Stromtrasse Ultranet: Bürger befürchten Gesundheitsbeeinträchtigungen

Die Hybridleitung der Stromtrasse Ultranet soll die Gesundheit gefährden, sagen Bürger. Die Bundesnetzagentur verweist auf die Einhaltung von Grenzwerten.

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Widerstand gegen Stromautobahn Ultranet: Bürger befürchten Gesundheitsbeeinträchtigungen

Teile der Ultranet-Stromtrasse sollen zu Hybridleitungen umgerüstet werden.

(Bild: Amprion)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jens Albes
  • dpa
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Franziska Hennerkes deutet auf den gewaltigen Strommast neben ihrem Haus im rheinland-pfälzischen Urbar bei Koblenz: "Wir sind schockiert, was hier geplant ist. Wir sind die Versuchskaninchen für ein riskantes Experiment über unseren Köpfen." Erstmals in Deutschland sollen an einer Höchstspannungsleitung mit Wechselstrom zusätzlich Kabel für Gleichstrom montiert werden. Diese Hybridleitung elektrisiert tausende Anwohner in vier Bundesländern – könnte es neue gefährliche Wechselwirkungen geben? Bürgerinitiativen drohen mit Klagen. Die Verantwortlichen verneinen Risiken.

Ultranet soll auf 340 Kilometern von Osterath in Nordrhein-Westfalen durch Rheinland-Pfalz und Hessen bis Philippsburg in Baden-Württemberg führen. Laut offizieller Begründung soll damit im Zuge der Energiewende Strom vor allem aus Windenergieparks vom Norden in den industriereichen Süden der Republik transportiert werden – so wie weiter östlich auch mit den geplanten reinen Gleichstrom-Trassen Südlink und Südost-Link. Ultranet soll nach Auskunft des Netzbetreibers Amprion 2023 in Betrieb gehen – mit Kosten von einer Milliarde Euro. Beteiligt ist auch der Netzbetreiber TransnetBW.

Die dreifache Mutter Hennerkes ist Sprecherin des Aktionsbündnisses Ultranet, in dem sich 18 Bürgerinitiativen gegen die hybride Stromautobahn zusammengeschlossen haben. Die Diplomverwaltungswirtin sagt: "Die Grenzwerte von Wechsel- und Gleichstrom sind einzeln geprüft worden, aber nicht die Kombination, wenn beide Leitungen an denselben Masten hängen." Sie spricht von einer "Monstertrasse".

Bürgerinitiativen in Hessen, etwa in Idstein, Niedernhausen und Eppstein, berufen sich auf Berichte und Gutachten für den Bundestag oder die Bundesnetzagentur: Demnach werde vor Kopfschmerzen, Alzheimer und Krebs sowie Störungen von Herzschrittmachern gewarnt. Die Bundesregierung hat 2017 eine Untersuchung von möglichen Gesundheitsgefährdungen durch Stromtrassen in Auftrag gegeben. Die Studie ist auf sechs Jahre angelegt.

Die Bundesnetzagentur und die Netzbetreiber weisen dies zurück: Auch bei einer Hybridleitung müssten die Grenzwerte für elektrische und magnetische Felder eingehalten werden. Die Netzagentur zitiert das Bundesamt für Strahlenschutz: Demnach könne es bei Hybridleitungen zwar technische Wechselwirkungen geben. Mit Blick auf den Strahlenschutz hätten Gleich- und Wechselstrom an denselben Masten "jedoch nicht viel miteinander zu tun. Es gibt keine sich aufschaukelnde Wechselwirkung, vor der sich viele Menschen sorgen."

Das Aktionsbündnis Ultranet sorgt sich allerdings nach eigenen Angaben nicht um elektrische Strahlen, sondern um mögliche gesundheitliche Gefahren durch sogenannte Korona-Ionen, "für die es eben keine Grenzwerte gibt".

Die Bundesnetzagentur verweist auch auf eine 2,5 Kilometer lange Hybrid-Teststrecke beim nordrhein-westfälischen Datteln: Hier hätten sich in Studien keine Hinweise auf zusätzliche Auswirkungen auf den menschlichen Körper ergeben. Zudem werde etwa in Skandinavien schon seit 1965 die Kontiskan teils als Hybridleitung betrieben.

Die Bürgerinitiativen-Sprecherin Hennerkes wischt dies vom Tisch: "Das stimmt nicht. Es gibt im Höchstspannungsbereich weltweit keine Hybridleitungen. Wir haben das recherchiert. In Schweden sind es zwei Leitungen mit eigenen Masten nebeneinander." Hennerkes fordert nahe Häusern eine Erdverkabelung wie bei Südlink und Südost-Link: "Bei Gleichstromleitungen ist ein Mindestabstand zu Wohngebieten von 400 Metern gesetzlich vorgeschrieben." In Urbar überspanne die bestehende Wechselstromleitung jedoch teilweise sogar Häuser.

Alternativtrassen werden laut Hennerkes nicht ernsthaft geprüft. Amprion-Sprecherin Joëlle Bouillon bestätigt, dass größtenteils die Masten der Wechselstromleitung nur umgerüstet werden sollen: "Das ist sehr landschaftsschonend. Wir müssen damit keine neuen Grundstücke in Anspruch nehmen." Daher sei Ultranet auch vom "Erdkabelvorrang" anderer Gleichstromverbindungen ausgenommen. Das spare mehrere zusätzliche Milliarden Euro. "Kleinräumige Verschwenkungen" der Ultranet-Trasse würden allerdings auf Betreiben verschiedener Kommunen geprüft: "Da gibt es noch keine Entscheidungen."

Gleichstromleitungen sind laut Amprion besonders für große Entfernungen geeignet. Bei gleicher Spannung könnten sie mehr elektrische Leistung als Wechselstromverbindungen transportieren. Allerdings ließen sich damit nicht verschiedene Regionen entlang der Leitung versorgen. Daher seien beide Übertragungen wichtig.

Hennerkes sagt: "Der Bau von Gleichstromleitungen lohnt sich erst ab 600 bis 700 Kilometern." Sie glaube hier auch nicht an den Transport von Windstrom nach der geplanten Abschaltung des letzten deutschen Atomkraftwerks 2022: "Das ist ein Märchen. In Wirklichkeit geht es um die Verteilung von Kohlestrom im europäischen Stromhandel. Ultranet beginnt in Osterath in einem Kohlerevier – und die Verlängerung nach Emden im Norden soll erst später gebaut werden."

Beim Großprojekt Ultranet ist ein mehrjähriges, fünfstufiges Planungs- und Genehmigungsverfahren vorgesehen. Die Sprecherin der Bundesnetzagentur, Carolin Bongartz, betont: "Indem wir Behörden, Verbände und Bürger rechtzeitig und umfassend informieren und miteinbeziehen, hoffen wir natürlich Rückschläge – auch in Form von Klagen am Ende des Verfahrens – zu vermeiden."

Ob das gelingt, ist fraglich. Laut Hennerkes sind bereits tausende Einwendungen eingegangen. Sie droht mit einer Klage, "wenn unseren Forderungen nicht nachgegeben wird". Viele Kreise und Kommunen hätten ebenfalls Kanzleien beauftragt, gegebenenfalls Klagen einzureichen. Hennerkes sagt: "Ich möchte nicht eines meiner Kinder in zehn Jahren auf den Friedhof bringen, deswegen engagiere ich mich." (olb)