Es brummt nicht mehr

Das Insektensterben ist schlimm für die Natur. Aber die Landwirtschaft ist weniger betroffen als befürchtet.

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Es brummt nicht mehr

(Bild: "Honey bee" / Renee Grayson / cc-by-2.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Mitte Mai standen die Kunden eines Hannoveraner Penny-Marktes vor vielen leeren Regalen. Die Filiale hatte zum Weltbienentag alle Produkte ausgeräumt, die es in einer Welt ohne Bienen und damit ohne deren Bestäubung nicht gäbe. Mit eindrücklichem Ergebnis: 60 Prozent des Angebots fehlten. Es gab keine Äpfel und Melonen, keine Fertiggerichte wie Pizza mit Sonnenblumenöl, keinen Fruchtjoghurt, mangels Kakaobohnen keine Schokolade und auch keine Pflegeprodukte mit Pflanzenextrakten. Gemüse wie Tomaten und Brokkoli, Brot und andere Getreideprodukte sowie Wein aus Trauben und Bier aus Hopfen waren dagegen erhältlich. Alle diese Pflanzen werden vom Wind bestäubt, befruchten sich selbst oder vermehren sich durch Triebe.

Gelungene PR-Aktionen wie diese, mit der das Penny-Mutterunternehmen Rewe und der Naturschutzbund Deutschland auf die Bedeutung der Bienenpopulationen aufmerksam machen wollten, bleiben im Gedächtnis haften. Auch die Bilder aus China, die Menschen bei der Bestäubung von Obstplantagen zeigen, weil in manchen Regionen die Bienen bereits ausgerottet sind, verdeutlichen das Problem. Und immer mehr Studien stellen einen starken Rückgang bei vielen Insektenarten fest. Laut einer der größten Untersuchungen, die vorigen Herbst im Fachjournal "PLOS One" veröffentlicht wurde, hat sich die Gesamtzahl der Fluginsekten in Deutschland in den vergangenen 27 Jahren um 75 Prozent verringert.

Der wichtigste Faktor scheint die starke Ausbreitung der Agrarflächen zu sein. In den letzten 50 Jahren nahmen die bestäubungsabhängigen Flächen um ein Drittel zu, während Grünstreifen, Blütenwiesen und strauchbewachsene oder unbeackerte Flächen zurückgingen. Deshalb fehlt es den Bestäuberinsekten an Nistplätzen und zusätzlichen Futterquellen. Hinzu kommen Experten zufolge Pestizide und Insektizide, die vom Wind weitläufig verwirbelt werden und ins Grundwasser gelangen. Der Klimawandel, der Befall mit Parasiten und die Ausbreitung von invasiven Fressfeinden tun ihr Übriges.

Bei den Wildbienen, zu denen auch die Hummeln gehören, steht in einigen Ländern mehr als die Hälfte der Arten auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. Für die Biodiversität sind das zweifellos keine guten Nachrichten, ebenso wenig für die Bestäubung vieler Wildpflanzen. Und es weckt die Sorge, dass auch Teile unserer Lebensmittelversorgung bald durch großflächige und dauerhafte Ernteausfälle gefährdet sein könnten. Schließlich sind Honigbienen und Wildbienen die beiden wichtigsten Bestäubergruppen. Sie befruchten Ölpflanzen und viele Obst-, Gemüse- und Nusssorten. Ohne sie gäbe es auch Exportgüter wie Kaffee und Baumwolle nicht. Schaufelt sich die moderne Landwirtschaft also ihr eigenes Grab?

Nein, meint erstaunlicherweise eine Reihe von Experten. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle an der Saale etwa sieht "die Nahrungsmittelversorgung nicht bedroht". Erstens sinkt nur die Zahl der Wildbienen. Jene der Honigbienen aber steigt sogar, weil sie sich nachzüchten lassen. Und zweitens spielen nur wenige Wildbienen eine tragende Rolle bei der Bestäubung von Nahrungspflanzen: In Mitteleuropa werden fast 80 Prozent der Wildbienen-Bestäubungsdienste von lediglich zwei Prozent der Arten geleistet – und diese scheinen relativ widerstandsfähig gegenüber schädlichen Einflüssen zu sein. Zu diesem Schluss kam David Kleijn von der Universität Wageningen 2015 in einer Metastudie, veröffentlicht in der Zeitschrift "Nature Communications".

Sein Team hatte 90 Studien über Bestäuberinsekten auf fünf Kontinenten ausgewertet. Über Ländergrenzen hinweg seien stets dieselben wenigen Insektenarten als Bestäuber anzutreffen, während bedrohte Arten nur selten auf Nutzpflanzen zu finden seien, schreiben die Autoren. "Wir glauben, die Robustheit liegt an der Spezialisierung dieser Arten auf großflächig blühende Nutzpflanzen. Es bedeutet mehr Nahrung für sie, insbesondere wenn mehrere dieser Pflanzen nacheinander angebaut werden, wie bei Raps und Sonnenblumen oft der Fall", sagt Kleijn. Derzeit sammelt er im Rahmen einer weiteren Studie Belege für diese These.

"Viele der häufigen Arten haben zudem weniger spezielle Habitatsansprüche", ergänzt UFZ-Forscher Settele. Soziale Insekten wie Honigbienen und Hummeln seien auch weniger anfällig als die solitären Wildbienen. Grund könnte ihre Arbeitsteilung sein: Die Nektar sammelnden – und damit Pestiziden am stärksten ausgesetzten – Arbeiterinnen spielen für die Vermehrung keine Rolle. Das übernimmt die im Stock weitgehend geschützte Königin.

Andere Forscher sehen die Lage nicht so positiv, darunter Hans de Kroon von der Radboud University in Nijmegen, Autor der großen Insektenschwund-Studie. Er geht davon aus, dass mit dem Insektensterben auch die Gesamtzahl der Nutzpflanzen-Bestäuber deutlich rückläufig ist – auch wenn Honigbienen von dem Trend ausgenommen sind. Noch fehlen verlässliche Zahlen zu dieser Beobachtung. Damit sei auch unklar, wie stark künftige Ernten betroffen sein werden, gibt de Kroon zu.

Wie also weitermachen? Selbst wenn der Schaden für die Landwirtschaft geringer ist als oft behauptet: Für die Biodiversität ist das Insektensterben dramatisch. Gegenmaßnahmen sind daher nötig – zumal sie machbar sind und sich am Ende sogar rechnen dürften. Das niederländische Regierungsprogramm "Deltaplan Biodiversiteitsherstel" zeigt, wie es gehen kann. "Wilde Bestäuber brauchen Rückzugsräume und Nahrung auch außerhalb der Blütezeit der Nutzpflanzen", sagt Koos Biesmeijer von der Universität Leiden und einer der Hauptinitiatoren des Programms. Wer ihre Habitate an den Feldrändern vergrößert, Wildblumen auf diesen Flächen anpflanzt und auf Bioanbaumethoden zurückgreift, kann die Zahl der für Nutzpflanzen wichtigen Wildbienen verdreifachen.

"Wir haben viele Akteure an einen Tisch geholt, um die Landschaften insektenfreundlicher zu gestalten und die Artenvielfalt wieder zu erhöhen: Naturschutz- und Landwirtschaftsverbände, Agrarunternehmen, Supermärkte und Stadtverwaltungen", sagt Biesmeijer. So wurden die Mähzyklen von städtischen Grünstreifen verändert, um den potenziellen Bestäubern länger Nahrung und Schutz zu bieten. Agrarunternehmen informieren Landwirte neuerdings darüber, wie sich Pestizide vermeiden lassen. "Werden zudem etwa in Blaubeer-Plantagen die Anbaureihen ausgedünnt und mehr Grünstreifen dazwischen angelegt, lockt das mehr Wildbienen an und steigert den Ertrag. Die Kosten amortisieren sich innerhalb von zwei Jahren", sagt Biesmeijer.

(bsc)