Smart Cities: Wer soll das bezahlen?

Die intelligenteste Infrastruktur nützt Städtern wenig, wenn das Wohnen unerschwinglich wird. Doch Stadtplaner und Architekten halten Lösungen parat.

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Smart Cities: Wer soll das bezahlen?

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Jan Oliver Löfken

London war einst eine lebenswerte Stadt. Heute jedoch leiden viele Menschen unter hohen Kosten für Lebensunterhalt und unerschwinglichen Mieten. Die Wohnkosten explodierten in den vergangenen Dekaden. Mehr als 2000 Euro für eine Zwei-Zimmer-Wohnung sind eher die Regel als die Ausnahme. Ganze Familien leben zusammengepfercht auf engstem Raum. Gerade Geringverdiener brauchen gleich mehrere Jobs, um dann doch bis zu zwei Drittel ihres Einkommens in die Miete zu stecken.

"Städteplaner schauen auf London mit Schaudern", sagt Christian Schmid, Geograf, Soziologe und Professor am Departement Architektur der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich. "Mit spekulativen Bauten vernichtet man urbane Qualitäten und erhält einen eintönigen und lebensfeindlichen Städtebau." London verliert sein Miteinander von Arm und Reich. Dabei sind sich Städteplaner einig, dass eine sozial ausgewogene, heterogene Bevölkerung eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine lebenswerte Großstadt ist.

Investoren aus dem In- und Ausland treiben auch hierzulande das Immobilien-Monopoly voran. Sogar in der lange günstigen Hauptstadt stiegen die Mieten binnen sechs Jahren um etwa ein Drittel, in angesagten Vierteln sogar deutlich mehr. Der mittlere Kaufpreis pro Quadratmeter verdoppelte sich im gleichen Zeitraum auf etwa 3500 Euro. Die Folgen sind Verdrängung, Mieterproteste und Zulauf zu Initiativen wie "Recht auf Stadt", die immer lauter eine solidarische Wohnpolitik fordern. Bezahlbares Wohnen ist zum Top-Thema in Politik und Gesellschaft geworden. "Eine Stadt ist nur intelligent, wenn das Wohnen bezahlbar bleibt", bringt es Dietmar Wiegand, Architekt und Städteplaner an der Technischen Universität Wien, auf den Punkt.

Aber wie? Was hat die Politik sich nicht alles ausgedacht: Mietpreisbremse, Durchsetzen von Strafen bei Zweckentfremdung als Ferienwohnung oder spekulativem Leerstand. Zudem war geplant, dass die Miete nach Modernisierungen nicht, wie jetzt zulässig, um elf Prozent jährlich erhöht werden dürfe, sondern künftig nur um acht. Geholfen aber hat all das wenig.

Als Alternativen bringen vor allem Architekten technische Lösungen ins Spiel. So sind winzige Häuser – Tiny Houses – ein Trend, der derzeit aus den USA und Japan nach Europa schwappt. Die Idee dahinter: Wenn Immobilienpreise zu hoch und Baugrundstücke Mangelware sind, müssen halt deutlich weniger Quadratmeter ausreichen. Klug designt, können sie für Singles und Paare ohne Hang zu Konsumballast eine echte Alternative sein: Ab etwa 35000 Euro sind die 15 bis 20 Quadratmeter fertig ausgestattet, erlauben dank pfiffigem Stauraum, klappbaren Tischen, Betten und winzigem Duschbad eine Vielfachnutzung des Raums.

Strom, Wasser und Abwasser laufen über feste Leitungen. "Und sie sind natürlich winterfest und zum Dauerwohnen geeignet", sagt Peter Pedersen aus Neumünster. Seine Rolling Tiny House GmbH ist zwar einer der ersten, aber längst nicht mehr der einzige Anbieter. Sogar der Kaffeeröster Tchibo führt mittlerweile Kleinsthäuser in seinem Programm. Sie ließen sich sogar aufs Wasser setzen. Amsterdam macht diese Variante des Wohnens auf kleinstem Raum seit Jahrzehnten vor mit ausgebauten alten Frachtkähnen. Großstädte wie Berlin und Hamburg bieten ebenfalls viel Wasserfläche, und es müssen ja auch nicht immer alte Frachtkähne sein.

Die zweite Alternative: der Weg in die Höhe. Nicht nur in Frankfurt/M., auch in Berlin, Hamburg, München oder Köln wird die traditionelle Firsthöhe von gut 20 Metern immer öfter durchbrochen. Gut 50 Projekte stehen in der Planungsphase oder werden bereits gebaut. Am Rhein schießt das "Opal" mit 67 Metern und 20 Stockwerken in die Höhe, in München bringt es das Boardinghaus in Neuperlach auf 50 Meter, in Hamburgs Hafencity gesellt sich zu ersten Hochhäusern ab 2021 der 235 Meter hohe Elbtower nahe den Elbbrücken. Dann werden in Berlin bereits die ersten Bewohner in den knapp 120 Meter hohen einstigen Büroturm am Steglitzer Kreisel einziehen.

Das Problem ist nur: Den Weg aus der Wohnungsmisere werden diese Ideen nicht aufzeigen, zumindest nicht für die große Masse der Bewohner. Tiny Houses etwa scheitern oft an den hohen Grundstückspreisen. "Ein 50000-Euro-Tiny-House auf einem Grundstück für 100000 Euro macht keinen Sinn", sagt Pedersen. Er sieht das Potenzial daher vor allem in Ferienquartieren und für Geschäftsreisende, die in Stadtnähe günstig unterkommen wollen. Die Firma Zedpod im britischen Wallington will ihre Tiny Houses sogar auf Parkplätzen errichten. Nur: Wer will dort wohnen?

Um aufs Wasser auszuweichen, fehlen in den meisten Städten die nötigen Wasserflächen, zudem tun sich die Kommunen schwer mit Anschlüssen für Strom, Wasser, Abwasser; Bankkredite sind wegen nicht existenten Grundeigentums fast unmöglich. Der Drang in die Höhe wiederum ist teuer. "Das günstige Wohnhochhaus ist außer mit massiver Förderung nur schwer umsetzbar", sagt Ricarda Pätzold, verantwortlich für Stadtentwicklung, Recht und Soziales im Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin (Difu). So liegen auch fast alle neuen Wohnungen bei Quadratmeterpreisen von mindestens 6000 Euro.

Was also bleibt zu tun? Einen Joker im Wohnungspoker können Architekten und Bauherren für günstigere Wohnungen noch ausspielen: die Modulbauweise. Ganze Wohneinheiten – komplett vorgefertigt mit Verkabelung und Wasseranschlüssen – werden schnell an ein Gerüst aus Stahl und Beton eingehängt. 2017 entstand in Wembley so der 29-stöckige Wohnturm Apex House für 558 Studenten in nur neun Monaten. Im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg bietet "Woodie", gefertigt aus containergroßen Holzmodulen, seit vergangenem Jahr 371 Studenten auf sechs Etagen ein Heim. Noch sind solche Modulbauten Pilotprojekte und nicht günstiger als konventionelle Bauten. Doch Massenfertigung könnte zu sinkenden Baukosten führen. "Aber eine deutliche Senkung auf vielleicht sogar die Hälfte bietet die Modulbauweise auf keinen Fall", dämpft Difu-Forscherin Pätzold allzu große Erwartungen.

"Rein technische Lösungen bringen für mehr bezahlbaren Wohnraum gar nichts", sagt ETH-Soziologe Christian Schmid. "Es klappt schlicht nicht wegen der hohen Bodenpreise." Er empfiehlt eine weniger technische, aber nicht minder intelligente Lösung: Die Bewohner von Wohnanlagen sollen mehr Räume kollektiv nutzen – mehr gemeinsames Essen und Kochen, Dachlandschaften für alle. Selbst Wohnungen ohne eigene Küche kann er sich vorstellen. "Dafür müssen sich aber soziale Gemeinschaften der Bewohner entwickeln. Das braucht Zeit und Engagement", so Schmid. Statt stets nur die Baudichte zu erhöhen, sollte eine Stadt die Nutzungsdichte steigern.

"Beispiele in Hongkong zeigen, dass mehrfaches Bespielen von ein und derselben Fläche nicht als Zeichen von Armut, sondern als Teil eines urbanen Lebensstils begriffen wird", sagt Dietmar Wiegand. So hat sich dort das Edge Design Institute einen Namen mit seinen "Domestic Transformer Apartments" gemacht – gerade mal 30 Quadratmeter große Apartments lassen sich durch Schiebewände und bewegliche Möbel in verschiedenste Räume konfigurieren. Hochwertig möbliert, stellen sie selbst eine zahlungskräftige Klientel zufrieden. Ähnlich könnte auch das Konzept der Tiny Houses mit ihrer pfiffigen Raumnutzung in Wohnungen mit kleinem Grundriss einfließen.

In der Arbeitswelt setzt sich "Smart Occupancy", wie Wiegand sein Konzept nennt, zunehmend durch. So gehören Coworking Spaces, in denen man sich in Großstädten für einige Stunden einen Arbeitsplatz mieten kann, zum Alltag insbesondere von Freiberuflern in der Kreativwirtschaft. Das britische Unternehmen WeWork treibt die Idee noch weiter. Es bietet in Metropolen rund um den Globus Arbeitsplätze und Apartments auf Zeit an. Im Fokus von WeWork stehen sogar ganze Mitarbeiterkolonnen von Konzernen.

Die Nachfrage steigt, lassen sich so doch Kosten sparen. "WeWork ist ein hoch bewertetes Unternehmen", sagt Wiegand. Sollten in Zukunft mehr Firmen solche Angebote nutzen, sinkt auch der Bedarf an Büroflächen in den Innenstädten. Die Konzerne müssten keine eigenen Bürohäuser mit oft wenig ausgelasteten Flächen kaufen oder auf Jahre anmieten. Auch langer Leerstand – allein in Hamburg knapp 600000 Quadratmeter Bürofläche im vergangenen Jahr – ließe sich durch Mehrfachnutzung reduzieren. Daraus ergäbe sich Raum für neue Wohnungen. "Wir können durch eine intelligente Organisation der Nutzung von Gebäuden und Freiflächen unsere Städte viel smarter machen", sagt Wiegand.

Damit die Idee über Coworking Spaces hinaus Fuß fasst, braucht es Kommunen, die diesen Schritt wagen. Erste Beispiele gibt es bereits: In Zürich etwa realisierte die Genossenschaft Kalkbreite schon 2014 ein Projekt mit 88 Wohnungen auf der Fläche eines ehemaligen Tramdepots. Die gut 230 Mieter haben zwar relativ kleine Wohnungen, finden aber als Ausgleich Platz auf der 2500 Quadratmeter großen Dachterrasse und rund 600 Quadratmeter zusätzlichen Gemeinschaftsflächen. Zudem verzichten alle auf ein eigenes Auto, sodass nur zwei Parkplätze fürs Carsharing gebaut wurden.

Um Smart Occupancy umzusetzen, könnten flexible Genossenschaften geeignete Partner der Kommunen sein – besonders in Städten wie Wien, das schon seit fast 100 Jahren auf sozialen Wohnungsbau setzt. Schlechter leben die Wiener ohne eine eigene Immobilie offenbar nicht. Im Städteranking der weltweit lebenswertesten Städte, erstellt von Analysten der britischen Wirtschaftszeitschrift "Economist", belegt die Stadt aktuell Platz zwei hinter Melbourne. Im "Quality of Living"-Ranking der Unternehmensberatung Mercer steht Wien sogar seit neun Jahren an der Spitze von 231 Metropolen. London dagegen kommt trotz Wirtschaftskraft, dichter Infrastruktur und prallem Kulturprogramm nur abgeschlagen auf die Plätze 53 und 41.

(bsc)