Die Legende vom Popcorn-Befehl

Der Medienkonsument sei durch blitzkurze Befehle in Filmen manipulierbar: Obwohl längst als Bluff enttarnt, nehmen viele diese Geschichte immer noch für bare Münze.

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Von
  • Peter Glaser

1957 veröffentlichte der amerikanische Autor Vance Packard ein Buch, das erstmals umfassend Einblicke in die modernen Methoden der Werbung gab. Zehn Jahre lang hatte er an "Die geheimen Verführer" gearbeitet und dafür mehr als 1.500 Quellen ausgewertet, darunter eine Titelseite der britischen "Sunday Times" aus dem Jahr 1956, derzufolge Werbeagenturen in den Vereinigten Staaten mit "unterschwelligen Effekten" experimentierten. Von einem Kino in Fort Lee im US-Bundesstaat New Jersey war die Rede, wo angeblich während der Vorstellung Werbedias für Eiskreme eingeblendet worden waren – nur für Sekundenbruchteile, aber lang genug, um sie unbewußt wahrzunehmen. Ergebnis: Im Foyer sei danach deutlich mehr Eiskreme verkauft worden. Die Times gab zu bedenken, dass so auch politische Beeinflussung möglich wäre, ohne dass der Betreffende es merkt. Auf die Frage nach der Quelle erhielt Packard die Auskunft, "die betreffenden Gewährsleute wünschten nicht, sich näher dazu zu äußern."

Wie sich später herausstellte, hatte Packard den Urheber der angeblichen subliminalen Effekte bereits unwissentlich in seinem Buch porträtiert – den New Yorker Werbefachmann James Vicary, für den er sich interessierte, weil dieser Wörter, die in Anzeigen, Benennungen und Schutzmarken verwendet wurden, auf ihre tieferen Bedeutungen hin untersuchte. Noch im selben Jahr, in dem "Die geheimen Verführer" erschien, enthüllte Vicary seine konspirative Versuchsreihe auf einer Pressekonferenz. Innerhalb von sechs Wochen habe er 45.699 Besucher des Hollywood-Melodrams "Picknick" ohne sie zu informieren mit einem Spezialprojektor alle fünf Sekunden jeweils 1/3000 Sekunde lang den Werbebefehlen "Trink Coca-Cola!" und "Hungrig? Iß Popcorn!" ausgesetzt – der Verkauf von Coca-Cola sei daraufhin um 18,1 Prozent gestiegen, der von Popcorn um 57,5 Prozent. Subliminale Werbung sei ein Segen für Fernsehzuschauer – sie würde Unterbrecherwerbung überflüssig machen.

Die Öffentlichkeit war entsetzt. Konnte man mit solchen Methoden nicht eine Armee ahnungsloser Zombies in Gang setzen oder gar jemandem einen Mordbefehl einflüstern? Zweifel an Vicarys Behauptungen kamen auf. In einem Fernsehinterview räumte er 1962 schließlich ein, die Studie sei "ein Gimmick" gewesen, die Methode habe keine messbare Wirkung. Er war damals gerade etwas klamm gewesen und hatte sich von dem Presserummel neue Kunden erhofft.

Als moderne Legende hat sich das Scheinexperiment hartnäckig bis in die heutige Zeit erhalten. Immer noch nennen Leute es als Beleg für die angebliche Wirksamkeit subliminaler Einflüsterung. Es gibt mehrere Filme, deren Handlung auf dem Pseudo-Prinzip unterschwelliger Beeinflussung beruht. Der Film "Decoder" des Düsseldorfer Filmers Muscha etwa führt in eine Welt, in der die Menschen betäubt von Berieselungsmusik vor sich hinleben und ein subversiver Klangbastler "Gegensounds" verbreitet, durch die eine Revolution in Gang kommt. Einen Gastauftritt in dem Film hatte der Schriftsteller William S. Burroughs, der sich lange mit unterschwelliger Beeinflussung befasste. So beschrieb er gelegentlich, wie man ihm einmal in einem chinesischen Restaurant in London Lokalverbot erteilte. Von einer gegenüberliegenden Wohnung aus habe er daraufhin den Eingang so lange mit – für das menschliche Ohr unhörbarem – Infraschall bestrahlte, bis das Etablissement pleite gegangen sei.

(bsc)