Blockchains werden nicht dezentral bleiben

Neue digitale Technologien machen immer ein großes Versprechen: dass die Dienste dezentral sind und den Nutzern die Macht zurückgeben. Gehalten wird es nicht.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Michael Seemann
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"Das Internet interpretiert Zensur als technischen Fehler und leitet Informationen daran vorbei.“ Den Satz formulierte John Gilmore, Mitgründer der digitalen Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), in einem Interview mit dem „Time Magazine“. Er wurde in den 90er-Jahren zum Schlachtruf der frühen Internetaktivisten, denn er brachte das technologische Freiheitsversprechen des Internets auf den Punkt: Das Internet lässt sich nicht zensieren, denn es ist dezentral aufgebaut.

Man kann rückblickend darüber streiten, ob das Internet dieses Freiheitsversprechen jemals eingelöst hat. Heute lachen Google, Amazon und Facebook über die Träumerei eines hierarchiefreien Netzes. Das Internet hat die Machtverhältnisse hier und da sicher verschoben, aber auch konzentriert und auf damals unvorstellbare Weise monopolisiert.

Das gleiche Freiheitsversprechen umweht heute die Blockchain-Technologie. Wie das Internet damals soll heute die Blockchain Zensur und staatliche Einflussnahme unmöglich machen. Wie das Internet damals soll die Blockchain heute Hierarchien abbauen, die Peripherie stärken, den Schwachen eine Stimme und uns allen unsere Freiheit schenken – unreguliert, wild und auf Augenhöhe. Onlinedienste „serverless“ – also ohne zentralisierte Rechnerinfrastruktur – sollten so möglich sein, weil die Daten verteilt auf allen Computern der Teilnehmer liegen. Damit ließe sich die digitale Infrastruktur und deren Kontrolle in die Hände der Nutzerinnen und Nutzer legen.