Die Mutter der Sternschnuppen

Die Japanerin Lena Okajima will mit ihrem Start-up künstliche Sternschnuppen erzeugen – und damit der Forschung helfen.

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Die Mutter der Sternschnuppen

(Bild: Star-ALE)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Roland Fischer

Lena Okajima präsentiert sich ganz im Stile eines Science-Nerds, der Wichtigeres als Medientermine im Kopf hat: Sie hat das lange im Voraus vereinbarte Interview schlicht vergessen. Also erklärt ihr Kollege Josh Rodenbaugh die technischen Details des Star-ALE-Projekts. Als sich die zierliche junge Frau unter scheuen Entschuldigungen doch noch dazugesellt, braucht sie erst einmal ein paar Minuten, um richtig bei der Sache zu sein.

Aber spätestens als sich das Gespräch um die astronomischen Hintergründe zu drehen beginnt, taut sie auf – und bringt die Physik-Absolventin zum Vorschein, die unversehens zur Chefin eines der meistbeachteten Start-ups in Tokio geworden ist. Unlängst hat sie eine japanische Zeitung sogar zum "Female CEO of the Year" geadelt, weil sie so unbeirrt an einer Idee festhält, die man zunächst eigentlich nur für eine Spinnerei halten kann: "Space Entertainment" mit Mikrosatelliten – so nennen sie es selber bei Star-ALE.

Mikrosatelliten boomen. Man kann mit ihnen allerlei nützliche und profitträchtige Dinge anstellen: die Erdoberfläche vermessen, Fotos schießen, Internet in abgelegene Gegenden bringen. Man kann aber auch allerschönsten Unsinn mit ihnen treiben, indem man sie auf gut 350 Kilometern Höhe gewissermaßen eine trabantische Notdurft in Form von kleinen, blank polierten Köteln verrichten lässt. Star-ALE will zentimetergroße Metallkugeln vom Satelliten aus gegen die Flugrichtung abschießen. In dieser Höhe sind Gravitation und Luftwiderstand bereits so stark, dass die Kugeln binnen 15 Minuten auf gut 80 Kilometer Höhe fallen und mit einer Geschwindigkeit von etwa 7,5 Kilometern pro Sekunde in die Erdatmosphäre eintreten.

Und dann beginnt das Spektakel: Eine Serie lang und hell leuchtender Sternschnuppen am Nachthimmel über Tokio, New York oder München, je nachdem, wo und wann es der Auftraggeber möchte. Etwa vier bis fünf Sekunden später und 20 Kilometer tiefer sind die künstlichen Meteore verglüht. Und mit ihnen ein sechsstelliger Geldbetrag. Schön daran ist: Jeder im Umkreis von gut 200 Kilometern kann diese neuen Feuerwerke sehen. "Unsere Sternschnuppen werden zwar einiges kosten, aber zu sehen sind sie nicht nur für die Superreichen", sagt Okajima.

Die Idee und ihre Gründerin haben letztes Jahr einiges an Aufmerksamkeit erhalten. Aber so richtig wohl scheint es ihr dabei nicht zu sein: Lena flüchtet rasch wieder hinter ihren Laptop. Sie zähle die Arbeitsstunden nicht, die sie in diesen Lebenstraum investiere, hatte sie gesagt – dabei hat die Jungunternehmerin auch noch eine Familie mit zwei Kindern zu schaukeln, und für Familiäres ist in Japan auch im Jahr 2018 eigentlich die Frau zuständig. Wie sie es schafft, das alles unter einen Hut zu bringen? Sie lächelt ein wenig und sagt: "Ich schaffe es eigentlich nicht." Und schiebt dann rasch nach, dass dieses Modell durchaus funktionieren kann, auch in Tokio, wenn man das rechte Team beisammen habe, inklusive einem Ehemann, der viel Betreuungsarbeit zu Hause übernimmt.

Der erste Satellit soll, wenn alles gut geht, noch dieses Jahr in seine Umlaufbahn geschossen werden und etwa zwei bis drei Jahre dort oben bleiben. Ausgestattet mit 400 sorgsam nach Farben und Brenndauer ausgewählten Kugeln, soll er im Frühling 2020 den Nachthimmel über Hiroshima erleuchten. Viele weitere Events sollen folgen, die Gespräche mit möglichen Kunden, unter anderem in den USA, laufen gerade an.

In den nächsten Jahren sollen weitere dreißig Trabanten folgen, Huckepack mit anderer Nutzlast an Bord kommerzieller Raketen. Anbieter gebe es genug, meint Josh Rodenbaugh. So soll dann nach und nach eine ganze Star-ALE-Flotte um die Erde kreisen, inklusive einem größeren Kugelvorrat an Bord. Wenn alle Kugeln verschossen sind, werden die Satelliten durch eingebaute Triebwerke in eine Erdeintrittsumlaufbahn geschickt und verglühen selbst restlos.

Angefangen hatte alles 2001, als die Astronomie-Studentin mit Freunden die Leoniden beobachtete, die in diesem Jahr ein besonders intensives Spektakel zeigten. Rasch waren sie sich über die prinzipielle Machbarkeit künstlicher Sternschnuppen einig. Während die anderen aber wieder zur Tagesordnung übergingen, war Lena infiziert.

Sie verließ die Uni nach dem Doktorgrad und heuerte bei Goldman Sachs an, weil sie dachte, da die nötigen Fundraising-Kontakte zu bekommen. Oder aber selbst genug Geld verdienen würde, um das Projekt aus eigener Tasche anschieben zu können. Gute Idee, schlechter Zeitpunkt: Kurz darauf crashte die Finanzwelt, und Lena stand ohne Job da. Immerhin war ihr ehemaliger Chef nachhaltig beeindruckt von ihrer Hartnäckigkeit. Er wurde einer der ersten Investoren.

Er sollte mit seiner Einschätzung recht behalten. Lena Okajima ließ sich selbst dann nicht von ihrem Weg abbringen, als eine Machbarkeitsstudie ihr Vorhaben zunächst für undurchführbar erklärte. Nach Jahren der Überzeugungsarbeit hatte die Japanerin endlich die finanziellen Mittel zusammen, um die Untersuchung in Auftrag geben zu können.

Und dann kamen die Modellrechnungen zu dem Schluss, dass sich gar keine Partikel finden ließen, die hell genug leuchten, um auch in urbanen Räumen sichtbar zu sein. Aufgeben aber war für Okajima da schon kein Thema mehr. Nun steht in einer Ecke des Labors das Kernstück der Forschungsabteilung, ein sogenannter Arc-Windtunnel. Verschiedene Materialien werden hier in einem stark beschleunigten Luftstrahl verglüht. So tastet man sich an immer beeindruckendere Effekte heran. Kleinste Unterschiede im Mischungsverhältnis etwa einer Aluminium-Kupfer-Legierung können einen großen Unterschied machen.

Um die Sternschnuppen minutengenau am richtigen Ort herabregnen zu lassen, müssen die Kugeln auf ein Grad genau abgeschossen werden. Dafür braucht es eine genaue Ausrichtung des Satelliten sowie exakte Berechnungen der Kugelflugbahn. Beim Demonstrationssatelliten, der in einem kleinen Forschungslabor unweit des Star-ALE-Büros in einem der Business-Zentren Tokios steht, lässt sich die Abschussvorrichtung besichtigen: ein fünfzig Zentimeter langes, blank poliertes Metallrohr. Der Satellit selbst ist quadratisch und knapp einen Meter groß.

Geht es nach Okajima, soll er weit mehr können als nur für Unterhaltung zu sorgen: Er soll neue Möglichkeiten eröffnen, Forschung zu finanzieren. Die staatlichen Mittel kämen überall unter Druck, auch in Japan. Satelliten von Star-ALE könnten nicht nur kleine Kugeln in den nächtlichen Himmel schießen, sondern auch zwei Drittel ihres Volumens für Forschungsinstrumente zur Verfügung stellen. Sind diese nicht zu schwer und zu energiehungrig, ist das mit keinen besonders hohen Kosten verbunden. Star-ALE ist insofern nicht nur ein Entertainmentkonzern, sondern auch eine Mitfahrzentrale in die Erdumlaufbahn.

Die Mitfahrer könnten genau auf der richtigen Höhe kreisen, um die oberen Bereiche der "Ignorosphäre" zu untersuchen. Forscher nennen den Bereich zwischen 90 und 300 Kilometern Höhe so, weil man wenig über ihn weiß. Die Internationale Raumstation ISS kreist rund 100 Kilometer höher, und Forschungsballons kommen wegen der dünnen Atmosphäre nicht hoch genug. Doch gerade an dieser Grenzschicht zwischen All und Atmosphäre spielt sich Spannendes ab: Sie ist sowohl beeinflusst von Sonnenstürmen als auch von Wetter auf der Erde. Geht es in dieser Schicht turbulent zu, können etwa GPS-Signale gestört werden.

Zunächst aber steht 2020 der erste künstliche Sternschnuppenschauer an. Die Macher haben Hiroshima ausgesucht, da es dort ein großes Science-Festival geben wird. Wegen der angestrebten Breitenwirksamkeit erfährt die junge Unternehmerin viel Unterstützung. Mitunter spürt sie aber auch Gegenwind: Star-ALE zerstöre die Magie natürlicher Sternschnuppen, bekomme sie manchmal zu hören. Deren eigentliches Wesen sei doch ihre Flüchtigkeit und Seltenheit. Lena entgegnet: Die meisten Menschen würden ihr Leben lang keine einzige Sternschnuppe sehen, in einer Stadt wie Tokio habe man kaum einen Grund mehr, überhaupt zum Himmel aufzuschauen. Das will sie ändern. Und die Leute werden es lieben.

(bsc)