Warum benutzen so viele Ärzte ihr eigenes Sperma?

Die kommerziellen Gentests machen es möglich. Immer mehr Menschen erforschen die eigene Abstammung. Dabei erfährt manch einer unliebsame Neuigkeiten.

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Von
  • Inge Wünnenberg

In Deutschland wurde im Juli das bundesweite Samenspender-Register eingeführt – und das wurde auch höchste Zeit. Denn zu lange wurde das Recht der Kinder missachtet, über ihre Abstammung Bescheid zu wissen. Hierzulande gibt es etwa 100.000 Menschen, die aus einer anonymen Samenspende hervorgegangen sind. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1989 entschieden, dass jeder Mensch ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung hat. Demnach hat ein Samenspender andererseits zwar kein Recht auf Anonymität. Dafür aber ist er von Unterhalts- und Erbansprüchen befreit. Auch das ist ein sehr zentraler wichtiger Aspekt.

In welche Verwirrung es Menschen stürzt, wenn sie Unerwartetes über die eigene Zeugung und Identität erfahren, war in jüngster Zeit mehrfach Thema in der Öffentlichkeit. Interessanterweise scheinen es gerade einige Ärzte gewesen zu sein, die ihre Patientinnen und deren Partner hintergingen: Im Zeitraum zwischen 1980 und 2009 soll etwa der niederländische Reproduktionsmediziner Jan Karbaat angeblich bis zu 60 Frauen mit dem eigenen Sperma künstlich befruchtet haben. Mehr als 20 Abkömmlinge des Arztes, der allerdings bereits im April 2016 verstorben ist, haben sich inzwischen gefunden, berichtete der Stern auf seiner Webseite.

Der Psychiaterin Monique Wassenaar gegenüber offenbarte sich der Mediziner in einer Antwortmail als ihr Erzeuger, berichtet das Magazin Vice online. Sie war auf die Ähnlichkeit mit Karbaat angesprochen worden und fragte ihn direkt danach. "Er sei bei guter Gesundheit und außerdem intelligent, da könnte er doch ein paar seiner Gene mit der Welt teilen", wird der Reproduktionsmediziner zitiert. Trotzdem verweigerte der Niederländer zu Lebzeiten einen Gentest. Den setzte voriges Jahr erst ein Gericht für die wachsende Schar der Nachkommen durch.

Ein ähnlicher Fall beschäftigt derzeit die Öffentlichkeit in den USA. Der Reproduktionsarzt Donald Cline steht in Verdacht, in einer Klinik nahe Indianapolis wohl ebenfalls in den Siebzigern und Achtzigern den eigenen Samen bei In-Vitro-Fertilisationen benutzt zu haben. Im Falle von zwei Frauen lässt sich die Vaterschaft nicht leugnen, wie die New York Times jetzt schreibt. Inzwischen wurden über den Genanalyse-Service der US-Biotechfirma 23andMe wohl weitere acht Halbgeschwister ausfindig gemacht. Cline, der sich bereits im Ruhestand befindet, für sein Treiben zur Rechenschaft zu ziehen, entpuppt sich allerdings als Problem: Es existiert kein Gesetz in Indiana, das dem Arzt verbietet, das eigene Sperma bei der Fertilisation von Patientinnen zu verwenden.

Auch in Kanada wurde der Webseite von CNN zufolge in diesem Frühjahr ein ähnlich gelagerter Fall bekannt. Norman Barwin soll – ebenfalls ohne das Wissen der behandelten Paare – in der Zeit zwischen den Siebzigern und den frühen Nullerjahren wenigstens elf Kinder mit dem eigenen Sperma gezeugt haben. Doch dies scheint nur die Spitze des Eisbergs von Schlampereien in größerem Stil zu sein: In 16 weiteren Fällen gibt es keine Übereinstimmung zwischen Kindern und ihren vorgeblichen leiblichen Elten. Bei 35 anderen künstlichen Befruchtungen wiederum scheint es fraglich, ob der Samen der präferierten Spender genutzt wurde.

Da sich die jüngst entlarvten Täter allsamt in Schweigen hüllen, lässt sich über die Motive der Reproduktionsmediziner leider wenig sagen und nur spekulieren. RTL vermutete auf seiner Webseite, der Grund für den niederländischen Mediziner könnte ein Mangel an Samenspendern gewesen sein. Trotzdem hoffen wir, dass die Ursache nicht ganz so profan gewesen ist – im Vergleich zu dem Päckchen, das die betroffenen Kinder und deren Familien nun zu tragen haben.

(inwu)