Red Dead Redemption 2 löst endlich das Open-World-Versprechen ein

Offene Spielwelten sind oft seelenlose Spielplätze voller Fleißaufgaben. RDR2 wagt den Bruch mit Genre-Konventionen – und lässt die Konkurrenz alt aussehen.

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Red Dead Redemption 2 löst endlich das Open-World-Versprechen ein

(Bild: Rockstar Games)

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Inhaltsverzeichnis

Open-World-Spiele haben sich ihren schlechten Ruf in den vergangenen Jahren redlich verdient: Spiele wie Far Cry oder Shadow of Mordor sind Anhäufungen von Sammel- und Fleißaufgaben, die hauptsächlich die Spielzeit strecken sollen, während der Spieler von Questmarker zu Questmarker hechtet. Red Dead Redemption 2 ist kein solches Open-World-Spiel, wie heise online während einer mehrstündigen Anspiel-Session bemerkt hat.

In Red Dead Redemption 2 von Rockstar Games lassen sich Quests, Nebenaufgaben und Alltag nämlich nicht so klar voneinander trennen. Die einzelnen Spielelemente sind so dicht gestaffelt und untereinander verwoben, dass sie ein "organisches Gesamtkonzept" ergeben, meint Rockstar. Das klingt abstrakt, scheint aber zu stimmen.

Beim Anspielen besuchen wir ein kleines Viehdorf, in dem wir erst einmal von Bewohnern und Händlern auf vergangene Missetaten angesprochen werden. In dem Dorf geht das Gerücht herum, dass sich beim örtlichen Apotheker zwielichtige Machenschaften zutragen. Wir schauen uns in seinem Hinterhof um und entdecken einen Straßenköter, der ein zur Hälfte verbarrikadiertes Fenster anbellt. Drinnen hockt ein geldzählender Ganove. Auf dem Rückweg sehen wir dann einen Sheriff, der verdächtig an der Hintertür herumlungert – als er uns erblickt, verzieht er sich aber schnell. Irgendwas ist da im Busch.

Mit vorgehaltenem Revolver fordern wir den Apotheker also nachdrücklich dazu auf, uns doch bitte in sein Hinterzimmer zu begleiten, wo wir direkt von Schüssen empfangen werden. Nachdem wir die Schießerei lebendig hinter uns gebracht haben, kommt schon der vom Lärm alarmierte Sheriff angelaufen. Da die Beweislage für uns äußerst ungünstig aussieht, müssen wir ihn auch noch umlegen, dann schnell die Kohle greifen, nach draußen rennen, aufs Pferd steigen und die Flucht ergreifen. Was genau sich da abspielte, ist für den Moment egal – Hauptsache weg!

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Für diese gesamte Erzählung gab es nicht einmal einen Quest-Eintrag. Solche Geschichten und Aufgaben sind Belohnungen für Spieler, die ihre Umwelt in Red Dead Redempton 2 aktiv wahrnehmen. Sie ermutigen dazu, gut aufzupassen und hinzuhören, statt schnurstracks zum nächsten Questmarker zu rennen. Und sie vermitteln das Gefühl, sich in einer lebendigen, organischen Spielwelt aufzuhalten, die sich nicht ausschließlich um die Person vor dem Bildschirm zu drehen scheint. Diese Illusion gelingt RDR2 zumindest dem Ersteindruck nach hervorragend.

Das Gefühl einer lebendigen Spielwelt verstärkt Rockstar Games mit kleinen Design-Kniffen, die dem Spieler eine seltene Art von Präsenz in der Spielwelt vermitteln. Wenn man zum Beispiel in einer Schießerei vom Pferd geworfen wird und im Matsch landet, werden die Klamotten sichtbar dreckig. Das ist nicht nur ein kosmetisches Problem: Wer zu verwahrlost aussieht, wird etwa von Stadtbewohnern argwöhnisch betrachtet. Die am Körper getragenen Waffen nehmen außerdem durch Schmutz Schaden, wodurch sich ihre Werte verringern. Dagegen hilft Regen oder ein Bad. Spielfigur Arthur Morgan kann im Übrigen essen und schlafen, um sich Boni auf Lebenspunkte und Ausdauer zu verdienen. Auch der treue Gaul kann gefüttert und gestriegelt werden, damit er sich in der nächsten Schießerei noch wackerer schlägt.

Red Dead Redemption 2 bricht zugunsten der Immersion auch mit Genre-Konventionen, die der Bequemlichkeit des Spielers Rechnung tragen. Beispielsweise kann der Protagonist nur ein paar Waffen am Körper tragen, weitere Revolver und Gewehre müssen in den Satteltaschen verstaut werden. Erlegtes Wild verschwindet nicht einfach im Inventar: Es wird über die Schultern gelegt und muss mühsam zum Lager getragen werden. Und bestimmte Frisuren kann sich Morgan nur schneiden lassen, wenn er sich die Haare vorher lange genug hat wachsen lassen. Diese Konsequenz ist bewundernswert.

Red Dead Redemption 2 - Bilder aus dem Spiel (51 Bilder)

(Bild: Rockstar Games)

Außerdem sollte der Spieler aufpassen, wie er sich in der Nähe von NPCs verhält. Rempeln wird ungerne gesehen, und wer im Vollsprint auf einen ohnehin schon angespannten Gesetzeshüter zurennt, begibt sich in Lebensgefahr – der Sheriff könnte das als Aggression verstehen und abfeuern. Solche Spielelemente zwingen den Spieler, sich bewusst mit seiner Situation und seinem Verhalten in der Spielwelt auseinanderzusetzen. Für Entwickler Rockstar ist das wichtiger als die komfortable Gedankenlosigkeit, die mit dem gängigen Open-World-Spieldesign einhergeht.

Auch deshalb machte Red Dead Redemption 2 beim Anspielen so einen fesselnden, erfrischenden Eindruck. Rockstar nimmt die Spielwelt ernster als andere Entwickler, die ihre Open World oft zum leblosen Abenteuerspielplatz degradieren. Im direkten Vergleich sehen Assassin's Creed, Just Cause und Konsorten ziemlich alt aus. Das liegt nicht nur daran, dass Rockstar sich mehr Zeit lässt als etwa die Ubisoft-Entwickler, die jedes Jahr ein neues Assassin's Creed auf den Markt klopfen müssen. Es liegt auch am Mut, mit Konventionen zu brechen und etwas Neues auszuprobieren. Damit kommt Rockstar der Idealvorstellung einer belebten, authentischen Spielwelt wesentlich näher als die Konkurrenz.

Das fertige Spiel muss dann zeigen, ob sich die Begeisterung langfristig hält – oder die Kompromisslosigkeit der offenen Spielwelt in Red Dead Redemption 2 nicht irgendwann doch die Geduld strapaziert. RDR2 kommt am 26. Oktober für Xbox One und PS4 in den Handel. Eine PC-Version stellt Rockstar nicht in Aussicht. (dahe)