter bei ungewohnten medizinischen Handgriffen.

Saraiji sagt, er wolle das Projekt gern zu einem konkreten Produkt machen. Zusammen mit seinen Kollegen sei er gerade dabei, es einem Startup-Beschleuniger in Tokio schmackhaft zu machen.

(sma)